Riesenmaschine

19.01.2007 | 03:48 | Alles wird besser | Vermutungen über die Welt

Der Nettbewerb ums Überleben


Nett vom Pfau. Der Pfau soll unser Freund sein. (Foto: whistler1984)
Evolution, so die verbreitete Verjüngung der Darwinschen Thesen, bezeichnet das Überleben des Stärkeren. Zu den vielen Folgen dieses milden tautologischen Missverständnisses der eigentlichen Kernaussage – dass es dieser Mechanismus in Verbindung mit der Erblichkeit der Merkmale sei, der die Mannigfaltigkeit der organischen Schöpfung erkläre – zählt unter anderem der sogenannte Sozialdarwinismus, der das Recht des Stärkeren auch in der menschlichen Psychologie am Werke wittert.

Dieser Sicht der Dinge fällt es aber schwer, die Existenz des Altruismus zu erklären: wie kann etwas, das per Definition dem Agenten schadet und den Anderen nutzt, sich in einem evolutionären Rahmen, in dem doch nur der Nutzen des Agenten zählt, durchsetzen? Zu den populärsten Erklärungen gehört die durch den phänomenalen Erfolg der Tit-for-Tat-Strategie im Prisoner's Dilemma Spiel nahegelegte: wer sich merken kann, dass und von wem er betrogen wurde, entzieht dem Betrug selbst die Wirksamkeit.

Nun wurde von der Royal Society eine alternative Erklärung veröffentlicht: der Altruist demonstriert durch die Vergeudung von Ressourcen seine Findigkeit und Nützlichkeit, und wirbt dadurch um Kooperationspartner. Das erinnert ans Handicap-Prinzip, wonach zum Beispiel die lästig grossen und auffällig bunten Schwanzgewächse der Pfaue nicht trotz sondern gerade wegen ihrer Gefährlichkeit für den Träger aufs Weibchen attraktiv wirken. Sieh her, sagt das Rad dem Weibchen, ich kann lang hängen lassen, und werde trotzdem nicht gefressen. Oder eben "einen ausgeben" und "über den Tisch gezogen", bei uns Affen.


18.01.2007 | 19:48 | Sachen kaufen | Vermutungen über die Welt

Gute Nachricht aus dem Schambereich


Bild&Shirt hier zu haben (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die Bidetrevolution steht vor der Tür. Hierzulande war das Bidet immer schon ein Outlaw-Hygienegerät, das nie so richtig heimisch geworden ist. Warum das so ist, lässt sich nicht sagen. Fest steht, dass man in Frankreich Bidetnichtbenutzer auch "Schmutzfinken" nennt, und wo die Froschfresser recht haben, haben sie Recht: Ein sauberer Schambereich inklusive drumrum hat einiges für sich. Denn das ist es, nur das um auch ein für allemal zu klären, wozu man ein Bidet braucht, und lustigerweise ist es ausserdem noch das französische Wort für Pony.

Bisher war das Problem, dass technisch hochentwickelte Bidets nicht für Einsteiger gedacht waren. Z.B. japanische Toilettensitze mit integrierten Bidets, die eher bis in die Stratosphäre weiterentwickelte Bidetvarietäten sind. Die sehen einem normalen Toilettensitz zwar ähnlich, gleichzeitig aber auch Dingen, die nicht ins Internet können, was aber nicht an einem Mangel vieler shiny control panels oder Anschlüssen für die entsprechende Kabelage liegt. Sie haben einfach keinen Bildschirm, zum Ausgleich aber einen Fön, der von unten kommt. Da darf der unbedarfte User schon einmal Angst bekommen.

Das Gerät, dass das Bidet bei uns heimisch machen könnte, hat einen Namen, den man schon von weitem lächeln hört: Biffy. Ein kleines Plastikding, das jedes Klo zum Bidet upgradet, unsichtbar unter dem Sitz versteckt, allerdings über acht Hochleistungswasserdüsen verfügt, die den gesamten Intimbreich geradezu keimfrei zwingen. Biffy kommt aus den USA und hat den Vorteil, klein und unscheinbar zu sein, funktional ohne angsteinflössende Features. Ausserdem nicht zu unterschätzen bei einer Revolution ist die Kraft des Merchandising: Wie es sich für eine vernünftige Revolution gehört, kann man Biffy auch am Leibe tragen, in Form von Tshirts mit dem Spruch: "I got wet today". Beste Voraussetzungen für eine Revolution von unten.


18.01.2007 | 13:47 | Zeichen und Wunder

Trendberuf Ritualdesigner


Amerika, einen Schritt voraus
(Foto: gruntzooki)
Von den rund 7.000, die sich im letzten Jahr in Zürich das sprichwörtliche "Jawort" gaben, wird bereits 2016 rund die Hälfte als Versprechenbrecher dastehen. Ist die Jasagerin Schweizerin, der Jasager aber Ausländer, werden es sogar rund 75% sein. (Daten: Statistisches Amt des Kantons Zürich). Das mag schlecht finden, wer will – auf jeden Fall ist er damit in guter Gesellschaft mit Herrn Gasser von ProTell, der hier überzeugend klarlegt, dass damit auf keinen Fall eine Verschärfung des Waffengesetzes begründet werden kann.

