Zum grossen Finale des bereitsmehrfacherwähntenDosentests am vergangenen Montag in Köln waren sie alle da. Und schon am Vormittag war der Triumph vollkommen: Der zuständige Arzt bestätigte, dass die vier Probanden, die sich sechs Wochen lang so umfassend wie möglich aus Dosen ernährt hatten, genau so gesund wie vorher seien. Weil Dosen halt voll die gleichen Vitaminmengen enthalten wie frische Nahrungsmittel und überhaupt: Kommunikationsziel erreicht, alle glücklich!
Danach gab es dann noch etwas zu essen, weswegen in ein Kochstudio mit Blick aufs Schokoladenmuseum gegangen wurde, wo Sternekoch Stefan Marquard mit Hilfe der Probanden aus über 15 verschiedenen Dosenprodukten eine Vorspeise, ein Hauptgericht und ein Dessert zusammenkochte. Bei der Zubereitung enthüllte die Dose dann eine weitere ungeahnte Qualität: Sie ist das demokratischste Lebensmittel von allen. Denn über die Zutaten der einzelnen Gänge konnte gemeinschaftlich abgestimmt werden, in der Frischediktatur hätte man hingegen essen müssen, was vorher gekauft wurde.
Nun darf jedoch mit diesem singulären Sieg der Dose über althergebrachte Essgewohnheiten nicht Schluss sein – nein, vielmehr muss der 5. November als Auftakt für die vollkommene Assimilation der Dose in unser aller Alltag in die Geschichte eingehen. Aus zwei Gründen:
1. kann nur die Dose das von der Riesenmaschine propagierte Prinzip "In Modulen denken, in Modulen handeln" auch nachhaltig in der Küche verankern. Analog zum Prinzip des Containers im Fracht- und Logistikbereich kann das Standardmass einer, sagen wir: 400-ml-Dose endlich die Einrichtung normierter und dadurch passgenauer Einkaufstaschen, Lebensmittelregale und Kühlschränke ermöglichen. Auch Lebensmittelwaagen und Messbecher könnten bei entsprechend portionierten Dosen und dazu passenden Gerichten endgültig aus unserem Leben verbannt werden.
2. ist schon heute ist die Dose die einzige Hoffnung für Menschen, deren Tag sich grösstenteils abseits der in Deutschland gültigen Ladenöffnungszeiten abspielt. Gäbe es keine Dosen, sie müssten verhungern. Doch noch sind auch Dosenhaltbarkeiten endlich, muss man alle paar Jahre doch den Gang in den Supermarkt wagen. Deshalb merke man sich: Nur der Kauf von Dosen unterstützt die Dosenforschung! Das Endziel müssen Haltbarkeiten von mehreren Jahrhunderten sein, damit die Menschheit dereinst, wenn die Erde in die Sonne stürzt, auf dem Weg zu neuen Planeten nicht verhungern oder an Skorbut sterben muss. Das sind wir unseren Kindeskindern schuldig.
Ebenfalls unvergessen: Das Kinderbuch Konrad oder Das Kind aus der Konservenbüchse von Christine Nöstlinger. Ausserdem natürlich der beliebte Tanz Can-Can und die weltberühmte Comicfigur Tintin. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)1961-1971 war die goldene Ära in der Kulturgeschichte der Dose. In diesem Jahrzehnt kulminierten die drei bedeutendsten popkulturellen Auftritte von Dosenprodukten, deren Wurzeln freilich schon Jahrzehnte zuvor zu suchen sind.
Denn bereits 1898 kreierte die Campbell Soup Company das bis heute fast unveränderte, von den Farben der Cornell University inspirierte Design ihrer Suppendosen – das 1962 den Weltruhm von Andy Warhol begründen sollte. Etwa zur gleichen Zeit wurde Sterno erfunden, ein gelierter Brennspiritus in Dosen, der verdünnt als Alkohol genossen werden konnte. Nach dessen landläufigem Namen wurde dann 1929 der Canned Heat Blues benannt, der wiederum 1964 als Namenspate für die bis heute aktive Bluesrockband Canned Heat fungierte. 1937 schliesslich brachte die Hormel Food Corporation SPAM auf den Markt, mit über sechs Milliarden verkauften Dosen einer der Verkaufsschlager der jüngeren Dosengeschichte (selbstverständlich lobt auch die Fachverbandsseite www.weissblech.de den "handlichen Fleischblock"), das 1970 durch den Auftritt in Folge 25 der zweiten Staffel von Monthy Python's Fl... – aber wem sagen wir das?
