Riesenmaschine

31.03.2006 | 17:53 | Anderswo | Sachen anziehen | Zeichen und Wunder

Urnenwahl


"Da es in der Schweiz
bezüglich dem Umgang mit
Leichenasche kaum gesetzliche
Bestimmungen gibt, sind der eigenen
Fantasie im Umgang mit ball of life™,
dem Innengefäss und seinem
Inhalt kaum Grenzen
gesetzt." (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Wer in Deutschland lebt, hat es ja nicht so schlecht. Er kann sich mitten in der Nacht eine Kiste Bier in einen der zahlreichen und gepflegten Parks liefern lassen und er kann ganz viele lustige Parteien wählen. Wer in Deutschland hingegen tot ist oder es werden möchte, der hat es nicht leicht. Denn will er sich nicht mit unsicheren Do-it-yourself-Methoden, sondern würdevoll und für immer aus Deutschland und dem Rest der Welt verabschieden, muss er seinen Wohnsitz in die Schweiz verlegen und sich hier melden. Später haben seine Angehörige dann noch einen Haufen Formalitäten zu erledigen, um den Toten zurück nach Deutschland zu transportieren. Zurück in Deutschland untersteht der Tote dann aber in Form des sogenannten 'Friedhofzwangs' schon der nächsten Bevormundung – er muss unter die Erde oder zumindest eingeurnt in eine dunkle Nische auf dem Friedhof. Will er seine Asche in gewohnter Umgebung aufbewahrt wissen, muss er nach Holland reisen, sich dort kremieren lassen und seine Angehörigen müssen ihn dann zurück über die Grenze schmuggeln ("Ach, das ist nur löslicher Cappuccino").

Schön ist das alles nicht. Nicht gerade Abhilfe, aber zumindest Linderung könnte nun das etoy-Projekt 'mission eternity' bringen. Der mission eternity User wird zu Lebzeiten digital erfasst; nach seinem Tod tritt seine Kapseldatei eine Reise durch das Netz an, vervielfältigt sich und versucht sich auf möglichst vielen Rechnern und Handys zu installieren und so ihre Existenz zu sichern. Sie kann von dort auch Bankgeschäfte tätigen, SMSe verschicken oder Telefonanrufe tätigen. Der Friedhofzwang hat aber auch seine guten Seiten. Er setzt der Fantasie von Leuten Grenzen, die sich the Urnpeople nennen und geschmacklose Urnen mit Namen wie 'Jembele' oder 'Ball of Love' auf den Markt bringen, denen man dann unvorbereitet im Museum oder im Wohnzimmer der Schwiegereltern begegnet.

("Friedhof: Design – Gestaltung zwischen Ewigkeit und Vergänglichkeit" noch bis zum 1. April 2006 im Museum Bellerive in Zürich)


Kommentar #1 von Korinth:

"bezüglich dem Umgang mit"
Fuck deutsche Sprache.

31.03.2006 | 18:05

Kommentar #2 von Kathrin:

Die deutsche Sprache wurde hier ausnahmsweise nicht von uns gefickt, sondern von besagten Urnpeople.

31.03.2006 | 18:34

Kommentar #3 von zurg:

sterben ist ja per se keine angenehme sache. wer sich aber in den schaufenstern deutscher bestatter umsieht, findet dort gefässe in denen man nicht mal widerborstige sukkulenten unterbringen möchte. für denjenigen, der für einen geliebten, wohlmöglich jungen menschen eine letzte ruhestatt kaufen muss, keine angenehme aufgabe.
da wäre mal ein designwettwerb fällig , ansonsten kann man ja auf die schwäbische alternative zurückgreifen: "der opa kommt in die eieruhr – der muss schaffe!"

31.03.2006 | 19:29

Kommentar #4 von cap.:

Was jedoch sofort auffällt ist ein neuer Autor, denn Phrasen wie "ganz viele lustige Parteien" klingen derb nach selbstbewusster Oberstufen Schreibe.
Und wenn man sich schon an 'nem Genitiv reibt, warum dann nicht daran " Er setzt der Fantasie von Leute grenzen" ?
Von mir ein "abgelehnt" und ab in den Papierkorb.

31.03.2006 | 20:56

Kommentar #5 von Kathrin:

Ein neuer Autor, mhm mhm.

31.03.2006 | 21:10

Kommentar #6 von cap:

bla – ich wusste es, dann von einem neu und ungeahnten schlechten niveau geplagten autor – jetzt ist der fehler ja korrigiert

01.04.2006 | 18:05

Kommentar #7 von Wurmbrand:

Es mag überraschen, dass ausgerechnet Keith Richards eine interessante Alternative zur Verwertung menschlicher Überreste einbringt: Aber das Einnehmen eines Asche/Kocks-Coctail durch die Nase ist doch nun wirklich was Neues. Auch und gerade im Vergleich zur Ägyptischen Kultur: Dort wurde das Gehirn durch die Nase aus dem Schädel gezogen, um aus dem Rest eine haltbare Mumie zu machen. Keith Richards macht es umgekehrt: Er saugt die Überreste seines Vaters durch die Nase ein. So nimmt nun der Senior beim Filus den Platz des Gehirns ein. Eine schöne Sache, finde ich.

05.04.2007 | 11:16

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