Riesenmaschine

05.04.2006 | 12:17 | Alles wird schlechter | Sachen anziehen | Papierrascheln

Vorsicht, ein Trend geht um


Hedi Slimane und seine tollen Trends sehen Sie hier
Trends zeichnen sich im Allgemeinen dadurch aus, dass sie schnell kommen und schnell gehen und meistens ist das auch ganz gut so. Das Problem ist dabei, dass diejenigen, die von der Beschreibung oder Vermarktung dieser undurchsichtigen, kaum greifbaren Zeitgeistphänomene leben, unglaublich schnell sein müssen – sonst ist der Trend schon vorbei, ehe man ihn totschreiben oder ausverkaufen konnte. Was in diesem Geschäft zählt, ist alleine Schnelligkeit. Ahnung vom Objekt zu haben ist eher von Nachteil.

Max beispielsweise, offenbar nicht unbedingt ein Blatt, das zu grossen Wert auf "Inhalte", "Richtigkeit" oder sonstigen überflüssigen Ballast legt, erklärt seiner Leserschaft in der aktuellen Ausgabe unter der Rubrik What's Hot die neue Kollektion des französischen Designers Hedi Slimane anhand popkultureller Referenzen. Geschrieben steht da: "Besonders schöne Kombination: schwarzer Schlips aus Leder zu weissem Hemd und dunkler Röhrenjeans. Der neue Glam-Rock-Look erinnert an eine Mischung aus Mick Jagger und den Sex Pistols. Gefühlte Temperatur: heiss wie ein Gitarrenriff von Jimi Hendrix."

Auf eine Weise ist es schon wieder bewundernswert: Hier stimmt keine der genannten Referenzen, kein einziger Zusammenhang ergibt Sinn oder hat mit dem vorher Gesagten zu tun. Schlips und Jeans haben nichts mit Glam-Rock am Hut, Glam-Rock nichts mit Mick Jagger, Jagger nichts mit Sex Pistols und diese nichts mit Hendrix. Gottseidank muss man Slimanes neue Kollektion nur ansehen und nicht anhören. Einmal angenommen, sie sähe tatsächlich aus wie von Max beschrieben, man müsste mit dem schlimmsten Musikverbrechen seit Bastard-Pop rechnen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Das Z am Ende ist am Ende


02.04.2006 | 13:11 | Anderswo | Sachen anziehen | Zeichen und Wunder | Papierrascheln

Moresukine


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Zugegeben, es gibt im Jahr 2006 innovativere Ideen, als über seinen Auslandsaufenthalt ausgerechnet in einem Blog zu berichten. Und zugegeben, Tokyo ist jetzt nicht gerade der Geheimtipp unter den Millionenstädten dieser Welt, über den wir in Deutschland noch so überhaupt nichts wussten, ganz anders als z.B. das aufstrebende Hyderabad. Aber man kann so ein Tokyo-Blog halt trotzdem interessant und angenehm gestalten, wie Dirk Schwieger beweist. Woche für Woche bekommmt er von Freunden und Lesern Aufgaben und Fragen, wie etwa "Besuch das Studio Ghibli Museum!" oder "Wie kleiden sich die Japaner?", zugeschickt, über die er dann in Form eines kurzen Comics berichtet. Da dies auf vier Seiten eines handelsüblichen Moleskines gezeichnet ist, nennt sich die Serie entsprechend der japanischen Behandlung von Lehnwörtern Moresukine. Auch wir haben Dirk einen Auftrag gemailt und werden nun im Juli oder so entweder etwas über die Ginza Renoir-Café-Kette, ein Treffen mit Sam & Valley oder die Suche nach einem Stein in der Form Japans erfahren – vorausgesetzt, Dirk überlebt die vorher geplante Fugu-Episode.


31.03.2006 | 05:21 | Alles wird schlechter | Papierrascheln | Vermutungen über die Welt

Mittendrin statt nur dabei


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
In diesen Tagen des weltweiten Irrsinns ist es gar nicht mehr so einfach, sich ein Weltbild zuzulegen, das so falsch ist, dass man deswegen von allen vernunftbegabten Wesen verlacht wird. Das sollte man bedenken, bevor man sich über Robert Sungenis lustig macht, der gerade sein neues 1000-Seiten-Werk "Galilei Was Wrong" fertiggestellt hat, in dem er endlich und unzweifelhaft nachweist, dass sich die Sonne um die Erde dreht. Tausend Dollar hat Sungenis lange Zeit für einen Gegenbeweis geboten, auf seiner wirren, aber auch falschen, antisemitischen und häretischen Website. Keiner wollte das Geld, bzw. niemand konnte ihn überzeugen. Das Focaultsche Pendel, so sagt er zum Beispiel, ist gar kein Beweis für die Drehung der Erde, sondern nur dafür, dass wir einiges nicht verstehen, denn die Erde dreht sich ja gar nicht, so stünde es in der Schrift.

