Riesenmaschine

25.09.2006 | 17:51 | Anderswo | Vermutungen über die Welt

A deal's a deal


Trostlos war die Zukunft (Foto: Saudi)
Gewerkschaften brechen in Europa weg wie Brot von letzter Woche, genauso auch garantierte Renten, Volksparteien, Ferienlager, Grosseltern, Brot von letzter Woche, Bedauern wegen Hitler, Kochfisch, der Traum vom eigenen Buch, Kuchenbasar, Suppe mit Markklösschen, die ganzen alten Ideen eben. Amerika dagegen rüstet wie immer auf. In einer Zeit, in der Partikulärinteressen und Fetischfetische Oberwasser haben, unternimmt eine der grössten, ältesten Interessengruppen Amerikas, die der Pizzalieferanten, den Versuch der Befreiung aus der selbstbeklagten Unmündigkeit und gründet die erste gesetzliche anerkannte Gewerkschaft für Pizzafahrer, kurz AUPDD (nicht zu verwechseln mit der erfolglosen APDD), ein in allen Pizzagazetten gehörig gefeiertes Ereignis. Kann man mit grossem, altem Quatsch vielleicht doch noch reüssieren, so wie der Kommunismus oder Frank Sinatra? Zumindest im ehemaligen Rentnerparadies Florida? Musste Thälmann also nicht umsonst sterben? Wieso gibt es nur in Amerika Antikrepuskel, dafür nur in Europa Rattenkönige? Und warum darf man nicht mal in Fargo die Pizza mit Pot bezahlen? Präsident der AUPDD ist James Pohle, Schatzmeister Bradley Reed, und der Generalsekretär heisst Bruce Coats.

Aleks Scholz | Dauerhafter Link


25.09.2006 | 13:34 | Anderswo | Alles wird besser | Sachen kaufen

Der Untergang von St. Louis


Kommt alle: Grand Opening, Korla, Uigurisches Autonomes Gebiet Xinjiang, VR China
Während sich manch Riesenmaschinenleser noch über chinesische Markennamen wie Biemlfdlkk beömmelt, sind die Chinesen an der Brandfront natürlich und in Wirklichkeit schon längst ein paar Schritt weiter vorgerückt. Eine ihrer Superwaffen im "Weltkrieg um Wohlstand" (Spiegel) ist das hier erstmals so genannte "Louis-Branding". Das verdankt seinen Namen dem Begründer und ehemaligen Hüter der westlichen Demokratie Louis Vuitton. Bisher wurde der im globalen Wirtschaftskrieg direkt angegangen, das heisst, seine Taschen so lange gefälscht, bis sich auch die letzten Ziegenhirtinnen in Feuerland oder Bangladesh eine leisten konnten. Jetzt, wo's so weit ist, bedeutet Louis-Branding, dass man die entwertete europäische Alt-Marke durch eigene Marken ersetzt, die alle vorne Louis heissen. Eine von vielen ist die Modefirma Louis Valen, dessen Chef sich Lu Yi Wa Lun nennt, obwohl es diesen Namen im Chinesischen eigentlich gar nicht gibt. Nicht von ungefähr aber lässt sich der Firmenmarke auch LV abkürzen, genau so wie der einer Firma aus der Provinz Guangdong, die sich Louis Valentino taufte, womit sie noch eine Nummer extravaganter daherkommt. Als besondere Demütigung stellt Louis Valentino auch Kloschüsseln her, lässt also seine Kundschaft gewissermassen auf zwei der heiligsten westlichen Topbrands defäkieren.

Die chinesische Top-Louis-Brand allerdings heisst Louis Long. Die Modefirma kommt angeblich auch aus Italien, wobei das einzig Italienische an der Marke das "italiano" auf der Homepage ist: ein Link, so tot wie ein totes Opossum. Dabei können Anzugszeugs und Strickwerk, das man nach eigenen Angaben für den männlichen IT-Überflieger herstellt, optisch durchaus mit europäischen Nobelmarken mithalten; es ist aber selbstverständlich deutlich billiger. Eröffnet wurde neulich eine Louis Long-Filiale im Westen Chinas mit den Worten "The Brand-New Image, Please Respectful Expection." Ins Deutliche übersetzt heisst das wohl so viel wie: "Modeabendland, demnächst Untergang, tschüss!"

