Riesenmaschine

13.05.2007 | 02:25 | Alles wird schlechter | Fakten und Figuren | Sachen anziehen

Dysfunktionale Zahlen


Welcome, Number Overlords. (Foto: dark_imp666) (Lizenz)
Einem bejahrten T-Shirt-Witz zufolge spaltet sich die Menschheit in drei Gruppen: die, die zählen können, und die, die es nicht können. Eine Variante besagt, es gebe 10 Gruppen, nämlich die, die das Binärsystem verstehen, und die, die es nicht verstehen. Das stimmt aber alles nicht, in Wahrheit sind es nämlich drei Aspekte, der Mathematikversteher, der Mathematikverehrer und der Mathematikverächter, aus denen sich jede Person zusammenschrauben lässt. Dem letzteren Aspekt kann man, dem ersteren muss man nicht helfen, aber der in der Mitte, der die Zahlen nicht begreift, aber vor ihrer Objektivierungsmacht in Ehrfurcht erstarrt und sie sich als Werkzeug zunutze machen will, muss bekämpft werden, denn andernfalls nimmt er die Pistolen, die er sich aus Statistik, Spucke und Dreistigkeit geschnitzt hat, und schiesst mit ihnen die Welt über den Haufen.

Er führt dann zum Beispiel eine Studie an 140 Kindern durch, die ein Jahr dauert, und mit beeindruckend klingenden hierarchischen linearen Modellen nachweist, dass Kinder, die wenig Selbstvertrauen und negative Grundhaltungen haben, von Widrigkeiten leichter zu depressivem Verhalten getrieben werden. Es gibt, mit anderen Worten, zwei Sorten von Forschern. Solche, die das Offensichtliche ignorieren, und die, die es faktoranalytisch in seine Bestandteile Offen, Sich und Licht zerlegen und das Ergebnis dann publizieren. Leider nicht auf T-Shirts.


28.04.2007 | 10:23 | Alles wird besser | Sachen anziehen

It's Fara Day


E-Nostalgie (Foto: squelchey, Lizenz)
Gummischuhe mögen der Trend des Sommers 2007 sein, aber der Faraday-Käfig ist der Trend des 22. Jahrhunderts. Elektromagnetismus, die Geissel unserer Zeit, lässt sich nur mit Hilfe von Metallgittern bekämpfen, und solange es noch Metall auf der Erde gibt, wird man reich werden, wenn man Faraday-Käfige produziert, die, wenn richtig angewendet, die tödlichen Elektronen vom Körper abwenden. Im April 2007 wurde Sarah Dacre noch belächelt. Geplagt von WLAN-Terror und Mobile-Trubel. war sie eine der ersten staatlich geprüften Elektromagnetismus-Kranken, und ihr auf dem Kopf getragenes Faraday-Netz sah für die damalige Zeit kaum unmodischer aus als ein Moskito-Schutz. Aber schon bald danach, als Atom-U-Boote fortwährend explodierten, nuklearer Regen niederging, und zu allem Überfluss auch noch die Sonne koronale Strahlenstürme auf uns warf, wurde es unerlässlich, zuverlässige Faraday-Käfige, -Hüte, und -Decken in Massenproduktion anzubieten. Der Faraday-Käfig, "their time is NOW" – als Geschäftsidee praktisch das, was die Klimaanlage im Jahr 2007 war.


27.04.2007 | 16:22 | Alles wird schlechter | Sachen anziehen

Es wird ein extremer Sommer


Gummi-Clogs: "Sie werden so massiv über uns hereinbrechen, dass jeder Mensch zwei Paar gleichzeitig tragen wird." (Kathrin Passig) (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Wie auch immer die Menschheitsgeschichte verlaufen mag, ob linear geradeaus oder in Zyklen im Kreis herum, der unumstössliche Witz an ihr ist, dass jede Epoche mit völliger Übersteigerung ihrer Charakteristika abschliesst: Gegen Ende des Imperium Romanum wurde mehr gekotzt als gefressen, zum Ausklang der Scholastik ereiferte man sich in hässlichen logischen Spitzfindigkeiten, der Barock kippte nach der Explosion seiner kolossalen Sinnlichkeit um in die dröge Aufklärung und das Zeitalter der modernen Ideologien zerplatzte schliesslich in einem schillernden Atompilz. Was für Geschichte im Allgemeinen gilt, gilt für die Trendproduktion in Potenz: Die Anzeichen mehren sich, dass die Geschichte der Sommerschuhe sich einem vorläufigen optischen Fluchtpunkt nähert, und zwar in Gestalt von Gummi-Clogs in transästhetischen Formen und gleissenden Farbgebungen. Schon bald wird das ganze Land seine Fusswege mit diesen grobschlächtigen Pantoletten bemeistern und der furchtlose Betrachter kann sich an ihnen erfreuen, wissend, dass hier der Boden für Neues breitgetreten wird – wenn die Geschichte zyklisch läuft, dann nächsten Sommer vielleicht wieder barfuss, lediglich gekleidet in Schorf und Grind.

