Riesenmaschine

29.03.2011 | 18:12 | Anderswo | Alles wird besser | Essen und Essenzielles

Milchbar


Verdichtung durch Doppelnutzung: Gartenbeiz trifft Nachtclub (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Zürich, so hört man in Zürich immer wieder, habe die "höchste Clubdichte" aller Europäischen Städte. Der Tourismusverein wird ebenso wie das Stadtmarketing nicht müde, dies zu betonen, auch in Informationsbroschüren für ausländische Studenten und ähnlichen Publikationen findet sich die Information immer wieder. Die "Clubdichte" übertreffe jene von Millionenstädten wie London, Berlin, Tokyo oder auch Los Angeles bei weitem. Wer das Nachtleben von Zürich kennt, beginnt da automatisch darüber nachzudenken, was denn "Clubdichte" überhaupt für eine Messgrösse sein soll und ob nicht, jetzt mal rein mathematisch betrachtet, die Clubdichte in einem kleinen Dorf, in dem in einem Stall ein Countryschuppen betrieben wird, sogar noch unfassbar viel höher ist als in Zürich. Und ob die jeweiligen Statistikämter anderer Städte überhaupt eine Veranlassung sehen, diesen Messwert zu ermitteln. Aber vermutlich will das offizielle Zürich mit dieser Angabe auch nur Neid hervorrufen, Neid und Eifersucht in London, Berlin, Tokyo und Los Angeles.

Doch neidische oder wenigsten anerkennende Reaktionen zum Zürcher Nachtleben bleiben aus diesen Städten ebenso beharrlich wie rätselhafterweise komplett aus. Und so besinnt sich Zürich wieder auf das, was es vielleicht tatsächlich eine Spur besser kann als andere Städte: Vernunft, Nachhaltigkeit und eine Art von egalitärem Zugang zur Stadt für alle. Weil nämlich diese ganzen schönen Club-Räumlichkeiten tagsüber nie und zum Teil sogar nur am Wochenende benutzt werden, bietet es sich ja nun an, dort eine temporäre Nutzung anzubieten und zwar für alle; also auch für solche Stadtbewohner, die einen Club sonst nie betreten würden. Und so hat eine Gruppe von Künstlern eine mobile Küche gebaut und ein paar Bierbänke gekauft. Damit tingeln sie unter dem Label Milchbar Zürich durch die Zürcher Clubs, wo sie in der etwas unwirklich anmutenden Atmosphäre eines Clubs zur Mittagszeit ein Menu anbieten, wie es kostengünstiger in Zürich nirgends zu haben ist. Und so hat Zürich vielleicht bald einmal nicht nur die höchste Clubdichte Europas, sondern auch die am dichtesten genutzten Clubs. Und vielleicht klappts ja dann auch mal mit dem Neid aus anderen Städte; zumindest dürften Gastronomen aus Berlin schon mal neidisch darauf sein, dass der Zürcher ein Mittagessen für 10Sfr. (knapp 8€) als wirklich richtig günstig, ja geradezu spottbillig, empfindet.


21.02.2011 | 00:28 | Anderswo | Sachen kaufen | Essen und Essenzielles | Vermutungen über die Welt

Sinnlosestes Produkt der Welt entdeckt!


Natur versus Kapitalismus: Es steht Unentschieden (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Nicht nur um zu ihrer alten Stärke zurückzufinden, hat sich die Riesenmaschineredaktion für eine Arbeitswoche auf Fuerteventura zurückgezogen. Schnell wurden die unterschiedlichsten Konzepte zu einer weiteren Verbesserung der Welt entwickelt. Ein erster Entwurf sieht etwa vor, die Natur zukünftig marktwirtschaftlich zu organisieren. In einer funktionierenden Privatwirtschaft wäre es nämlich nahezu undenkbar, dass ein Produkt wie Sand seit Jahrtausenden keinen Deut weiter entwickelt würde. Einfach mal hinschütten und gut ist – sowas gibts im Kapitalismus nicht. Längst gäbe es nicht-scheuernden, nicht-klebenden und kinderfreundlichen Kunstsand in verschiedenen Geschmacksrichtungen, den man nicht ständig aus dem Haus wischen müsste, weil er gar nicht erst zwischen den Zehen kleben bliebe.

Fröhlich brachte Friebe ein Sixpack Bier, zufrieden mit der gewonnen Erkenntnis und dem der Welt geschenkten Benefit, während Albers eine Chipstüte öffnete. Oder zumindest das, was er dafür hielt, ein Produkt namens "Picos Camperos". Doch was da zu knabbern drin war, stellte sich als so sinnlos und unnütz heraus, dass die gute Laune fassungsloser Enttäuschung wich: Albers hatte das sinnloseste Produkt der Welt geöffnet; es ist weder salzig noch süss, weder knusprig noch fluffig, weder gut noch schlecht. Es ist Mehl, das von den Kräften der eigenen Stärke in seiner pasta-ähnlichen Form gehalten wird. Geschmack hat es keinen. Wer stellt so was her. Und warum? Ohne dass ein Wort darüber hätte gesprochen werden müssen, war der ganzen kleinen Firma klar: Es hätte in der freien Natur nicht überleben können.