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Schweres Markengeschütz aus China

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (1)


23.09.2006 | 13:11 | Anderswo | Zeichen und Wunder

Schnapstor


Nach Ansicht des Gemeindepräsidenten kann man über Kunst immer geteilter Meinung sein. Bild: Christoph Rösch, NAIRS
Samnaun ist ein kleines Nest im östlichsten Zipfel der Schweiz, fast schon in Italien, praktisch schon in Österreich. Alleinstellungsmerkmal Samnauns ist eine Eigenschaft, die es lediglich mit internationalen Flughäfen teilen muss: es ist zollfreies Gebiet. Nur über einige Passstrassen zu erreichen, pflegte Samnaun jahrhundertelang engere Handelsbeziehungen zum nahen Tirol als zur Restschweiz. Mit der Zentralisation des Zollwesens (1848) verlor Samnaun seine wichtigsten Handelspartner und Einnahmequellen, darum wurde es aus dem Schweizerischen Zollgebiet ausgenommen und war fortan zollfreies Gebiet. Geplant war, diesen Status wieder aufzuheben, sobald Samnaun mit einer ordentlichen Strasse mit der Schweiz verbunden sei. 1912 war dies soweit, doch Samnaun blieb zollfrei. Bis heute – und so ist das Dorf heute eine Art bewohnter, hässlicher Supermarkt für Touristen, die zum Schnapskauf anreisen.

Roman Signer hingegen ist ein Schweizer Künstler, der eigensinnig, humorvoll und mit einem untrüglichen Gespür für die Poesie von physikalischen Experimenten seit Jahren auf mit Wasser gefüllte Fässer schiesst, Farbe oder Schnee explodieren, Stühle rumfliegen, Sand rieseln, Modellhubschrauber abstürzen oder einfach Dinge in Dinge rollen lässt. Meist spielen Gummistiefel, Fässer, Raketen, Waffen, Kajaks oder Schläuche eine Hauptrolle; Lawinen, Staumauern und Vulkanausbrüche stehen Pate. Signers Arbeiten mögen manchen sinnlos erscheinen, als anstössig oder störend wurden sie selten empfunden.

Dies mag der Grund gewesen sein, dass der Gemeinderat von Samnaun einen bescheidenen Beitrag von 2000 Schweizerfranken versprach, als die Kulturstiftung 'Nairs' anfragte, ob im Rahmen des Projekts transit.engiadina eine skulpturale Arbeit von Signer am Dorfeingang installiert werden könne. Samnaun erwartete allenfalls ein paar blaue Fässer oder rote Kanus, stattdessen bekam man eine Interpretation eines mittelalterlichen Stadttors in Form einer Stahlkonstruktion, auf der 59 Schnapsflaschen angeordnet waren. Unschwer zu erraten, dass die Samnauner damit nicht glücklich wurden. Wie dieses Protokoll – das übrigens eine hübsche kleine Posse um die Zusammensetzung des Gemeinderats (mehr als 50% Jenals, ergänzt von einigen Zeggs) sowie interessante Informationen zu Lawinensprengmasten enthält – beweist, wurde die 'Schnapstor' geheissene Skulptur als 'störend' und 'billige Werbung für Samnaun' empfunden. Einige Zeit später war das Tor einen halben Meter höher und mit einem grossen Werbebanner der Gemeinde versehen, sodass die Werbung zumindest nicht mehr billig und die Schnapsflaschen kaum sichtbar waren. Nairs und Signer intervenierten gerichtlich und Samnaun musste das Schnapstor zähneknirschend in den Originalzustand zurückbauen.

Kürzlich nun löst ein Bagger einer regionalen Baufirma das Samnauner Problem, indem er das Tor rammte. Der Gemeinderat liess verlauten, natürlich sei dies ein bedauerlicher Unfall, der aber korrekt gemeldet worden sei, von Absicht keine Spur aber leider sei die Installation nicht mehr zu retten, überhaupt, die Sicherheit, man habe sicher Verständnis. Gut wenigstens, dass der Gemeinderat die versprochenen 2000 Franken nie bezahlt hat.