Ruben Schneider | Dauerhafter Link | Kommentare (21)


23.04.2007 | 01:05 | Alles wird besser | Sachen anziehen | Zeichen und Wunder

Die Kunst der Einen und die der Anderen


"Die Erkundigungen des Künstlers bieten keine fertigen Lösungen, schon gar keine unmittelbar nachvollziehbaren Interpretationen. Es scheint so, als wolle der Künstler mit seinen freien Assoziationen Schicht für Schicht abtragen, um hinter das Rätsel der Bilder zu kommen." (Wikipedia)
Bild: Rüdiger Wölk, Lizenz

Die Erkundigung dieses Künstlers hingegen bietet fertige Lösungen (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Am Samstag sassen wieder Millionen Fussballfans vor den Fernsehgeräten und rund 65.000 im Olympiastadion in Berlin und wunderten sich über das Ausrufezeichen, das die Trikots der Dortmunder schmückt. Wer im Internet nach einer Erklärung sucht, wird sicher leicht fündig. Erst wenn man sich aber fragt, wer denn die Gestaltung dieses Ausrufezeichens, dessen Punkt aussieht, als hätte Niki de Saint-Phalle auf LSD ein Spinnennetz zu zeichnen versucht, zu verantworten hat, wird man auf Otmar Alt stossen und sich wundern. Selbst wer dem schmierigsten aller Wikipediabeiträge misstraut und vermutet, dass dieser weitgehend vom Portraitierten selbst verfasst wurde ("Im Jahre 1956 beginnt Otmar Alt eine Lehre als Schaufenstergestalter und Plakatmaler. Die Gesellenprüfung im Jahre 1958 besteht er hervorragend und wird sogar mit einem Preis ausgezeichnet. In dem jungen Mann entwickelt sich der Wunsch, Modezeichner zu werden."), wird anhand von satten 84.800 Googletreffern mit Erstaunen feststellen, dass Otmar Alt offenbar in grossen Teilen der deutschen Bevölkerung für einen richtigen, ernsthaften Künstler gehalten wird.

Wir wissen nicht, was das für Menschen sind, wir kennen sie nicht. Vermuten kann man aber, dass es solche sind, die das, was auf der anderen Seite des Elfenbeinturms passiert ('Knut', ZIA, 2007), zwar möglicherweise 'süss' finden, jedoch kaum als Kunst bezeichnen würden. An der immer grösseren Kluft und dem grossen Befremden auf beiden Seiten droht die Gesellschaft zu zerbrechen – zum Glück gibt es kaum Kontakte zwischen den beiden Gesellschaftsteilen, allenfalls an einem Würstchenstand in Münster und eben beim Fussballschauen, das ist gerade noch zu verkraften.

Überhaupt ist das Ganze keine neue Entwicklung. Das Erscheinungsjahr des Buchs zum Phänomen (Hans Sedlmayer, 'Verlust der Mitte', 1948) legt nahe, dass das alles schon immer so war und gar nicht so schlimm ist. Ausserdem naht jetzt möglicherweise die Aufhebung der Kluft zwischen feuilletongestählter Intelligenzia und dem Lager der Liebhaber des "vordergründig meist heiter verspielt" (Wikipedia) wirkenden Werkes Alts und zwar aus dem Lager der manipulierten Photographie. Wir erwähnten bereits die auf der Art Cologne vorgestellten Rekonstruktionen romantischer Landschaften. Und auch vor den collagierten Landschaftsbildern Andreas Gurskys (Ausstellung im Haus der Kunst, München, noch bis 13. Mai) konnten wir erfreulich einheitliche Reaktionen quer durch alle Bevölkerungsteile feststellen: "Sind die gross! Geil", meinten die einen, "Sind die geil. Gross!" die anderen. Ob der BVB nächste Saison vielleicht einfach mit einem Gursky auf der Brust auflaufen sollte?


16.04.2007 | 21:35 | Anderswo | Sachen anziehen | Listen

Weimar Dessau Hongkong


Bauhaus Hongkong, gleich neben Joy Division, China
Der international erfolgreichste, deutschstämmige Markenname ist mit an SgW Bauhaus. Eine europäische Baumarktkette mit Zentrale in der Schweiz nennt sich bereits seit mehr als vierzig Jahren so; interessanter Weise darf sie nicht den Untertitel "Home Store" führen, denn das wurde ihr vom amerikanischen Konkurrenten Home Depot verboten. Bauhaus aber kann jeder heissen: Eine britische Post-Punk- bzw. Prae-Gothik-Band, ein Polstermöbelhersteller im Nordosten Mississippis, eine amerikanische IT-Firma, ein Buchcafé in Seattle, eine Immobilienfirma in Montenegro.

In Hongkong trägt die vor Ort grösste Kette für Casual Wear den klaren deutschen Namen. Hier werden Hosen- und Kleiderstücke von berühmten Bauhaus-Designern wie Walter Levis', Mies Sixty oder Hannes Chip & Peppers verkauft, und zwar auch mit Hilfe eines internetbasierten Retail Management Systems (Net-RMS). So weiss man in der Bauhaus-Zentrale sofort, wenn in einer Filiale die Kandinskys aus sind. Der zweiterfolgreichste internationale deutsche Marke aber ist mit an ngSgW Bräu- bzw. Brauhaus. Am unpopulärsten scheint gegenwärtig Die Kochmützen zu sein. Dieser Name ist international nur einmal vergeben, und zwar an ein deutsches Restaurant in Peking. Wer einem Amerikaner auch nur einmal beim Versuch zugehört hat, den Namen auszusprechen, weiss auch ganz genau, warum.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Wiedergutmachungsbäckerei

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (1)


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