Riesenmaschine

07.01.2006 | 16:59 | Alles wird schlechter | Zeichen und Wunder

Drama Firmensongs geht weiter

Würde man gegen schlechte Werbung kämpfen, wäre es, als würde man sich mit Godot dazu verabreden, Sysiphos beim Felsenrollen zu helfen. Dass es gleichwohl nötig wäre, zeigt besonders schmerzhaft ein bereits häufiger besprochenes Thema, das einem die unterträgliche Seichtigkeit des Reims (wenn er schlecht ist) vorführt: Corporate Songs, Firmenlieder.

Anzufangen wäre eine unvollständige Übersicht mit dem bekannten Klassiker Westaflex, der sich auf der lyrischen Überholspur mutig vorwagt:
Die kontrollierte Wohnungslüftung Westa Air Control
Verbindet gute Luft und Wärme, ja, man fühlt sich richtig wohl,
unser gut geschultes Mitarbeiterteam ist motiviert,
weil die Zufriedenheit unserer Kunden grossgeschrieben wird
Filterluft und Abgastechnik – Westaflex

Dazu bemerkte Tex Rubinowitz korrekt, dass sich der Westaflex-Song anhört "wie die nie vermisste Verbindung zwischen Die Ärzte und Max Goldt". Es gibt inzwischen auch einen von Kindern gesungenen zweiten Song der sympathischen Abgastechniker.


Firmenliedbesitzer (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Aber nicht nur im maschinenbaulichen Bereich werden Firmenphilosophien vertont, auch Unternehmensberatungen wie Ernst & Young fühlen sich berufen, Gospelsongs wie "Oh Happy Day"(mp3-Download) umzudichten:
Oh happy day
when Ernst & Young
showed me a better way

Bei der grossen Konkurrenz auf dem Beratungsmarkt ist es kein Wunder, dass KPMG mehr tun musste, als nur mit einem eigenen Song (mp3) nachzuziehen:
KPMG – as strong as can be
a team of power and energy
we go for the gold
together we hold to a vision of global strategy


Im Wissen jedoch um die Aktuatlitätsverpflichtung und die Forderung der Kunden um präzise Markt- und Zielgruppenkenntnis bis in die Niederungen der Subkultur hinein, forcierte man einen Jungle Remix des KPMG-Songs, ebenso wie eine Hardrock-Version und als Bonusbonbon, man möchte vor Freude weinen, tatsächlich einen Teutonic Mix, der sich mit seinen Marschmusik-Elementen, dem wochenschauesk vorgetragenen Text und seinem Filmmusikstart anhört wie das Lied, zu dem Hans Zimmer, Rammstein und der Wagner-Clan Gruppensex haben.

Dass Corporate Songs nicht immer die gleiche Mischung aus Popimitat und Softrock-Surrogat enthalten müssen, zeigt ebenfalls das Con-Dentallabor, das mit einem famos heiteren Ragga-Bongo-Liedchen um Kunden wirbt. Auch der Text ist in jamaikanisch akzentuiertem Deutsch gehalten:

Zuerst fange sie zu wackeln anne
das keennt doch irgendwie jedamann
..
wier siend daas Con-Dentallaboorr
bai Zähnen macht uuns keiner wase vore
..
ist der Unterkiefere wege
ersetzene wir ihhn Dier komplette

Das Lied kann durchaus häufig hintereinander gehört werden, eine gewisse Fröhlichkeit kann man ihm nicht absprechen, ebenso wenig wie dem Con-Dentallabor Mut (zur Lücke).


Firmenlied- und Radrennenbesitzer (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Fast in normpop-hanseatischer Biederkeit präsentiert sich dagegen die Hymne der Hamburgischen Electricitäts-Werke HEW, ein Lied, dessen Intention sehr schwiemelig plump daherkommt. Es geht nämlich darum, dass sich zwar der Name des Energieversorgers ändern sollte – die Tradition jedoch bestehen bleiben sollte:

Wir sind Hamburg, ja, Hamburg sind wir,
die Energie dieser Stadt, die liefern wir,
ein Name verschwindet, doch wir bleiben wir,
egal welcher Name, egal wie man heisst,
ja, wir sind Hamburg – in altem Geist


Modern dagegen gibt sich Windmann Glas mit einem Lied namens "Welt aus Glas", das "die Klangwelt Glas" erzeugen sollte. Es ist selbst im internationalen Vergleich professionell gemacht, hat einen vertonten Weichzeichner-Charme und hört sich an, als hätte Wham auf Prozac eine Ode an Glas geschrieben. Der Text kackt dagegen eine Nuance ab, ist aber konsequent und nennt immerhin nicht den Firmennamen.
Glas fasziniert, verschönert unsere Sicht,
eine Welt aus Glas ist eine Welt voller Licht



Firmenliedbesitzer (nicht im Bild) (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Licht und Energie scheinen thematisch und inhaltlich die Existenz von Firmensongs zu fördern, denn auch internationale Energiekonzern BP hat sich aus nicht nachvollziehbaren Gründen entschlossen, eine an vertruckter Western-Piefigkeit nicht zu übertreffende Firmenhymne in die Welt zu setzen "BP – Wir bringen Sie in Schwung" (auf Firmensong klicken, dann die kleinen Lautsprecher anwählen):

Manchmal fährst Du mit dem Wind,
Du siehst die Sonne, die versinkt,
immer weiter gradeaus,
komm' halt mal an und ruh Dich aus
BP – wir sorgen für Bewegung
BP – wir bringen Sie in Schwung

Nicht nur, dass im Text des Liedes zwischen "Du" und "Sie" alle paar Sekunden gewechselt wird, auch der Inhalt bleibt völlig unklar, ausruhen oder in Schwung bringen, was denn nun?