Erst dieser gehörige kulturelle Impact bereitete das Feld für die Anerkennung der Dose, wie wir sie jetzt, im aufgeklärten 21. Jahrhundert, erleben dürfen. Und so kann der grosse Dosentest, bei dem vier Freiwillige sechs Wochen lang ihre Ernährung zu einem möglichst grossen Teil aus Dosen bestreiten (wir berichteten), mit Fug und Recht als der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung bezeichnet werden, die 1898 in Camden/New Jersey ihren glorreichen Anfang nahm. Inzwischen befindet sich der Dosentest im Endspurt, und wenn man einen Blick auf die Videotagebücher der Probanden wirft, muss man sich fragen: Mit wem auf der Welt würde man lieber tauschen? Eben.
Ich bin dreitausend Dosen (Foto: g-hat, Lizenz)Keine Verpackung wird so häufig zu Unrecht heruntergemacht wie die Konservendose: Hört man irgendwo, die Plastiktüte hätte den Vietnam-Krieg ermöglicht oder die Jutetasche den jugoslawischen Bürgerkrieg? Die Schergen des Antidosen-Mems hingegen schreiben in der Wikipedia, dass die Blechdose den ersten Weltkrieg zuliess und ansonsten für Bleivergiftungen sorgte, bis sie 1950 selbst ausstarb. Dabei wurde die Mutter der Dosengerichte, Ravioli in Tomatensauce, erst 1956 auf den Markt gebracht und brachte eine Blüte der modernen Dose.
Nun würde manch infame Lobby oder Interessenvertretung diesen Umstand klammheimlich aus der Wikipedia beseitigen, den Grund für WKI einfach auf den Anschlag auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand oder das schlechte Wetter abwälzen und hoffen, dass es keiner merkt. Nicht aber die Dosenköche! Wie bereits berichtet, suchen sie stattdessen bessere Möglichkeiten, zum Beispiel helfen sie vier Leuten beim ]grossen Dosentest, sich sechs Wochen lang hauptsächlich aus Dosen zu ernähren. Diesen Leuten kann man hier auch über die Schulter gucken, und es geht ihnen wie erwartet gut. Morgen mittag gibt es übrigens Nudelauflauf mit Erbsen und Möhren und davor eine Pfifferlingssuppe, wie wir aus gut unterrichteter Quelle wissen.
Mal abgesehen vom ewigen Ex-Frischgemüsewegschmeissen: Was wäre das für eine Welt ohne Büchsen? Die bizarre Idee, Linsen oder Bohnen am Tag zuvor einzuweichen, mag einen nur amüsieren, wenn man nicht um Viertel nach elf in der Wohnung ankommt, wo einen die Apathie des Mitbewohners, aber kein herzhaftes Nachtmahl begrüsst. Eingedoste Gerichte halten hingegen für einige kleine Äonen und sicher alle Abende, an denen der liebe Mitbewohner und seine drei Nachbewohner gekocht haben. Trauriger noch war die Welt ohne Dosenöffner, besonders nach Erfindung der Konservendose um 1810. Bis 1858, dem Jahr der Patentierung des Dosenöffners, wurden Dosen mit Hammer/Meissel, Steinen oder Bajonetten ihrer Dichtung beraubt. Man wundert sich im Nachhinein, dass sich der Begriff Dosensteinzeit für diese frustrationsreiche Periode nicht durchgesetzt hat.
Was aber auf der Erde (USA) noch Grosses aus Dosen entstehen kann, sieht man beim CANstruction-Wettbewerb: Dort werden jedes Jahr Skulpturen aus Konservendosen prämiert. Die Gewinner dieses Jahres verbauten 12.528 Dosen zur fleischfressenden Pflanze Audrey II; wahrscheinlich war es gar nicht so einfach, sie zu zählen. Bleibt nur noch eine Frage: Wie bitte baut man aus 3000 Dosen ein Möbius-Band?
He's not telling lies when he's using Mais: Stefan Marquard (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)Die Vorurteile über Lebensmitteldosen sind so alt wie Lebensmittel selbst. Zumindest wie die in Dosen. Die Dosenköche müssen handeln. Und zwar, wie es sich gehört, mit einem Experiment unter fachkundiger Advertorial-Aufsicht der Riesenmaschine: dem Dosentest.
