Riesenmaschine

12.01.2006 | 12:14 | Anderswo | Alles wird schlechter | Sachen kaufen | Vermutungen über die Welt

Der Kampf geht immer, immer weiter

"Der hipste Ort zum Ausgehen in Saigon alias Ho Chi Minh City ist derzeit eindeutig und mit Abstand das Quán 30 an der Nguyen Thai Hoc", befand im Oktober letzten Jahres unser temporärer Vietnam- Korrespondent. Jetzt hat das teuerste, weil rechercheaufwändigste Blog Deutschlands noch mal nachgekuckt, und musste feststellen: Aber sehr unhip, wenn es ans Bezahlen geht. "Das ausnehmend hübsche weibliche Personal" verwandelt sich in eine Horde Furien, wenn man es wagt, die überhöhte Rechnung zu reklamieren. Es versucht sodann, den einfach mal so ausgedachten Vollmondpreis durch Aufschlüsseln in Einzelpositionen zu rechtfertigen, wozu es eines etwa halbstündigen Beratungsprozesses bedarf, um auch exakt auf die zusammenphantasierte Summe zu kommen. Rechnet man den Damen in den "täglich wechselnden sexy-engen T-Shirts" schliesslich anhand der vietnamesischen Speisekarte kurz vor, was man tatsächlich zu bezahlen hat, kommt eine angestürmt, ersetzt den falschen Preis kurzerhand durch den echten und knallt sehr böse die Rechnung auf das Tischchen. Dabei wird man von einem stilisierten Stilettoblick durchbohrt, als habe man persönlich Ho Chi Minh erschossen.

Überhaupt gebärdet sich nahezu die halbe vietnamesische Dienstleistungsbranche so, als sei der "amerikanische Krieg", wie der Vietnamkrieg hier heisst, noch lange nicht zu Ende. Der moderne Vietcong kämpft allerdings nicht mehr gegen das US-Imperium, sondern gegen die Touristen im Lande, wobei es egal ist, ob es sich um Koreaner, Europäer oder Bangladeschis handelt. In diesem Volkskrieg neuen Typs verlangen die Kämpfer das Doppelte bis Fünffache des regulären Preises für Obst oder Zigaretten, schlagen beim Auschecken eine zehn- bis fünfzigprozentige "Government Tax" auf die Hotelrechnung (hauptsächlich in Mini-Hotels in Hanoi) oder arbeiten mit manipulierten Taxiuhren oder gefälschten Eintrittskarten.



Dabei stellen sich die Guerilleros nicht immer so geschickt an wie das historische Vorbild. Der Wirt des Cafe Maxx im schön gelegenen Dalat drückt einem zwar gleich freudig seine englischsprachige Speisekarte in Hand, hat aber im Inneren des Lokals leichtsinnigerweise noch eine vietnamesische liegen. Fragt man ihn interessiert, wie sich denn die höheren Preise für die Ausländer erklären, behauptet er: "Die bekommen grössere Portionen." Wer dann nicht locker lässt, ihm die Getränkeliste zeigt und fragt: "Auch grössere Bierflaschen?", der wird mit der entsetzlichsten Waffe konfrontiert, die die Devisen-Befreiungsfront im Repertoire hat: Einem breiten, stummen Killerlächeln.

Lächelnd wurde der RM-Korrespondent auch von einer niedlichen Strassenverkäuferin in Hanoi abgezogen. Auf die Frage, weshalb ihre Brötchen denn so viel kosten, flötete sie: "Weil Schokolade drin ist." Zur Strafe für diese hundsgemeine Schummelei soll jedes Gericht, das sie in diesem Jahr verzehrt, nur nach Nutella schmecken.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Vietnam III: Quán 30, HCMC

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (9)


Kommentar #1 von Stimmt zwar:

aber man sollte doch nicht so kleinlich sein, wenn man statt 20 Cent 80 Cent zahlt für sein Essen. Wir Deutschen habens ja im Gegensatz zu den Vietnamesen. Es ist auch in anderen Ländern üblich, das es besondere Touristen-Preise gibt.
Wir haben in Vietnam letzten September aber die gleichen Erfahrungen gemacht und uns erst auch geärgert. Aber mal ehrlich, es tut einem nicht wirklich weh. 3 Wochen Vietnam für pro Kopf 300 € inkl. Unterkunft und Verpflegung rumreisen ist gar nix!

12.01.2006 | 14:52

Kommentar #2 von Stimmt zwar auch wieder:

... aber es ist ja in Deutschland auch nicht so, dass reiche Menschen mehr für ihren Döner bezahlen müssen als arme. Der Gastgeber darf sich gern am Touristen bereichern, aber er möge es bitte nicht so ungeschickt anstellen, dass sich der Tourist gekränkt und gefoppt fühlt. Das ist nicht zu viel verlangt.

12.01.2006 | 15:03

Kommentar #3 von Hansen:

Einst, in Prag, lag die Touristenversion der Speisekarte unverblümt neben der der einheimischen. Ich weiss nicht, ob das heute, mehr als 10 Jahre danach, noch immer so ist. Wir gingen dann lieber dorthin, wo man nicht mit Touristen gerechnet hatte. Das hat sich gerechnet.

12.01.2006 | 15:12

Kommentar #4 von irgendwem:

Erregender Text, vollkommen neue Erkenntnis: Touristen werden von Einheimischen im Ausland beschissen. Bizarre Links: Nutella, folgt man dann dem Link, landet man bei der Firma Nutella und nicht wie erhofft bei eingedoster Scheisse, und bei Stilettoblick nicht bei einer interessanten Fetischgemeinde, sondern bei einem schnöden Kleiderkaufhaus. Schwächster Text des Jahres

12.01.2006 | 15:49

Kommentar #5 von Loser Blissett:

Der Soya-Drink für Ausländer ist allerdings billiger. Man möchte nicht wissen, warum.

12.01.2006 | 16:27

Kommentar #6 von Bizarro:

Das ist nicht der Soya-Drink. Auf der Ausländer-Karte wurde das billige Saigon-Bier weggelassen.

12.01.2006 | 16:45

Kommentar #7 von snlr:

Selbst schuld wer für den Orange juice 13 Tacken bezahlt.

13.01.2006 | 03:04

Kommentar #8 von Kira:

zu kommentar #2
kein passender vergleich. sie lassen sich von reicheren einheimischen nicht mehr bezahlen.
aber du hast recht. es ist irgendwie nicht supersympathisch.

13.01.2006 | 09:05

Kommentar #9 von irgendwem:

"Der Gastgeber darf sich gern am Touristen bereichern, aber er möge es bitte nicht so ungeschickt anstellen, dass sich der Tourist gekränkt und gefoppt fühlt. Das ist nicht zu viel verlangt."
Nein, das ist wirklich nicht zuviel verlangt, liebe Ausländer, bitte beim Kränken und Foppen nicht mehr so ungeschickt anstellen, okay? Und Eure Armut und Touristenverachtung bisschen besser verbergen, immer ganz lieb sein, dann dürft Ihr auch bescheissen, ABER ZIVILISIERT bitte, wart Ihr noch nie in Italien? Die können das! Ok, da gehts um ein bisschen mehr als bei Eurer Pisswährung

13.01.2006 | 09:47

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