Firmenliedbesitzer (zwei) (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Auch die Post hat bei derselben Firma einen Firmensong herstellen lassen:
Kleb mal ne Marke drauf – Deutsche Post
Es ist Dein grösster Traum, dass Du Deine Liebste in den Armen hältst,
schreib Ihr 'nen Brief und kleb 'ne Marke drauf, damit Du Dich nicht endlos quälst,
denn das sagt mehr als mancher Blumenstrauss zu sagen vermag
und die Antwort bringen wir, na klar, schon am nächsten Tag

Diesem Text ist letzlich nichts mehr hinzuzufügen, was nicht sowieso durch die lachtränenerstickte Stimme kaum zu hören wäre.

Eine abschliessende Beurteilung der Firmensongs ist zwar kaum möglich, weil die Bandbreite der Unfassbarkeiten ein Mass erreicht, dem man mit Worten kaum gerecht werden kann. Festzuhalten bleibt aber zweierlei. Zum einen besteht der Holz-Weg zum Firmensong an sich aus aneinandergelöteten Fettnäpfchen verschiedener Grössen, Ausnahmen: Keine. Zum anderen ist selbstverständlich der Riesenmaschine-Song bereits im Stadium der Planung. Wo er hoffentlich auch noch lange bleiben wird.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Arbeiterlieder


Kommentar #1 von Cor:

Zum Teutonen-Mix möcht ich mich vermehren.
Danke für das sicherlich schmerzhafte Erstellen dieser Firmensongliste.

07.01.2006 | 18:41

Kommentar #2 von irgendwem:

Schmerzhaft ist die Kampagne und der dazugehörige Song des Verbandes der Holzwirtschaft in Österreich (PROHOLZ), im Spot malt eine Art mittige Punkette mit blauem Iro mit blauer Farbe auf Glas blaue Bäume, unterlegt ist das mit einer Art holprigem Rap mit Querflöte. Man muss sich Fremdschütteln vor Ekel, wenn man sich vorstellt, wie die Präsentation gelaufen sein muss, als die "Kreativen" diesen makabren Mischmasch den österreichschen Förstern und Waldarbeitern vorgeführt haben
http://www.proholz.at/holzistgenial/movies/ROHSTOFF.mpg

07.01.2006 | 19:04

Kommentar #3 von Klaus Cäsar:

Wohingegen der Firmensong, den ich seinerzeit kurz nach der Gründung der Zentralen Intelligenz Agentur verfasst hatte, über das Stadium der Präsentation nie hinauskam. "Hmmm-ja", meinten die ZIA-Bosse und rieben sich verlegen am Kinn, "man könnte das, eventuell, äh, also vielleicht demnächst, wir müssen da jetzt erst, mal sehen, lassen Sie uns Ihre Karte da, wir rufen Sie auf jeden Fall an." Haben sie natürlich nicht, und so erklärt es sich, dass die ZIA heute kein Global Player, sondern eine verhutzelte Pissklitsche ist.

08.01.2006 | 01:21

Kommentar #4 von Die Stimme der freien Welt:

Der Vollständigkeit halber möchte ich noch auf Kaisers verweisen.
http://www.die-stimme-der-freien-welt.de/post/20051224/kaisers_tengelmann

08.01.2006 | 12:02

Kommentar #5 von achüm:

auch die düsseldorfer drupa hat tolle songs:
http://www.messe-duesseldorf.de/drupa/en/sp_song_2.html

08.01.2006 | 15:50

Kommentar #6 von Jan:

der holz-spot ist wirklich surreal doof.

09.01.2006 | 03:25

Kommentar #7 von irgendwem:

vor allem dieser grässliche trotzig arrogante Blick zum Schluss, was mag das wohl bedeuten, Holz und ich, wir sind schon ganz dicke, uns kann keiner was? Lustig find ich hingegen, dass sie in einer Sequenz einen Ast voller Eulen malt. Aber vielleicht war das gar nicht so schwer für die Agentur (Saatchi & Saatchi) das den Förstern zu verkaufen, weil die sowas für supermodern halten

09.01.2006 | 12:24

Kommentar #8 von Philip:

Um hessisch für "jamaikanisch akzentuiertes Deutsch" zu halten, muss man wohl Berliner sein.

10.01.2006 | 21:08

Kommentar #9 von docflo:

der apple firmensong ist eine coverversion von "what a feeling":
http://www.mac-essentials.de/mov/We_Are_Apple.mov

17.01.2006 | 18:46

Kommentar #10 von kzuse:

Dazu passend:
AntiVir (Virenscanner): http://www.antivir-pe.de/uploads/media/Security_and_more.mp3
Convar (Datenrettung): http://www.convar.de/wave/convar.mp3
TechniSat (Satellitenreceiver etc.): http://www.technisat.de/music/TechniSong_192kBit.zip

06.02.2006 | 10:46

Kommentar #11 von Doreen:

Sind diese Songs eigentlich alle ernst gemeint? Erhoffen sich die Macher von derart verkorksten Texten wirklich eine positive Auswirkung auf die Identifikation der Mitarbeiter mit ihrem Arbeitgeber? Für mich hört es sich in den meisten Fällen so an, als seien diese Songs nur mit 1,5 Promille auf der alljährlichen Weihnachtsfeier zu ertragen.

07.01.2008 | 16:13

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