Riesenmaschine

22.09.2005 | 16:00 | Berlin | Fakten und Figuren

Produkt und Vision


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
"Die Produkte der Kulturindustrie können darauf rechnen, selbst im Zustand der Zerstreuung alert konsumiert zu werden.
Aber ein jegliches ist ein Modell der ökonomischen Riesenmaschinerie, die alle von Anfang an, bei der Arbeit und der ihr ähnlichen Erholung, in Atem hält."


Das schreiben Horkheimer/Adorno im berühmten Kulturindustrie-Kapitel der "Dialektik der Aufklärung". Von Kulturindustrie handelt auch die Ausstellung Produkt & Vision, die derzeit in der Kunstfabrik am Flutgraben in Berlin-Treptow stattfindet, genauer von "Schnittstellen und Trennlinien in Kunst und Wirtschaft". Eine weiterer Berührungspunkt besteht darin, dass auch der alerte Konsum der Ausstellung eher Arbeit als Erholung ähnelt.


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Tatsächlich verwischen die Grenzen zwischen Kunst, Wissenschaft, Unternehmensberatung und Werbung, indem ein Gutteil der Exponate aus enzyklopädischen Dokumentationen von Kunstprojekten im Wirtschaftskontext, akademischen Ausarbeitungen zu Themen wie "Der Einfluss von Pop- und Konsumkultur auf Wissensvermittlung und Bildungsmarketing", langatmige Videomitschnitte von Workshopsitzungen u.ä. besteht. Auch wenn zwischendurch Salat angebaut wird – der Bleiwüstenfaktor ist relativ hoch und erinnert damit an die letzte Documenta, die im Titel annoncierten Visionen zu Produkten sucht man hingegen eher vergebens.

Das Stochern im Brackgürtel zwischen Kunst und Kommerz entpuppt sich – zumindest hier – als eher trockenes Geschäft mit zahlreichen Stolperstellen und hohem Vermittlungsaufwand. Von der experimentellen Zusammenarbeit mit Künstlern, zu der sich der Cornelsen-Verlag als "Musterunternehmen" mehr oder weniger mutig bereit gefunden hat, entbirgt sich im Ausstellungskontext vor allem die etwas deplaziert wirkende raumgreifende Selbstdarstellung des Verlages. Nichtsdestoweniger wartet die Ausstellung mit einigen spannenden Positionen auf, die den Besuch zu einem durchaus lukrativen Unterfangen machen.


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Zu den Aktiva zählt eindeutig die umfangreiche Schaffensdokumentation der Künstlergruppe etoy, die auf dem Feld der künstlerischen Kommerz-Subversion als Benchmark, wenn nicht als Best Practice gelten kann. Für 2 € kann man aus umgebauten Kaugummiautomaten dort auch das neueste Produkt etoy.FIZZLE erwerben: gravierte Metallkügelchen, die als "Mikroinvestment" 1/50 eines etoy.SHARE bzw. 1/32.000.000 der etoy.CORPORATION entsprechen: eine greifbare Vision der Kunst als zweckfreies Produkt – und ein lohnendes Investment, vermutlich. Im Kulturverlag Kadmos, der gerade seinen Webauftritt renoviert, ist ein zweisprachiger Reader zur Ausstellung erschienen, den wir guten Gewissens empfehlen können.


