Riesenmaschine

08.04.2007 | 22:31 | Alles wird besser | Was fehlt | Vermutungen über die Welt

Pollock auf Pilzen


So könnte auch Ihre Suche aussehen! (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Irgendeiner der vielen Usability-Päpste, die lustigerweise allesamt selbst unfassbar hässliche Webseiten haben, sagte Ende der 1990er Jahre: "Die meiste Zeit ist der User nicht auf Deiner Seite". So weit, so verquast, was er meinte ist, dass Seh- und Nutzungsgewohnheiten bereits durch andere geprägt worden seien, da beisse die Maus keinen Faden ab und nun stehe man da und müsse sich halt dem Mainstream anpassen, wenigstens in den Grundzügen, basta. Anfang des Jahrtausends wurde man mutiger im Netz, verwechselte Mut mit Flash, die Agenturen der Welt entdeckten das Wort "explorativ", was ein Euphemismus ist für: die Navigation versteht niemand bzw. erst nach einer halben Stunde.

Inzwischen gerinnt die an sich famose Usability in den falschen Köpfen allzuoft zu starrer Gleichmacherei, das gesamte Netz ist praktisch ein riesiges Amt randvoll mit Unüberraschendem, Erwartbarem, weil so viele nicht begreifen, dass andersartig und unverständlich keine Synonyme sein müssen; deshalb sieht im Internet 2007 immer eine Suche aus wie eine Suche wie eine Suche wie eine Seuche. Mit wie lautem Gesang muss man deshalb die psychedelische Farbsuche – ein niedlich behindertes Kind von Pollock auf Pilzen – des Marktplatzes für Selbstgemachtes, Etsy.com, loben? Man weiss es nicht, aber vielleicht programmiert jemand mal eine Suche für ungewöhnliche Suchen.


07.04.2007 | 00:51 | Nachtleuchtendes | Alles wird besser | Was fehlt

Der Ohrengürtel der Magnettauben


Das Gürtellicht zieht uns magisch an. (Foto: jmanners) (Lizenz)
Viele wichtige Dinge entgehen uns Menschen, weil wir keinen Sinn haben dafür. Neutrinoschauer, Alphazerfall und der Schmerz derer, die wir im Vorübergehen verletzen, sind nur drei wahllose Beispiele. Nicht wallos, andererseits, ist das Beispiel Erdmagnetfeld, denn zwar können Wale und allerlei anderes Gelichter vermutlich die Feldrichtung sehen, aber uns Affen blieb bislang zum Angucken nur die mittelbare Magnetfolge Nordlicht als Poster für die Toilettentür (innen, aussen hängt ja schon Friedrichs Eismeer).

Kognitionsforscher König in Osnabrück schaffte hier Abhilfe mit einem Gürtel mit 13 Handyvibrationsklingeln drin, der das Magnetfeld ausmisst und dem Träger per Vibration ständig anzeigt, wo es nach Norden geht. Endlich ständig wissen, wo es langgeht, ein Menschheitstraum wird wahr. Einen Neutrinosinn kann man sich ja bekanntlich durch Pilzeinnahme wachsen lassen, und Alphateilchen lassen sich mit Tumoren detektieren, fehlt nur noch ein Sinn aus der Beispielliste. Und wer braucht den schon?


03.04.2007 | 11:40 | Was fehlt

Urnenasche richtig nutzen


Dieser Stift war mal tot.
Bild von dort her (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die alten Ägypter waren Menschen der schlichten Symbole. Ein grosser Herrscher liess sich als Zeichen seiner Grösse auch ein grosses Grabmal bauen, fertig. Dass dabei ganz gerne mal getrickst wurde, behauptet ein Franzose namens Jean-Pierre Houdin, der nach intensivem Studium einiger selbstgebastelter 3D-Animationen herausgefunden hat, dass Pharao Khufu statt der bisher veranschlagten 100.000 Arbeiter nur 4000 gebraucht hat, um seinen persönlichen Grössenwahn in die Wüste zu klatschen, und ausserdem alles von innen nach aussen bauen liess, was viel einfacher ist als die bisher postulierten spiralförmigen Monumentalerdrampen.

Zu loben ist Pharao Khufu natürlich für das schicke, d.i. puristische Design. Pyramidenfömig, da gibt es nichts dran zu rütteln. Wer heutzutage stirbt, dem kann man nur wünschen, dass die Hinterbliebenen über einen ähnlich ausgebildeten Sinn für ästhetische Feinheiten verfügen. Der Urnenhersteller W. Völsing KG zum Beispiel bietet eine extrem hässliche Alternative zur herkömmlichen Urne an, nämlich Teile der Asche einfach in einem herzförmigen Anhänger mit sich herumzutragen, der auch noch den missglückt augenzwinkernden Namen Am-urn-lett trägt, während die Firma Algordanza menschliche Überreste in Diamanten presst und damit den Pathosvogel endgültig abschiesst.

