Riesenmaschine

22.03.2006 | 17:33 | Berlin | Anderswo | Alles wird schlechter

Das nennst du Kunst?


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Hartnäckig und unausrottbar hält sich die Auffassung, es liesse sich nicht über Geschmack streiten, wohl aber über Kunst. Dabei weiss jeder, der ein bisschen bei Trost ist, dass es sich natürlich exakt andersrum verhält. Der Schriftsteller David Sedaris beschrieb kürzlich im New Yorker sehr vergnüglich, wie seine Eltern ihn von vermeintlich guter Kunst zu überzeugen versuchten, und nicht er sie – er, der nicht nur besseren Geschmack hatte und hat, sondern auch genau wusste, dass das, was sie da anschleppten, Schrott war. Bei ihnen steht, weil sie geschmacksunsicher sind, immer eine diffuse Gleichung Kosten/Ausführung im Vordergrund. Und was Sedaris' Eltern nicht wussten, ist, dass sie momentan in gar nicht so schlechter Gesellschaft wären.

Denn wie die gerade eröffnete Whitney Biennale zeigt, grübelt man auch dort, wie und mit welchen Mitteln man aus der derzeitigen finanzkräftigen Sinnkrise herauskommt, ob das jetzt Glamour ist oder Infantilität, Konsum oder anonymes Kollektiv, oder schon wieder die abgedroschenen Subversionsaktiönchen des notorischen Clowns Maurizio Cattelan, der eine Galerie gründet und einen echten "Outlaw"-Künstler ausstellt, den, man kennt sowas ja bereits, es gar nicht gibt. Sowas passt dann doch eher in das Museum der schlechten Kunst in Boston, statt der diesen Text hier illustrierenden dünnen Indianerin des echten echten Outlaws Carlos Rangel. Grund zum Fremdschämen und Beweis für die Provinzialität Berlins ist, dass man sich einen Schaumschläger wie Cattelan auch noch als Kurator für die am Freitag beginnende 4. Berlin Biennale als Kurator geholt hat, Motto: "Spass am Mythos von Mitte". Ebenfalls viel schlechte Kunst, oder gute im falschen Kontext, gibt es auch in Wien zu sehen, wie dieser sehr komische Text von Diedrich Diederichsen zeigt. Schön, dass immerhin miese Kunst gute Texte wie die beiden erwähnten generiert.

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link | Kommentare (2)


14.03.2006 | 17:33 | Berlin | Alles wird schlechter | Fakten und Figuren

The DJ is dead

Als die fantastischen Pet Shop Boys im Oktober 1991 die Single "DJ Culture" veröffentlichten, fing offiziell die DJ-Dekade an, die 90er Jahre, in denen bootgeleggt und regemixt wurde, was einem unter die Nadel kam – nicht nur in der Musik. Der DJ wurde eine Ikone, ein Superstar, die Musiker hinter ihm zur Staffage. Er schaffte es sogar bis in die Fernsehwerbung von Persil und Sparkasse. Womit eindeutig sein Niedergang eingeleitet worden sein dürfte.

(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)

Und heute eröffnet in einer ehemaligen Sparkassenfiliale am Berliner Hackeschen Markt Puma einen Flagship Store und stellt einen DJ ins Schaufenster. Das ist die Möbelhaus-Eröffnung des 21. Jahrhunderts, der DJ ist toter als tot, er kann sich ab sofort gemeinsam mit Wolfgang Lippert beim Zange klauen im Baumarkt erwischen lassen, er würde keinen Ansehensverlust erleiden.

Das war es also mit dem DJ, ein trauriger Tod, eingerahmt von einem Ampelmännchensymbol und einem abgestellten, aber nicht abgeschlossenen Damenrad, umringt von 60jährigen Zufallspassanten, die vor dem Schaufenster nicht einmal hören, was aufgelegt wird. Die coolen Kinder werden inzwischen VJ, das geht bestimmt noch drei Jahre, und dann kommt etwas Neues. Vielleicht Klingelton-Jockey oder gleich Tastenton-Jockey. Man weiss es nicht. Und will es irgendwie auch nicht wissen.


14.03.2006 | 14:11 | Berlin | Nachtleuchtendes

Allianz Ausschlag


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Ich rufe in den Zeugenstand: Kathrin Passig, Holm Friebe, Gott. Diesen dreien wird man glauben, wenn sie bestätigen, dass ich vorliegende Idee bereits im Spätsommer 2004 hatte. Ich meine damit nicht, mich an die Grenzen der Erträglichkeit von unscharfen, unterbelichteten Fotos heranzutasten. Sondern ein Gebäude als Graphic Equalizer Anzeige zu benutzen.