21.09.2005 | 03:40 | Alles wird schlechter | Fakten und Figuren

Zwergenmaschine


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Bevor Verwirrung entsteht: Das Bild zeigt nicht etwa eine schwimmende Fliegenklatsche, sondern den kleinsten Roboter der Welt, eine Art kriechende, ferngesteuerte Mikromade, so breit wie ein Haar. Die Erfinder berichten mit zweifelhaftem Stolz, dass 200 dieser Mikrowesen aneinandergereiht auf einem einzigen M&M Platz haben. Hm! Das ist einigermaßen beeindruckend, aber wir wissen nicht so recht. Einerseits ja ein kluger Schachzug, den Versagern von Apple knapp nach der Markteinführung des vergleichsweise gigantischen i-Pod Nano vorzuführen, wie man Dinge richtig und konsequent zusammenschrumpft. Andererseits haben wir doch eigentlich schon genug Probleme mit unsichtbarem Quatsch, z.B. mit Vogelgrippeviren, Geschmacksverstärkern, Subraumspalten. Man weiß doch, wie das am Ende ausgeht – man muss unästhetische Schutzanzüge tragen, am Flughafen komplizierte Formulare ausfüllen und hat bei jedem Schritt Angst, jemanden totzutreten. Nein, so kann die Zukunft nicht aussehen. Und aus diesen völlig objektiven, uneigennützigen Gründen setzen wir weiter auf Gigantomanie und protestieren energisch gegen diese winzigen, komischen, lächerlichen, kleinen, äh, Dinger. Die URL Zwergenmaschine ist übrigens noch jetzt nicht mehr zu haben.


20.09.2005 | 12:32 | Alles wird besser | Fakten und Figuren | Vermutungen über die Welt

Abgehört


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Verstörende Nachrichten erreichen uns via Scientific American aus Berkeley, der Weltzentrale für verstörende Nachrichten. Doug Tygar und sein Team haben eine Software entwickelt, die aus den Klappergeräuschen der Tastatur zuverlässig die ursprüngliche Texteingabe rekonstruiert. Ein richtiges Abhörsystem für Tastaturen, also den Geräten, denen wir jeden Tag mehr anvertrauen als unseren Haustieren, sprich alles. Wer es immer noch nicht glaubt: Tygar berichtet ausführlich, zum einen (natürlich) in seinem Blog, zum anderen in einer unterhaltsamen Publikation. Wie immer bei derart weitreichenden Erfindungen steht man zunächst mal eine Weile sprachlos herum und sagt gar nichts. Dann aber wird einem ganz überraschend klar, dass diese Technik sowohl Risiken als auch Möglichkeiten mit sich bringt, genauso wie seinerzeit die Erfindung des Buches (Hera Lind vs. Goethe) oder die Entdeckung der Radioaktivität (früher Tod von Marie Curie vs. Nobelpreis für Marie Curie). Wir sind in solchen Dingen erfahren genug, um den Überblick zu behalten, und geben hier drei wichtige Hinweise, die das Schlimmste verhindern:
1. Keine Passwörter mehr eingeben, während man telefoniert. Viel zu riskant.
2. Jeden Monat das Tastaturlayout und damit den Klang der Buchstaben verändern.
3. Beim Schreiben immer ein Diktiergerät mitlaufen lassen; das spart sowohl Zwischenspeichern als auch Speichern generell, ja, letztlich die Anschaffung einer teuren Festplatte.
Schließlich noch eine Bitte an alle phantasiebegabten Entwickler: Mit nur wenig Aufwand kann man mit Hilfe des Tastaturabhörgeräts ein System bauen, das es erlaubt, mit den Fingern zu sprechen. Schön und gut, aber dies kann nur ein Anfang sein. Wir plädieren energisch für eine gerechte Verteilung aller Körperfunktionen auf alle Organe. Mit der Leber radfahren! Endlich Bauchnabelorgasmen! Warum nicht mal mit dem Rückenmark telefonieren? Es ist noch viel zu tun, Berkeley.