Zweifel mischten sich in die letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Schweigend wurde das Abendessen eingenommen. Früh gingen alle ins Bett.


06.07.2010 | 13:36 | Anderswo | Alles wird besser

Gentrifizierung mit menschlichem Antlitz


Wasser, Seife, Fön, Spritze; in Zürich wird nichts vergessen. Bild: Ph. Hübner

In Zürich haben auch Drogenkonsumenten ein Recht auf gutes Design und hübsche Piktogramme. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Wir erinnern uns: Bis ca. 2007 war die Zürcher Josefswiese ein ganz normaler, kleiner Park in Zürichs Kreis 5. Familien, Szenis und ein paar Randständige verbrachten dort ihre Abende im Schatten der Kehrrichtsverbrennungsanlage und des historischen Bahnviadukts. Doch irgendwann 2008 muss Rolf Vieli, dem Leiter des Aufwertungsprojekts Langstrasse Plus – einer Art städtischen Büros für Gentrifizierung – zu Ohren gekommen sein, dass auf der Josefswiese hin und wieder Drogen konsumiert werden und dass der Kiosk wieder einmal neu gestrichen werden müsste.

Es wurde bei Fachleuten für Sozialforschung und Sozialanalyse ein Gutachten in Auftrag gegeben, das auf gut 50 Seiten das Verhalten der Städter nach Geschlecht (40% Weiblich, 49% Männlich, 11% unbestimmt, siehe S.4), Aufenthaltsbereich, Aktivität, Bewegungsabläufe, Art der Bewegung, Konsum, Image, Konflikten und Hunden in Abhängigkeit der Sonnenscheindauer und des Temperaturverlaufs analysierte. Neben der Erkenntnis, dass nachts weniger Kinder anzutreffen und "Telefonkabinen, Abfallkörbe, Lichtkörper und Sitzgelegenheiten" nicht nur "gut platziert", sondern auch "einheitlich gestaltet" sind (S.52 f), wurde festgestellt, dass eigentlich alles ganz gut, sicher und sauber ist.

Das Problem wurde nun auf gewohnt zürcherische Art angegangen: mit viel Geld und gründlich. Die ganze Anlage wurde komplett saniert, der denkmalgeschützte Kiosk perfekt instand gestellt, die Eis-Auswahl auf die üblichen LOHAS-Sorten (mit Bio-Agavendicksaft gesüsst, in Zürich unter fairen Bedingungen hergestellt, von Fahrradkurieren ausgeliefert) umgestellt. Dass nicht nur der Umbau, sondern danach auch das Bier gerne ein bisschen mehr kosten darf, daran hat man sich in Zürich mittlerweile gewöhnt.

Nur dort, wo vorher ein paar gewöhnliche Toiletten waren, finden sich jetzt diese pflegeleichten Chromstahlboxen, die es mittlerweile auch auf jeder Schweizer Autobahnräststätte gibt – eine All-in-One-Lösung, die für alle Anwendungen mit einem einzigen grossen Becken auskommt, was wir an dieser Stelle nicht näher erklären wollen. Hier kollidierten wohl die Anliegen der WC-Behörde ("Züri-WC" – sauber und sicher) mit denen der Aufwertungsstelle.

Doch natürlich wäre Zürich nicht Zürich, wenn man nicht einen Kompromiss gefunden und dieses Standardmodell noch ordentlich aufgebohrt hätte: Anstelle der Chromstahlwände finden sich hübsche, rückwärtig grau-blau gespritzte Glaswände, die Decke ist aus hinterleuchtetem Milchglas gefertigt. Und falls sich doch irgendwann noch ein Randständiger in die nunmehr schicke "Josi" verirren sollte, wurde mit dem separaten Einwurf für gebrauchte Spritzen auch seinem Bedürfnis nach einer ordentlichen Mülltrennung Rechnung getragen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Swissialism, update


02.07.2010 | 16:27 | Alles wird besser

Free Repair


"Ach, ich bitte Sie, das ist doch eine Selbstverständlichkeit, gerne geschehen, auf Wiedersehen, Herr Filialleiter"; Bilder: (c) Roland Roos (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Alles wird ja immer schlechter, geht den Bach runter und kaputt, zumindest solange es nicht gehätschelt und gepflegt und von Kabelbindern zusammengehalten wird. Werden die physischen Dinge der Welt nicht von einem ständigen Strom aus Aufmerksamkeit, Geld und Schweiss versorgt, sind sie allesamt schnell defekt und am Arsch. Im öffentlichen Raum beschleunigt das, was in bürgerlichen Kreisen gerne als "Street Art" bezeichnet wird, diesen Prozess leider oft noch zusätzlich. Eine löbliche Ausnahme hat die Riesenmaschine bereits beschrieben, doch Roland Roos berührt mit seinem Projekt "Free Repair" noch deutlicher den Kern des Problems.