Zum Themenkomplex 'Schusswaffen und Beziehungsdelikte' werden wir uns später vielleicht einmal äussern – vorerst stellen wir uns vielmehr die Frage, warum kaum jemand die stetig steigende Scheidungsrate als relevanten Wirtschaftsfaktor und als Marktlücke begreift. Möglicherweise würden Paare, die sich beim Heiraten den ganzen folkloristischen Zinnober geben, etwas ähnliches auch bei der Scheidung gerne tun. Die klassischen Monopolisten Kirche und Staat sind hier nur mit einer sehr dünnen Produktepalette am Start – Potential für junge Firmen wäre also vorhanden.

Das Zürcher Kaufleuten hat einen ersten, zaghaften Schritt in diese Richtung unternommen und wirbt schon mal mit "Auch unsere Scheidung wird stilvoll gefeiert". Mehr dem Do-it-yourself-Ansatz hat sich das Zentrum für Spiritualität, Dialog und Verantwortung verschrieben, das Scheidungswillige dabei berät, ihr eigenes Scheidungsritual zu gestalten. Auch Li Hangartner, Leiterin der FrauenKirche Zentralschweiz, findet: "Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt". Und Petra, 60, die zur Scheidung mit ihrer Ritualbegleiterin um den Pfäffikersee wanderte und dabei Steine ins Wasser warf, meinte: "Mit dem Verebben der Wasserringe spürte ich fast physisch, dass die Trennung nun vollzogen ist. Das war happig, es flossen Tränen."

Es ist klar: ein riesiger Zukunftsmarkt ist hier am Entstehen. Wir warten erstmal auf den 'Pfäffikoner Scheidungsweg' und umweltverträglich hergestellte Steinsets zum reinwerfen. Aber wenn man bedenkt, dass sich möglicherweise in Zukunft auch die aufstrebenen Schwellenländer an diesem Trend beteiligen werden, kann man nur empfehlen, sich noch schnell zum Ritualdesigner ausbilden zu lassen oder wenigstens ein schönes Paket Aktien der Schule für Rituale zu kaufen.
(via TagesAnzeiger)


18.01.2007 | 03:42 | Was fehlt | Zeichen und Wunder

Blindenschrift


Blindunterschrift (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Suchte man Worte, deren Differenz zwischen Schönheit des Klangs und Doofnis des Inhalts so gross wie möglich sein sollte, keines käme gegen "Gebresten" an. Während einige Modegebresten hervorragend zum Partytalk geeignet sind, eignen sich andere nicht so sehr dazu. Stummheit zum Beispiel. Das Gute an der mühsam herbeigeschufteten Zivilisation ist nun, dass Gebresten nicht mehr überlebensentscheidend sind, bzw. vielmehr versterbensentscheidend. Das bedeutet aber auch, dass sich jeder Zivilisationsteilnehmer – also praktisch jeder ausser Anwälten – überlegen muss, wie man mit den Gebresten anderer umgeht. Da die eine Extremlösung dieser Frage, Menschen mit Gebresten sowohl von ihren Gebresten wie auch von ihrem Menschsein zu befreien, als gescheitert zu betrachten ist, könnte man es vielleicht mal mit dem anderen Extrem probieren, das auch eine Spur philantrophischer dahergeschlendert kommt: Alles für alle zugänglich zu machen. Und wenn es nur in kleinen Schritten ist, wie auf alle Verpackungen im Supermarkt auch in Blindenschrift draufzuschreiben, was drin ist. Eventuell braucht man zusätzlich zur Gesundheitsreform auch noch eine Krankheits-Umgangsreform.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Tactile Graphics


17.01.2007 | 15:18 | Anderswo

Das Genie


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die Wissenschaft hat jetzt endlich die lange vermisste Verbindung zwischen dem Land der Finnen und dem der Japaner gefunden: Chile. Eine schöne aallange Nation, mit einem wunderlichen, erfinderischen Volk, Weltlieferant von Lachs und Lithium, Diaspora für Margot Honecker und Uwe Schmidt, hier kommt zusammen, was nicht zusammengehört und feiert ein fröhlich prosperierendes Auferstehungsfest, vor allem jetzt, wo die Bestie tot ist. Dass Chile ein Land ist, in dem es irritierenderweise so gut wie keine Ameisen gibt, fällt zwar kurz ungut auf, aber dafür haben sie ja die grössten und dümmsten Pferdebremsen der Welt, die nur einen Monat (exakt vom 19.12.-19.1.) auftauchenden Tabanos. In Chile wird die weltweit ausgebrannte Genitivapostrophunsicherheit weiterhin liebevoll gehegt, so gibt es z.B. in Santiagos Stadtteil La Recoleta eine Bar namens Luca´ss und eine namens "Don Quijote"s. Und nun findet dieses Volk auch noch auf einen Schlag die Lösung für eines der fiesesten Probleme unserer Zeit. Ein fröhlicher Bärtiger verkauft auf der Avenida Maximo Humbser gebogene Strohhalme mit einem Drahtkern. Was man damit macht? Die Löcher verstopfter Salzstreuer putzen natürlich.

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link | Kommentare (3)


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