Riesenmaschine

28.10.2012 | 10:55 | Alles wird besser | Fakten und Figuren | Effekte und Syndrome

Hydrodynamisches Utopia

Die Sowjetunion konnte Bodeneffektfahrzeuge und sie konnte Grössenwahn. Die Kombination beider Fähigkeiten ergab das Kaspische Monster, das grösste Ekranoplan der Welt und bis heute eines der grössten und schwersten Dinge, die je kontrolliert die Erdoberfläche verliessen. Die Bilder und Videos vom KM sind dermassen ergreifend, dass sie weltweit mehrere Menschen dazu brachten, ihren Facebookstatus zu updaten. Das KM wirkt heute wie ein Anachronismus, ein Fehler in der Evolution, ein gigantisches Mysterium, interessant nur, weil es bizarr ist, ausgestorben, weil es nicht in die Welt passte, und damit in einer Kategorie mit den Dinosauriern, den antiken Steinkreisen und den überdimensionalen Brotschneidemaschinen der frühen Siebziger.


Pelikan demonstriert Bodeneffekt (Foto: H. Michael Miley, CC-BY-SA 2.0)
Wenn das Kaspische Monster reden könnte, würde es an dieser Stelle widersprechen. Es würde uns erklären, dass es wegen des sogenannten Bodeneffekts genauso schnell ist wie Flugzeuge, aber genauso viel transportieren kann wie Schiffe, das Beste aus zwei Welten. Die beste Tragfläche ist unendlich lang, sagt das Monster, und verwendet darum eine unendlich lange Randbedingung – die Erdoberfläche –, um die ineffizienten Wirbel am Ende der notgedrungen endlichen Tragfläche unter Kontrolle zu halten. Der Bodeneffekt ist einer der vielen schönen unbekannten hydrodynamischen Effekte (siehe auch Coanda-Effekt), die gewaltige Kräfte freisetzen können, Kräfte, die direkt aus dem unordentlichen Herzen der schönen, alten Physik kommen.

Klar ist auch, dass die uns bekannten Technologien nur einen winzigen Teil des möglichen Spektrums aller technischen Lösungen abdecken, ein Teil, an dessen Rand das Kaspische Monster herummanövriert. Ohne das Genie von Alexejew, die Launen von Chruschtschow und die Zentralgewalt des sowjetischen Regimes, das unbegrenzt Mittel in ein langfristiges Projekt mit unbekanntem Ausgang pumpen konnte, hätte es das Kaspische Ekranoplan nie gegeben. Welche hydrodynamischen Monster würden andere unwahrscheinliche Umstände hervorbringen? Wieso benutzen wir Autos und keine VTOL-Fahrzeuge? Wieviele Riesenmaschinen haben wir noch nicht gesehen? Leider kann das Kaspische Monster nicht reden.


25.10.2012 | 00:25 | Fakten und Figuren | Sachen kaufen | Listen

Die 478 Phasen der Zukunft


Statt Kalender (Foto: Kathrin Passig)
Lange war die Riesenmaschine unaufmerksam, ungezählte Neuerungen auf dem Spülmaschinentabsektor zogen unerforscht an uns vorüber. Die siebte Phase wurde im Jahr 2007 von Tex Rubinowitz untersucht, dessen hellsichtige Prognose "Jede Wette, dass nächstes Jahr (2008!) eine achte Phase dazu kommt" sich auch umgehend (2008!) bewahrheitete.

Laut Wikipedia handelt es sich bei den ersten sieben Phasen um 1. Geschirrreiniger, 2. Klarspüler, 3. Wasserenthärter, 4. Glasschutz, 5. Spülkraftverstärker, 6. Edelstahlglanz und 7. Power-Entkruster. Seit 2007 hinzugekommen sind "Silberschutz", "Niedrigtemperatursystem", "Maschinenschutz", "Geruchsneutralisierer" und der "Extra-Schnell-Trockeneffekt". Zwar beinhalten die 12-Phasen-Tabs von "ja!" "alle wichtigen Funktionen in nur einem Tab", aber aus den beiden Datenpunkten "7 Phasen im Jahr 2007" und "12 Phasen im Jahr 2012" lässt sich errechnen, dass Spülmaschinenforscher bis zum Jahr 2500 weitere 478 wichtige Funktionen entdecken werden. Zunächst natürlich die naheliegenden, "Funktionsverstärker", "Dosierkammer-Reinigung" und "In-der-Schachtel-Enthalten-Sein", später folgen "Spülmaschinenein-und-ausräumsystem", "holt die Kinder von der Schule ab" und "Anti-Migräne-Effekt", bis die Menschheit schliesslich in die Ära der Spülmaschinentab-Funktion "Neue Spülmaschinentab-Funktionen ausdenken" eintritt. In etwa 10100 Jahren werden Spülmaschinentabs alle im Universum vorhandenen Funktionen übernommen haben.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Die siebte Phase


03.03.2011 | 01:10 | Berlin | Fakten und Figuren | Sachen kaufen | Essen und Essenzielles

Dri Wirstvirkifir mit dim Stindirtvirtil


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Ein Theorem des Ökonomen Harold Hotelling besagt, dass "rational handelnde Produzenten versuchen, ihre Produkte so ähnlich wie möglich im Vergleich zu ihren Wettbewerbern zu gestalten". Eine populäre Veranschaulichung von Hotellings Gesetz ist das Eisverkäufer-am-Strand-Problem: Wenn zwei in Konkurrenz stehende Eisverkäufer sich an einem Strand optimal platzieren sollen, werden sie am Ende Rücken an Rücken in der Strandmitte stehen, sich gegenseitig die Kundschaft wegnehmen und gleichzeitig das Konsumentenpotential an den Strandrändern nicht optimal ausschöpfen.