Die Schrift hingegen sagt auch, dass die Erde flach sei, jedenfalls manchmal, abundzu ist sie auch rund, und die mangelnde Eignung von Bibelzitaten als Argumente in der Sonne-Mond-Angelegenheit brachte schon Augustinus vor 2000 und den Vatikan vor mehreren 100 Jahren zur Empfehlung, von wörtlichen Interpretationen der Bibel Abstand zu nehmen. Dabei bräuchte man gar keinen Papst, um das geozentrische Weltbild zu widerlegen, denn noch nie hatte jemand recht, der vollidiotische Webseiten in zehn verschiedenen Schriftfarben ins Netz stellt.


30.03.2006 | 18:05 | Fakten und Figuren | Papierrascheln

Das Z am Ende ist am Ende


Wer möchte mit seinem Versicherungsvertreter
schon gemeinsam kiffen? (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Kaum ein Blog schiebt eine derartige Bugwelle der selbsternannten Trendpäpstlichkeit vor sich her wie die Riesenmaschine. Da bleibt es nicht aus, dass man hier und da und auch mal dort gefragt wird: "Was ist eigentlich ein Trend?" – Die Antwort ist so simpel, dass man ihr misstrauisch Komplexität unterstellt. Trend ist, wenn man etwas anders machen möchte als die meisten anderen, aber nicht als alle anderen. Trendbewusstsein hat also nichts mit Aktualität zu tun, sondern nur mit verkrampfter, angstgesteuerter Abgrenzung von den Typen, die man für die falschen hält.

"Wie lange lebt ein Trend so?" – Als untoter Zombie kann ein Trend ziemlich lange leben. Nehmen wir einmal den uralten Trend, in der englischen Schriftsprache Buchstaben und ganze Morphemketten durch Buchstaben zu ersetzen, die ähnlich ausgesprochen werden, zum Beispiel ein "s" am Ende eines Wortes durch ein "z". Das erste Mal dürfte dieser Mechanismus Mitte der 80er mit der Rapgruppe Niggaz with Attitude bzw. dessen Gründer Eazy E an eine grössere Öffentlichkeit gelangt sein. Dieser Trend, der sich auch im Internet zunehmend manifestiert hat, ist nun unwiderruflich und für längere Zeit tot.

"Wann ist denn ein Trend tot?" – Ein Trend ist mausetot, wenn eine Schweizer Versicherung ihn in eine Werbeanzeige einbaut. Spätestens dann.


21.03.2006 | 11:16 | Zeichen und Wunder | Papierrascheln

Tippen wie die Vorväter


"Rysn Maṡyn" auf Mandäisch (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Fast jeder kennt das Problem: Man möchte einen Brief auf Moabitisch schreiben, eine köktürkische Weisheit im Original zitieren oder einfach nur mal seinen Namen auf Altkretisch (Linear B) sehen. Und schon stösst Word an seine Grenzen. Die etwa 120 Schriftarten, die das neuzeitliche Textverarbeitungsprogramm vorrätig hält, tragen zwar so hochtrabende Namen wie Goudy Old Style, Herculanum oder Papyrus, aber so richtig alt und vergessen werden sie davon auch nicht. Geschweige denn, dass man sie von rechts nach links schreiben kann. Selbst mit der vielfältigen Symbole-Sammlung, die sich hinter Zapf Dingbats verbirgt, kann man keinen einzigen ganzen sinnvollen etruskischen Satz schreiben. Wie gut, dass es nun die Zeichen-Sammlung von Norbert Bartz gibt, die zwischen Altägyptisch und Zapotekisch so ziemlich alles versammelt, was Klang und Formen hat. Allein der Runen-Fan kann zwischen 17 Schriftsätzen wählen und sie sich teilweise als True Type Font auf die Festplatte packen. Griechische Alphabete gibt es gleich in 19 verschiedenen Variationen, die beliebten frühgotischen Minuskeln des 11. Jahrhunderts allerdings nur auf einer Tafel. Selbst das Internet ist leider immer noch nicht perfekt.

Jörg Meyerhoff | Dauerhafter Link | Kommentare (1)


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