Gut, die Idee trudelt so halb im Fahrwasser der Leuchtfenster-
pixelinstallation Blinkenlights herum, die ja ihrerseits im Fahrwasser des belgischen Projekts Marnix 2001 dümpelte, welches wiederum bereits im Fahrwasser eines MIT-Projektes von 1993 schwamm. Trotzdem hätte irgendein regionaler Berliner Radiosender sicher viel Geld dafür bezahlt, wenn sein grafischer Ausschlag über Berlin zu sehen gewesen wäre. Aber nun ist der gefühlt 300 Meter hohe Büroturm der Allianz-Versicherung mit einem Graphic Equalizer versehen und aus Protest weigere ich mich, nachzurecherchieren, warum, von wem, für wen und wie lange das so ist. So gut ist die Idee letztlich auch nicht. Und ausserdem alt.


03.03.2006 | 04:23 | Berlin | Sachen kaufen | Vermutungen über die Welt

Giant Ambient Marketing


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Es handelt sich nicht um die Gewinner des Wettbewerbs "Die schlechtesten Fotos des Berliner Fernsehturms bei Tag & Nacht". Es handelt sich auch nicht um eine französische Rasseigelzucht, aber das war klar. Es handelt sich vielmehr einmal um eine Projektion des Einsteinzitats "Nur wer nicht sucht, ist vor Irrtum sicher" auf den Betonschaft des Fernsehturms (Nov. '05) und das andere Mal um die Beklebung der Kugel des Fernsehturms mit dem Muster eines T-Com Fussballs, eine Riesenguerilla Werbemassnahme, die praktisch jede existierende Werbeagentur praktisch jedem existierenden Kunden seit 2003 zur WM 06 mehrfach vorgeschlagen hat. Da der Turm der Telekom gehört, war irgendwann auch klar, wer die grösste Diskokugel Berlins zur WM in den grössten Fussball der Welt verwandeln darf.

Das alles hat natürlich einiges zu bedeuten. Zum einen wird schnell klar: In diesem Leben werde ich nicht mehr Fotograf. Zum anderen zeigt es aber auch einen neuen Werbetrend, den ich hier und jetzt "Giant Ambient Marketing" taufen möchte. Dass diese Entwicklung früher oder später kommen musste, war vorauszusehen. Viel mehr Spass macht aber, sich schon mal neue Giant Ambient Marketingmassnahmen auszudenken. iPod-Kopfhörer für die Köpfe von Mount Rushmore. Die Jesus-Statue in Rio eingekleidet von H&M. Die Cheops-Pyramide beklebt als abgebrochenes Stück Toblerone-Schokolade. Oder schliesslich, als ultimative GAM-Aktion die Umsetzung eines mittelokayen amerikanischen Witzes aus den 70er Jahren. "Mr. President, die Russen haben den Mond rot angemalt! Was sollen wir tun?" – "Schreiben Sie mit weisser Farbe 'Coca Cola' drauf."


22.02.2006 | 16:32 | Berlin | Vermutungen über die Welt

Nike Paranoia


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Nike traut man ja einiges zu in Sachen Guerillamarketing, auch wenn die Umbenennung des Wiener Karlsplatz in Nikeground gar keine Aktion von Nike selbst war, sondern eine der Künstlergruppe 0100101110101101.org . Der Architekturtheoretiker Friedrich von Borries hat in "Who's afraid of Nike town?" das über weiten Strecken seiner im Volltext verfügbaren Dissertation Die Markenstadt – Marketingstrategien im urbanen Raum entspricht, nachgezeichnet, wie der Sportartikelhersteller sich systematisch subkulturelle Codes aneignet und damit eine vom Situationismus stammende Strategie der Usurpation und Umfunktionalisierung des öffentlichen Raumes für Marketingzwecke verfügbar und gefügig macht. Sensibilisiert durch diese Lektüre schöpft man erst mal Verdacht, wenn stadtweit plakatiert neonorange Plakate mit holzschnittartigem Druck auftauchen, die auf den ersten Blick an hippe Autonomenplakate erinnern und für eine ominöse "Live-Demo" am 24. Februar am Spindler & Klatt werben, wenn dann noch die darauf abgebildete Person einen "Live"-Schriftzug in der Nike-Typo mit dem Swoosh auf der Brust trägt.

Obacht!, denkt man, und hält es für die nächste Volte im Spiel postironischer Counterculture-Exploitation: Nike inszeniert am stattbekannten Yuppietreffpunkt eine pseudo-autonome Fake-Demo gegen übertriebenen Körperkult und Fashion-Oberflächlichkeit – also eigentlich dafür, weil die herbeigecasteten Autonomen natürlich so scheisse aussehen, dass man spontan zur Gegenseite tendiert. Der Besuch der Veranstalter-Website ergibt dann aber, dass es sich um ein stinknormales Live-Venue handelt, das auf den Plakaten lediglich Nike nachahmt, wie sie die Subkultur nachahmen. Es ist nur die Paranoia, Baby, es ist nur Rauch ohne Feuer.


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