Eine Livedemonstration des Eisverkäufer-am-Strand-Problems liess sich neulich in Berlin beobachten. Bloss, dass es sich nicht um Eis-, sondern um mobile Würstchenverkäufer handelte. Und nicht um einen Strand, sondern um den Alexanderplatz. Und auch nicht um die Mitte des Platzes, sondern um den Ausgangsbereich des Saturn-Ladens an seiner Südwestflanke. Hier, in unmittelbarer Nähe zur Tramstation, aber in gebührendem Abstand zur stationären Burger-King-Filiale, scheint offensichtlich der optimale Kulminationspunkt für Wurstkunden zu sein.

So stehen also die Abgesandten der Triopolisten "Grillwalker", "Grillrunner" und "Wurstkönig" Seite an Seite. Und da auch der Preis (1,20 Euro) bei allen Marktteilnehmern der gleiche ist und man als Kunde unmöglich erst einen Produktvergleich anstellen kann, muss die Kaufentscheidung allein über die Schirm/Jacken/Grill-Farbkombi getroffen werden – Brand Consultants können sich mal wieder ihre senfverschmierten Hände reiben.


16.12.2010 | 14:00 | Nachtleuchtendes | Fakten und Figuren

Slaymobil


Welcome to Hell! (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die Geobra Brandstätter GmbH & Co. KG, Zirndorf, wartet zum Fest in ihrer
Playmobil-Special-Reihe mit einem besonderen Schmankerl auf: Kapuzengeist 4694 – nicht nur ausgerüstet mit Anarcho-Kapu, Schwert und Doppelaxt, auf der ein physiognomisch interessanter Playmo-Schädel prangt, nein, auch noch schaurig selbstleuchtend ist das untote Vieh! Black Magic im Kinderzimmer, stilistisch angesiedelt zwischen Dimmu Borgir und der Armee der Finsternis (geht's noch?) – ein verstörender Ausrutscher von Plaste-und-weniger-Elaste Zirndorf? Keineswegs: 4694 reiht sich nahtlos in die aufrüttelnde Liste von Topless Robot ein, wo klargestellt wird, dass Playmo schon immer hin und wieder mal eine Spur härter war als die Konkurrenz (hallo: saufende Bauarbeiter? Da fallen dem Lego-Duplo-Hasen ja die Löffel ab!).


26.09.2010 | 00:02 | Anderswo | Fakten und Figuren | Papierrascheln

Kentucky Fried Mao


Dem Volke bedienen!
In der ostchinesischen Hafenstadt Dalian treffen gelegentlich die Belegschaften der lokalen KFC-Restaurants aufeinander und versuchen sich dabei mit kleinen, einstudierten Auftritten zu übertrumpfen. Der letzte Wettbewerb fand Ende August auf dem Platz vor dem örtlichen Carrefour-Supermarkt statt. Hier räumte eine Belegschaft ab, die ganz im Stil kulturrevolutionärer Roter Garden auftrat, nur dass man statt der traditionellen oliven Kluft die KFC-Uniform trug und statt der Mao-Bibel ein kleines Portrait des KFC-Gründers
Harland "Colonel" Sanders
schwenkte. Echt waren allerdings die Mao-Zitate, die die Gruppe skandierte, zur grossen Erheiterung des Publikums.

Dabei lassen sich Maos Thesen und Maximen, die einst von Lin Biao in dem berühmten kleinen roten Buch versammelt wurden, tatsächlich ganz hervorragend auf die Strategie und Lebenswelt einer Fastfood-Kette übertragen. So predigte schon Mao den absoluten Service-Gedanken: "Mit Leib und Seele dem Volk (sprich: Gast) dienen..., sich in allem von den Interessen des Volkes (Gastes)... leiten lassen; sich in gleicher Weise dem Volk (Gast) wie der Parteileitung (Firmenleitung) verantwortlich fühlen, das ist unser Ausgangspunkt." (Mao, 1945). Zur Sauberkeit in der Filiale hatte Mao auch seine Ansichten: "Wo der Besen nicht hinkommt, wird der Staub nicht von selbst verschwinden." (Mao, 1945) Am aktuellsten aber ist sicher seine Analyse zum Verzehr eines z.B. "20 Piece Colonel's Picnic Feast": "Im Krieg kann nur eine Schlacht nach der anderen ausgefochten und die Feinde können nur einer nach dem anderen vernichtet werden... Mit dem Essen verhält es sich ebenso. Strategisch gesehen, ist die Einnahme einer Mahlzeit kein Problem. Wir können sie ohne weiteres bewältigen. Aber konkret gesehen, schlucken wir einen Happen nach dem anderen. Man kann nicht ein ganzes Festessen ("20 Piece Colonel's Picnic Feast") auf einmal verschlingen." (Mao, 1957)

Gut möglich, dass sich KFC in China wirklich von Maos Devisen hat leiten lassen. Das würde auch erklären, weshalb der Yum!-Konzern hier so gut aufgestellt ist: Auf zwei KFC-Filialen in Festland-China kommt nur eine von McDonalds. Im Rest der Welt ist es umgekehrt. Vielleicht sollte also mal jemand einen Ratgeber mit dem Titel "Mao for business people" o.s.ä. schreiben. Ach, den gibt es schon? Nun ja: "Ziehe die Brauen zusammen, und du kommst auf eine Idee." (Mao Tse Tung: "Unsere Schulung und die gegenwärtige Lage", 6. April 1944, Ausgewählte Werke, Bd. III).

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (7)


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