Um Überresteverwertung mit Stil kümmert sich eine englische Designerin namens Nadine Jarvis, deren Post Mortem Research Programme Urnenideen produziert hat wie eine Urne, die nach drei Jahren von selbst vom Baum fällt oder Vogelfutterbällchen aus Asche und Vogelfutter, was dem Verstorbenen die Möglichkeit bietet, auch noch im Tod hässliche Flecken auf Denkmälern zu hinterlassen. Menschliche Asche lässt sich auch prima in Bleistifte pressen, um die 240 werden es beim durchschnittlichen Menschen, behauptet Nadine Jarvis. Nur ihre Bemerkung, dies wäre ein "lifetime supply" an Stiften ist vielleicht erstens ein wenig gemein formuliert und zweitens bestimmt nicht richtig.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Urnenwahl


30.03.2007 | 20:11 | Was fehlt | Zeichen und Wunder

Unfreundliche Übernamen


Autsch! (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die final nicht zu erklärende Neigung von Friseuren, bei der Benamsung ihrer Etablissements zum schlechten Wortspiel zu greifen, ist als Topos hinlänglich gut etabliert und damit sicher nichts, womit sich die Riesenmaschine befassen müsste. Allenfalls können wir den mutmasslichen End- und hoffentlich damit auch Totpunkt dieser Entwicklung verzeichnen, den ein Mannheimer Friseur gesetzt hat, indem er dem mässig originellen Namen "Notaufnahme" ohne erkennbare Not auf der Schaufensterscheibe noch ein "Hair einspaziert" beigesellte. Danach kann wirklich nicht mehr viel kommen. Schwerer wiegt, dass derlei marottenhafter Irrsinn nach wie vor auch auf Unternehmens- und Konzernebene grassiert. So wird vermeldet, dass der Karstadt-Quelle Konzern sich für sicher kein kleines Geld von einer Namensfindungsagentur als zukünftige Firmierung das sperrige Kunstwort "Arcandor" hat andrehen lassen. Mal abgesehen davon, dass die Assoziation von Arkanpolitik nicht gerade das ist, was als zeitgemässes Unternehmensleitbild durchgeht, weckt die schmierige Endung unheilige Erinnerungen an im Prinzip alles, was mit der New Economy zielstrebig Bauch oben gegangen ist. In dieser Hinsicht "ein typischer 90er-Jahre-Name", wie selbst dem Handelsblatt auffiel. Vor allem aber klingt es reichlich suspekt nach irgendetwas aus "World of Warcraft", und ist es wohl tatsächlich auch. Warum tun Menschen so etwas? Und warum schmeissen sie statt dessen nicht einfach den kostenfreien Web 2.0 Name Generator an? Jeder Name, den diese zauberhafte Website ausspuckt, wäre unterhaltsamer, sprechender und zeitgemässer, als dieser aufgeblasene Niedergang. Auch Friseure dürfen diese Seite übrigens benutzen.


29.03.2007 | 16:42 | Anderswo | Supertiere | Alles wird besser | Was fehlt

Tintenfischmillionen

Der gemeine Tintenfisch ist ein ungemein vielseitiges Tier, aus dem man alles Mögliche machen kann: Aufblasbare Kinderrutschen, Kopfmassagegeräte oder Handtaschen. In Amerika schmeisst man ihn auch gelegentlich aufs Eis und glaubt, das bringe Glück. Die Amis eben. In Hongkong benutzt man den Fisch zum Bus- , Tram- und U-Bahnfahren: Die Octopus-Card ist eine Smartcard, auf die man eine gewisse Summe Hongkongdollar lädt. Bei Fahrtantritt hält man sie vor ein Lesegerät, das einem das Fahrgeld dann von der Karte abzieht. Das ist nicht nur extrem praktisch, sondern spart auch viel Zeit. Damit sich aber der ganze Vorgang nicht gar so vernünftig gestaltet, haben die Hongkonger Verkehrsbetriebe (MTR) in der ganzen Stadt so genannte Fare Saver versteckt. An diesen Säulen kann der Passant seinen Tintenfisch aufladen, ohne etwas zu bezahlen: Ganze zwei Hongkongdollar spendiert die MTR pro Smartcard. Die Fare Saver sollen angeblich der Volksgesundheit dienen, weil sie die Hongkonger zum Laufen animieren (zum Fare Saver nämlich). Sie regen aber auch den Orientierungssinn des Ortsfremden an, denn die spendierten zwei Dollar gelten nur, wenn man seine nächste U-Bahn-Fahrt von einer ganz bestimmten Station aus startet; ansonsten verfällt die aufgeladene Summe.

Zugleich eröffnen die Fare Saver findigen Start-Uppern neue Geldmachmöglichkeiten. Hier sieht man einen Hongkonger am Fare Saver an den Midlevels-Rolltreppen gleich einen ganzen Stapel von Octopus-Karten aufladen, die er wahrscheinlich in einem Grossraumbüro oder einer gut besuchten Garküche eingesammelt hat. Offenbar ist der Mann schon länger im Geschäft, denn er wurde an selber Stelle schon im Oktober 2003 beobachtet. Erhält er von den Kartenbesitzern für jede aufgeladene Karte täglich auch nur ein paar Cent von den 2 Dollar, dürfte er in der Zwischenzeit ein kleines Vermögen angesammelt haben. Und morgen kauft er sich von seinen Tintenfischmillionen eine deutsche Maschinenbaufabrik oder Drogeriekette, während BVG, RMV, HVV usw. lustig weiter schlafen. Deutschland eben.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Octopus's Grave

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (5)


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