Roos reiste zwei Jahre durch Europa und reparierte – ohne Auftrag, aber auch ohne Erlaubnis – alles, was ihm Kaputtes zwischen die Finger kam: Zäune, Strassen, Möbel, Schilder, Firmenlogos, Beschriftungen, Fenster, Schaufenster oder Autoreifen. Roos hat eine handwerkliche Ausbildung und arbeitet professionell und mit gewohnt schweizerischem Perfektionismus. Die meisten Interventionen sind also, kaum abgeschlossen, gar nicht mehr sichtbar.

Schon die Vorstellung, wie der Leiter einer kleinen Filiale eines Discounters eines Morgens ins Geschäft kommt und das defekte Firmenschild, dessen Reparatur er schon so lange aufgeschoben hatte, einfach wieder ganz ist, macht grinsen. Doch die Vorstellung, wie Roos in einem OBI-Baumarkt Werkzeuge, Materialien und Farben kauft, um den OBI-Biber vor der Tür zu reparieren, und danach wortlos von dannen geht, birgt neben vielem anderen eine skurrile Grösse.

Roos ist wie ein Hilfswerk ohne moralischen Auftrag, das niemand wahrnimmt. Und sein Projekt ist so extrem gegen den Lauf der Welt und gegen jede ökonomische Vernunft gedreht, dass es dem Betrachter zeitweise fast unecht vorkommt. Doch es bleibt die Tatsache, dass einer einfach zwei Jahre durch die Welt geht, ihre Fehlstellen und Unzulänglichkeiten heilt, und die macht glücklich.

"Wie? Ja, jetzt passts wieder... Neinnein, sie schulden mir nichts, war ja kaum anzuschauen, was die Herren Kollegen da gelegt haben." Bilder: (c) Roland Roos (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)



Dieser Beitrag ist ein Update zu: Legotopie


27.08.2009 | 22:10 | Anderswo | Alles wird besser | Sachen anziehen

Die Riesenmaschine auf Reisen – Advanced Socks


Algensocken gaben dem Autor die Kraft, auf 2600m dieses Bild aufzunehmen. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Ein fünfköpfiges Pionier-Detachement der Riesenmaschine ist soeben in der Schweiz eingetroffen, um vom vordersten Frontverlauf des Fortschritts über die neusten und geheimsten Entwicklungen im Dienste der sprichwörtlichen Schweizer Lebensqualität zu berichten. Bereits am ersten Tag der intensiven Feldforschungstätigkeit sind die gestählten Pioniere auf eine weitgehend geheime Neuentwicklung gestossen, die dem Schweizer Wanderer jenes Quäntchen Mehrleistung ermöglicht, das ihn gewöhnliche Wanderungen um bis zu 50% schneller absolvieren lässt. Er ist so deutlich schneller wieder am Arbeitplatz und kann das Bruttosozialprodukt in die bekannten luftigen Höhen treiben.

Es handelt sich dabei um ein Produkt der Jacob Rohner AG, nämlich die trek'n travel Rohner advanced socks – Socken auf Algenbasis. Der "SeaCell active" genannte Werkstoff gibt beim Wandern "durch den Hautkontakt wichtige Wirkstoffe wie Proteine, Vitamine, Kohlenhydrate" ab. Das ebenfalls enthaltene Silber "gleicht den Bakterienhaushalt aus" und wirkt antistatisch. Das alles steht da beglückenderweise wirklich.

Aber wer würde sich einfach mit Entdeckungen an den Grenzen des Menschenmöglichen zufrieden geben? Die Riesenmaschine testet im Interesse des Lesers selbstverständlich jede Entdeckung, und besonders die versilberte Algensocke. Seit Donnerstag wird deshalb der folgende vierfache Doppelblindversuch durchgeführt. Während Albers und Friebe die viertägige Wanderung mit klassischen Wollsocken absolvieren werden, geht Imhof mit einem Paar Algensocken an den Start. Reiber wird rechtsfüssig mit einem Rohnersocken ausgestattet, Felsch links. Es wird erwartet, dass Imhof bereits am Freitag abend wieder am Arbeitsplatz erscheinen wird, nachdem er das volle Programm leichtfüssig abgespult hat. Reiber und Felsch werden durch die assymetrisch verteilte Antriebspower in einer engen Kreisbewegung ebenfalls schnell zum Ausgangspunkt der grossen Maderanertal-Rundwanderung zurückkehren, und am Samstag morgen in Zürich erwartet. Albers und Friebe, auf Wolle, werden am Sonntag gegen Mitternacht einlaufen, völlig erschöpft und mit einem komplett unausgeglichenen Bakterienhaushalt.

CeaCell active – Screenshot von der Herstellerseite.



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