Aleks Scholz | Dauerhafter Link


19.09.2005 | 14:07 | Alles wird besser | Fakten und Figuren

Nie mehr wählen

Wenn irgendwo auf der Welt etwas vereinfacht wird, dann sind wir dabei und dafür. Der Mannheimer Politikwissenschaftler Thomas Gschwend und sein New Yorker Kollege Helmut Norpoth haben eine erfreulich simple Wahlprognoseformel entwickelt, die aus den drei Faktoren Kanzlerpopularität, Wählerrückhalt der Regierungsparteien und Abnutzung der jeweiligen Regierung im Amt das Wahlergebnis wesentlich präziser und preiswerter als teure Meinungsforschungsinstitute vorhersagen kann. Das Verfahren "lieferte einen Monat vor der Wahl 2002 sogar genauere Werte für die amtierende Regierungskoalition als alle etablierten Meinungsforschungsinstitute, einschließlich deren 18-Uhr-Prognosen am Wahlabend selbst." (Pressestelle Uni Mannheim) Die tatsächlichen Stimmenanteile der Regierungsparteien 1953-1998 wichen "bislang im Schnitt nur um 1,5 Prozentpunkte von den Modellschätzungswerten ab, und auch in Bezug auf Sieg oder Niederlage irrte sich die Modellstatistik kein einziges Mal." (uni-protokolle.de)

Davon war in letzter Zeit hin und wieder zu lesen; hier sei als Update nur erwähnt, dass die Vorhersage von 42,0% für Rot-Grün auch diesmal wieder ziemlich präzise (in echt 42,4%) stimmte. Das bedeutet erfreulicherweise, dass man sich künftig das ganze komplizierte Wahlgetue einfach sparen und den Bundestag gleich entsprechend der Prognose neu zusammensetzen kann. Da lacht der Steuerzahler!


19.09.2005 | 02:43 | Nachtleuchtendes | Fakten und Figuren

Itokawa, die beste Wurst am Himmel


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Heute abend ist völlig ungewiss, wer eigentlich Deutschland regiert. Was viele aber nicht wissen: Es ist eindeutig klar, dass Hayabusa die Macht auf Itokawa hat. Die kleine Wurst vor schwarzem Hintergrund ist nämlich gar kein Pantoffeltierchen, sondern ein etwas seltsamer geformter Felsbrocken irgendwo da draußen, der Itokawa heißt, weil, hm, weil zumindest Japaner wissen, wie man Himmelskörper benennt. ("Erde" – ist das etwa ein würdevoller Name für so ein großes Ding?) Seit letzter Woche wird dieser Felsen von dem japanischen High-Tech-Spielzeug Hayabusa umkreist, das zu Außergewöhnlichem fähig ist, wie die Abbildung unten beweist: STT! FBS! LIDAR! Und am allerbesten: ONC-W! Da sind wir Nichtjapaner sprachlos. Hayabusa fliegt auch nicht einfach so wie normale Raumschiffe, sondern hat einen Ionenantrieb, dessen Beschreibung sich so liest, als könnte man ihn aus Mikrowelle, Leuchtstoffröhre und einem Kugelschreiber leicht selbst zusammenbauen. Hayabusa hat anstrengende Jahre vor sich; auf dem Programm stehen unter anderem sehr viele Itokawa-Umrundungen und ein Landgang, bei dem ein paar Souvenirs besorgt werden sollen. Denn, und hier bahnt sich eine mittlere Sensation an: Hayabusa wird nicht einfach aufgeben, wie amerikanische oder russische Raumschiffe, sondern zu uns zurückkehren, um der Welt zu berichten, von sagenhaften Abenteuern auf Itokawa. Man kann sicher sein, dass wir live berichten werden, wenn es soweit ist.

(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)

Aleks Scholz | Dauerhafter Link


... 75 76 77 78 79 [80] 81 82 83 84 85 ...

*  IN DER RIESENMASCHINE


*  ORIENTIERUNG



Werbung
Werbung Ratgeber

*  SO GEHT'S:

- Vanilla Frosted

- knuffen und puffen

- Immer Butter

- Pommes Schraube/Gewölle

*  SO NICHT:

- Rotweinflecken auf Comics

- dubiose Handelsmarken

- Anstrengende Meinungen

- Lyrik ("Pentameter", etc.)


*  AUTOMATISCHE KULTURKRITIK

"Munich", Spielberg (2005)

Plus: 12, 25
Minus: 11, 22, 55, 82
Gesamt: -2 Punkte


*  KATEGORIEN


*  ARCHIV