Vier Probanden werden sich in den kommenden sechs Wochen vornehmlich aus Dosen ernähren: Alles, was es in Dosen gibt, muss auch aus Dosen gegessen werden. Ein nachgerade ketzerisches Vorhaben, bedenkt man, dass aus Dosen normalerweise Telefone oder Songschreiberinnen gemacht werden. Schade, aber was tut man nicht alles für die Wirtschaft Wissenschaft.
Dienstag morgen begann das Experiment – mit einer Blutabnahme für den Vorher/Nachher-Vergleich. Wir müssen schliesslich wissen, was genau nach sechs Wochen noch von den Testern übrig ist (abgesehen von über 400 Weissblechdosen Abfall). In einem Kölner Kochstudio versuchte sich Sternekoch Stefan Marquard dann tapfer an einem 3-Gänge-Menü aus Dosenzutaten. Die Tester entschieden basisdemokratisch über den Inhalt der Frühlingsrollen – und da zwischen der Sauerkraut- und Erbsenfraktion keine Eingkeit erzielt werden konnte, packte Marquard unter häretischen Reden ("Wer behauptet, er kocht ohne Dosen, lügt") kurzerhand beides rein. Vielleicht als Ergebnis geschickter Erwartungssteuerung ("Was kann da schon bei rauskommen?") schien es allen Anwesenden dann tatsächlich geschmeckt zu haben.
Protokoll des ersten Testtags: Geöffnete Dosen samt Inhalt darf man durchaus im Kühlschrank aufbewahren. Probandin Petra, 50, hatte Probleme, ihre Ration von über 100 Dosen in den vierten Stock zu expedieren, und es gibt tropenfest eingedostes Norddeutsches Schwarzbrot. Spätestens jetzt sollte eigentlich jeder Sinn und Sinnlichkeit der Dose erlegen sein.
Geschenkt (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)Geschmack ist eine äusserst subjektive Angelegenheit, die besonders in den herannahenden Tagen des Zwangs zum Geschenk wieder vielen zum Verhängnis werden wird. Da ist der eigene Geschmack vorzüglich und fein, der des Beschenkten hingegen aber unterentwickelt – und schon hat man den Schlamassel. Und zudem für diesen unter Umständen auch noch ein Vermögen ausgegeben. Von den Qualen verkaufsoffener Sonntage, der Pein der Fussgängerzone und den Schmerzen weihnachtlich dekorierter Kaufhäuser ganz zu schweigen.
Fremde Menschen, aufdringlicher "Service", Unübersichtlichkeit – nichts davon findet man auf DoorOne, dafür sehr viele Produkte bzw. Geschenke. Wer seinem gerade volljährig gewordenen Verwandten zum Beispiel Musik schenken mag – eine maximal subjektive Angelegenheit – kann über diese geschickt sortierte Internetsortierung zum Geschenk seiner Wahl bzw. der Wahl des Beschenkten kommen.
Metal (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)Also flugs "Musik" ins Suchfenster getippt und los geht der Kaufrausch: Dargeboten werden zu allererst diverse Zusammenstellungen, etwa "Schlagerschätzchen Folge 5" und die "Deutsche Schlagerfracht Folge 17" sowie ein Album namens "Jiddisch – The Eternal Mother", was – Alkohol, Ironie, Albernheit zum Teufel – nicht unbedingt für grosse Freude sorgen würde. Doch wenig wunderlich, wie man in den Wald ruft, so schallt es hinaus. Immerhin wäre fast nebenbei das Geschenk für die Grossmutter bereits gefunden und bestellt.
Doch für den Cousin, der in einem frühpubertären Entwicklungsstadium namens "Heavy Metal" stecken geblieben ist, gestaltet sich die Suche komplizierter: Zwar finden sich unter selbigem Suchwort Iron Maiden und Grave Digger, hauptsächlich werden einem aber glitzernde Uhren dargeboten – bzw. Gitarren und Verstärker. Was zunächst wie ein Versehen anmutet, entpuppt sich bald als sehr netter und gut gemeinter Rat: Dem verwirrten Jungen ist statt der Krachmusik zum Weihnachtsfest besser eine Uhr zu schenken. Und wenn es schon diese Satanistenmusik sein soll, dann soll er sie sich wenigstens selber machen. Man selbst hat ja auch nur den Chemiebaukasten geschenkt bekommen und nicht die fertigen Drogen. Bei allem Fortschritt, soviel Herausforderung muss sein.