Riesenmaschine

27.02.2009 | 09:17 | Sachen kaufen | Effekte und Syndrome

Prachtscharten


Bei Extra gibt's lila Dinger (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Ein Vorbehalt gegen Freuds Traumdeutung ist, dass jeder Gegenstand, der nicht für eine Vagina steht, ein Phallus ist, oder eben ein Nazivergleich. Arno Schmidt hat das anhand von Karl May demonstriert, den Mann aus der "sexischen" Schweiz, den es zu den "Indi-anern" zog, und der immer einen Mitreisenden hatte, dessen "Po-sze'n" ihn bei Regenfall mit "regem Phall" bei Laune hielten. Mit 12 hat jeder schon einmal eine Phase erlebt, in der die Sprache zu entgleiten drohte und jedes Wort versaute Hintergedanken provozierte, am meisten das scheinbar neutrale "Ding", das man nicht mehr ungestraft aussprechen konnte. Die Surrealisten nannten diesen Geisteszustand "kritische Paranoia", kontrollierten Einsatz von Bedeutungswahn, und nutzten ihn für ihre Arbeit. Wer darunter leidet, kommt bei Extra nicht ohne rot zu werden an den bis zu 70 cm grossen Prachtscharten vorbei, die es sogar inklusive Stecketikett gibt, als hätte man dieses Argument bei so einem verlockenden Angebot noch gebraucht.


02.09.2008 | 16:11 | Nachtleuchtendes | Papierrascheln | Effekte und Syndrome

Und man sieht nur die im Dunkeln werben


Im Licht sieht man sie dagegen fast nicht. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Verständlicherweise richten sich die Begehrlichkeiten von Werbetreibenden, die das mediale Rauschen durchdringen wollen, verstärkt auf solche Sonderwerbeformen und -flächen, die bislang für marktschreierische Botschaften nicht zur Verfügung standen und ergo allein wegen des Neuigkeitswerts schon Aufmerksamkeit erzielen. Dazu zählt auch das Magazin-Cover, quasi die gute Stube eines jeden Heftes. Blattmacher sehen sich hier einem Trade-off, genauer gesagt: einem Zeitinkonsistenz-Problem gegenüber. Kurzfristig können sie sich den Tabubruch teuer bezahlen lassen und ihre Einnahmensituation maximieren. Mittelfristig brechen die Kioskverkäufe ein, weil niemand ein Heft mit Werbung auf dem Cover kaufen will, und ihre Aufmerksamkeitswährung rauscht in den Keller. Eine elegante Lösung für dieses Problem hat man beim deutschen Vice gefunden. Das Cover der aktuellen Ausgabe zieren zwei unverdächtige – wenngleich etwas uninspiriert wirkende – Eisbecher. Erst im Dunkeln erkennt man die Werbung für das neue Sony-Vaio-Notebook, die mit nachtleuchtender Fluoreszenzfarbe darüber gedruckt ist, dafür aber die Eisbecher nicht mehr. Die beiden semantischen Sphären überlagern sich, ohne sich dabei ins Gehege zu kommen! Dahinter schlummert auf den ersten Blick eine weiter reichende Kompromissformel, um nicht zu sagen: die Chance, des ästhetischen Problems der Werbung generell Herr zu werden.

Bei Tag könnte die Welt so werbefrei sein wie São Paulo; unbehelligt von lästigen Botschaften schritte man durchs Paradies der reinen Sachlichkeit. Das gesamte Werbeaufkommen wäre in die Nachtschiene verbannt: Leuchtreklame würde nachts die Städte bunt machen, Fernsehspots liefen ausschliesslich nach Mitternacht, wenn eh kein vernünftiger Mensch mehr fernsieht, Pop-up-Fenster und Banner würden nur sichtbar werden, nachdem der Screensaver anspringt. Kurz: Wir könnten den Werbekuchen verschmähen und ihn gleichzeitig haben.

Bei näherer Betrachtung hat die Sache jedoch einen Haken. In dem Moment, wo Werbung wie die Geister der Untoten unterm Bett hervorglimmt, sich alsbald per Neuronenschnittstelle in unsere Träume einblendet und alles in allem unsere Nächte hässlicher macht als unsere Tage, ist doch wieder mehr verloren als gewonnen.


11.06.2008 | 16:26 | Anderswo | Alles wird besser | Effekte und Syndrome

Na endlich ein EM-Beitrag!