23.09.2006 | 04:58 | Anderswo

Zäher Wille, Frohe Arbeit


Auch Bayern sehnt sich (mit Zunge) (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Im ewig, wenn auch nicht immer vollkommen grundlos, unterschätzten Mannheim wird nicht herumgeflennt. Hier lebt man, trotz rechtwinkliger Auslage vor allem im Dreieck aus Disziplin, Dialekt und Hoffnung. Psychonomenklatorisch konsequent werden die freudlosen Fernschachanschriften der Innenstadt (N3,4) denn auch weiträumig von Verlangen und Optimismus umschmeichelt: Da treffen möblierte Sehnsüchte (Dänischer Tisch 1, Wasserbett 8) auf vermisste Tugenden (Zäher Wille 7, Frohe Arbeit 11, Frischer Mut 22) und manch einer findet die eigene Biographie (Zuflucht 1, Neues Leben 17, Starke Hoffnung 7, Kleiner Anfang 12, Eigene Scholle 5, Grosse Ausdauer 4, Guter Fortschritt 2a) in einem einzigen Spaziergang penibel erfasst.

Via Stadtplan huldigt man darüber hinaus gekonnt jenen Dingen, die in der rätselhaften Stadt am Rhein besonders geschätzt werden (Freie Luft 6, Regenbogen 2b, Sonnenschein 4), nicht zuletzt, weil das benachbarte Ludwigshafen (Sodastr., Braunkohlenstr., Im Kappes) ohne Unterlass industrielle Dominanz über den Rhein hüstelt. Kein Wunder, dass man im ebenfalls nah gelegenen Heidelberg (Oberer Fauler Pelz 2, Unterer Fauler Pelz 7) einigermassen fieberhaft am Ausbau des öffentlichen Nahverkehrsnetzes arbeitet. Obwohl. Zu Fuss ins vorbildlich ausgeschilderte Mannheim zu pilgern wäre nicht nur preiswerter, sondern auch angemessen.


22.09.2006 | 14:02 | Anderswo | Fakten und Figuren

Antikrepuskulares


Gemeines Krepuskulum
(Foto: philgarlic / Lizenz)
Dem Deutschen wohlbekannt ist die Krepuskularstrahlung, die er "Wolkenscheinwerfer" nennt, weil sie so ähnlich aussieht, aber genau andersrum funktioniert. Denn während ein Scheinwerfer aus dem Nichts ein starkes Licht erzeugt, nimmt der Wolkenscheinwerfer, so man damit nicht das Gerät zur Messung der Wolkenhöhe, sondern das meteorologische Phänomen meint, ein extrem starkes Licht (das der tiefstehenden Sonne) und lässt es an ein paar Wolken kunstgerecht zerschellen. Man erhält Sonnenlichtreste in Form divergierender Strahlen, die ein bisschen wirken wie Götterdämmerung. Jeder weiss das.

Im deutschen Sprachraum nach menschlichem Ermessen gänzlich unbekannt dagegen ist die seltene und daher ultrainteressante Antikrepuskularstrahlung, für die es weder ein deutsches Bild, noch ein deutsches Wort gibt, aber wozu, das englische ist perfekt. Wort hin oder her, beim Antikrepudingslicht, der Verlängerung des Wolkenscheinwerfers auf die andere, sonnenabgewandte Seite, streben die Lichtstrahlen nicht auseinander, sondern wiedervereinigen sich folgsam und harmonisch, und zwar ganz ohne Sonne. Das wird jetzt natürlich keiner glauben, der nicht auf die beiden Links geklickt hat. Die Strahlen verhalten sich derart perfid, weil der Himmel, diese billige Projektionsfläche, die Form einer Hohlkugelinnenseite hat, letztlich also, weil die Erde rund ist, und sie deshalb irgendwann wieder zusammenkommen müssen. Denn auf einer Kugel kann nichts besonders lange auseinandergehen, so zumindest die Botschaft des Himmels an uns alle, die in Deutschland offenbar keinen interessiert. Besser folget dem Antikrepuskulum, Tiere und Menschen.


... 78 79 80 81 82 [83] 84 85 86 87 88 ...

*  IN DER RIESENMASCHINE


*  ORIENTIERUNG



Werbung
Werbung Ratgeber

*  SO GEHT'S:

- Elf Freunde plus Zusatzzahl

- Isolierband

- Bahn-Bashing (geht wieder)

- Kernlos-Obst

*  SO NICHT:

- Anti-Baggy

- Erasmus vortäuschen (Studenten)

- Buchten der Weisheit

- uninspirierte Kringel


*  AUTOMATISCHE KULTURKRITIK

"Der Knochenmann", Wolfgang Murnberger (2009)

Plus: 2, 21, 49, 56, 80, 118
Minus: 1, 117
Gesamt: 4 Punkte


*  KATEGORIEN


*  ARCHIV