Aus einem regulationstheoretischen Ansatz heraus lässt sich die Gesetzmässigkeit formulieren, dass je durchkapitalisierter ein gesellschaftliches Teilsystem ist, desto schwerer es sich tut mit der Hervorbringung von immer neuen Innovationen, die zu einer Steigerung der Leistungsfähigkeit des Systems führen.

Beispiel Hochleistungssport: Abgesehen vom Kempa-Trick im Handball 1954, vom Fosbury-Flop im Hochsprung 1968, der den bis dahin hegemonialen Straddle ablöste, und von der V-Stil-Revolution von Jan Boklöv im Skispringen Anfang der 1990er, der die parallele Beinhaltung zur Geschichte machte, hat sich in den letzen Jahrzehnten nicht mehr viel getan.

Aus den USA ist jetzt aber beim Fussball eine Neuerung am Herüberschwappen zu uns, die man vielleicht sogar bei der gerade begonnenen Europameisterschaft erstmals beobachten können wird, wer weiss: Der Flip Throw-In, bei dem durch einen zum Zwecke der Beschleunigung dem Einwurf vorgeschalteten Überschlag der Ball viel weiter und also viel gefährlicher in den Strafraum der gegnerischen Mannschaft gebracht, ja katapultiert werden kann als mit der herkömmlichen Technik.

Bilddokumente belegen, dass an der Technik aber noch gefeilt werden muss, will man verhindern, dass einen der dicke Schiedsrichter im gelben Hemd vom Platz stellt.


16.05.2008 | 19:39 | Berlin | Papierrascheln | Effekte und Syndrome

Schliessmuskelmobbing


Blick in die Zukunft
Botschaften von Anderswahrnehmenden – der Volksmund nennt sie auch Irre, Paranoide, Schizzos –, die in der Absicht verfasst und veröffentlicht werden, die Menschheit über das wahre Wesen der Wirklichkeit aufzuklären, weisen oft eine Reihe von Ähnlichkeiten auf. Ein sich häufig wiederholender Topos ist die Strahlenwaffe, mit deren Hilfe der Anderswahrnehmende von im Geheimen agierenden Kräften (Nachbarn, Verwandten, Ärzten, Regierung, hässlichen Männern) manipuliert, terrorisiert oder auch langfristig vernichtet werden soll. Meist wird aber solch aufklärendes Bemühen, das heutzutage auch gern per Internet erfolgt, von den Standardwahrnehmenden ignoriert. Das aber ist ein grosses Versäumnis, denn bisweilen nehmen die Pamphlete der Anderswahrnehmenden nichts weniger als die Zukunft vorweg.

So skizziert eine anscheinend entschieden anderswahrnehmende Frau auf einem Plakat, das an einem Umspannkasten in der Marienburger Strasse in Berlin aushängt, nicht nur zukunftsweisende Technik ("induzierte Strahlung – ohne Gehäuse"), sondern betätigt sich auch als begnadete Sprachschöpferin. Das durch Strahlen induzierte "'Schliessmuskelmobbing' bei Stuhlgang des Opfers" wird, wir prophezeien es, sehr bald in unsere Alltagssprache Eingang finden ("Verdammt, Schliessmuskelmobbing. Wo ist das Klo?"). Wenn man dann auch noch die gehäuselose induzierte Schliessmuskelstrahlung erfindet, wird aus der Weltschliessmuskelverschwörung schnell Wirklichkeit und aus der heute noch Anderswahrnehmenden ruckzuck eine Standardwahrnehmende. Was aber wären dann wir?

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Wunderwaffen: nichttödliche Waffen

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (11)


23.04.2008 | 15:44 | Zeichen und Wunder | Vermutungen über die Welt | Effekte und Syndrome

SUVrealismus


Crossover zwischen Studiofotografie und Psychose (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Ein überdimensionaler Hammer droht einen Kompakt-SUV zu zerkloppen, beäugt von einem missgünstigen Flachbau mit Backsteinpranken (einem engen Verwandten des Furbyhauses) und dem Rest der debilen Skyline. Was will uns dieses dalieske Werbemotiv sagen?
Will die böse Stadt dem kleinen Qashqai ("100% urban proof") etwa an die Chromleiste? War der Fotograf auf Pilzen? Oder hat die betreuende Agentur doch nur kurz und sinnentleert den ADC-Nagel-Magneten angeschmissen und browsert nun fröhlich mit Breitreifen auf unseren Sehgewohnheiten herum? Dass die Qashqai ein Nomadenstamm aus dem Iran sind, hilft bei der Bildexegese diesmal wider Erwarten nicht weiter.


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