Riesenmaschine

10.08.2007 | 12:23 | Alles wird besser | Essen und Essenzielles

Endlich: Kochen mit der Blackbox

Nudeln kochen ist eine Sauarbeit, mit vielen (n>1) Zutaten und komplizierten Abwägungsprozessen. Zudem dauert es oft mehr als fünf Minuten, in denen in 92% aller Fälle (gut gesicherte empirische Erkenntnis) das Wasser überkocht. Was für eine Verschwendung an Zeit, Wasser, Energie. Einziger Vorteil: Man kann während des Kochens in Ruhe das Internet vollschreiben. Aber die Zeiten für die Nahrungsbeschaffung werden besser: Erst wurde die Viehzucht erfunden und man musste nicht mehr nach Feierabend kompliziert jagen gehen (siehe Film). Dann kam die Mikrowelle, kein umständliches Anzünden der Lebensmittel mehr. Und schliesslich, vor erdhistorisch betrachtet wenigen Nanosekunden, erfindet Dolmio die Express Pasta, vorgekochte Nudeln fuer die Mikrowelle, die in 90 Sekunden heiss und dampfend usw. Was daraus für das Internet folgt, sollen andere herausfinden, muss Schluss machen, die Mikrowelle piept.


02.08.2007 | 11:02 | Effekte und Syndrome

Der Leidenfrost-Effekt


Hat auch öfter mal danebengelegen: Heraklit
(Foto, Lizenz)
Philosoph X, der alte Schlauberger, hat damals behauptet, die Welt bestünde ausschliesslich aus dem, was wir von ihr wahrnehmen, aus Effekten und Syndromen nämlich, und es wäre nichts dahinter. Dafür musste er viel Hiebe einstecken, vor allem von Platoniker Y in seiner demagogischen Abhandlung "Das Ganze hinter allem", aber nach jahrhundertelangen Abwägungen der vorliegenden Fakten kann heute wohl kaum noch abgestritten werden, dass X von Anfang an vollkommen recht hatte: Effekte und Syndrome, die phänomenologischen Erscheinungen nämlich, sind nicht nur das Beste an der Welt, sie sind die Welt, und wer mehr dahinter vermutet, Nagetiere etwa oder Ausserirdische, hat einfach nicht mehr alle Tassen im Schrank. Der Untersuchung der Oberfläche der Welt dient aus diesem Grund die neue Riesenmaschinen-Kategorie "Effekte und Syndrome".

Ein hochrelevantes, weil auf das Nichts dahinter verweisendes Phänomen ist der wohl allen bekannte Leidenfrost-Effekt. Nur damit wir alle auf demselben Stand sind: Wirft man einen Wassertropfen auf eine ausreichend heisse Herdplatte, so beendet der Tropfen nicht etwa sofort zischend seine flüssige Existenz, sondern überlebt bis zu eine Minute lang in herumirrender Form. Leidenfrost, ein unaufgeklärter Duisburger Sachexperte, interpretierte den Effekt als Folge der Vier-Elemente-Lehre von Empedokles, die seit der Erfindung der Atombombe als widerlegt gilt. Die Wahrheit hinter dem Effekt, bzw. das optimistische Nichts: Der Tropfen erreicht nie die Herdplatte, sondern schwebt auf einem verkochten Film und kann daher natürlich gar nicht verdampfen. Die Welt ist nämlich in keiner Weise mystisch oder gar religiös, sondern benimmt sich in Wahrheit wie David Copperfield.

Und damit geht der Spass gerade erst los. Denn zum einen kann man mit dem Leidenfrost-Effekt einen praktischen Brownschen Motor bauen, also gerichtete Bewegung nur durch Zufall erzeugen, eine wichtige Innovation, zum Beispiel falls man betrunken ist und nicht mehr nach Hause findet. Zum anderen jedoch erlaubt der Leidenfrost-Effekt, wie in diesem instruktivem PDF-Dokument erklärt wird, zahlreiche Kunststücke: Unter anderem kann man einfach so seine (vorher befeuchtete) Hand in kochendes Blei tauchen, und sie wird keinen Schaden nehmen. Alle Kinder sollten das ausprobieren und anschliessend gründlich über die Gesetze der Physik nachzudenken. Vielleicht begleitet von ein paar Wochen rituellem Fasten.


29.07.2007 | 13:28 | Nachtleuchtendes | Alles wird besser | Vermutungen über die Welt

Nebenbei durchs Weltall


Sieht aus wie ein Schleimfleck, ist aber eine Babygalaxie -- Credit: NASA, ESA, and G. Miley (Leiden Observatory)
Qualitativ hochwertiges Prokrastinieren ist nicht einfach. Der Zeitvertreib darf einerseits nicht zu stupide sein (Sand in Flaschen füllen und wieder ausleeren), andererseits auch nicht zu kompliziert (Space Shuttle zusammenbauen), und er soll Anstand und Würde besitzen (also nicht "HOT or NOT" o.ä.). Man möchte einen kompetitiven Anreiz haben, ausserdem sozial eingebunden sein und – das ist meist die grösste Hürde – man will sich einreden können, etwas Sinnvolles getan zu haben in den ganzen vertrödelten Tagen. Sonst kann man am Ende hinterher nicht schlafen, und wach im Bett liegen ist sehr schlechte Prokrastination (jedenfalls alleine). Dies als allgemeine Einleitung zum Zeittotschlagen.

Wir erleben einen grossartigen Sommer, denn er bringt uns endlich die Optimallösung zur Vermeidung von richtiger Arbeit: Galaxyzoo heisst sie und versorgt uns für mehrere Hubble-Zeitalter mit Galaxien aus dem Sloan Digital Sky Survey, die es durch Augenschein zu klassifizieren gilt, mit Hilfe von schönen orangenen Buttons mit abgerundeten Ecken. Die zu bestimmenden Tierarten sind streng limitiert: Spiralen (linksdrehend/rechtsdrehend), Ellipsen, Merger und Sonstiges, und wenn man glaubt, das wäre nun wirklich blödsinnig einfach, dann soll man es bitte ausprobieren und anschliessend klein beigeben. Ein Ranking zeigt an, wer noch viel mehr Zeit verschwendet, man kann im Forum über fragwürdige Zoobewohner diskutieren, und wem das immer noch zu kleingeistig ist, der soll sich vor Augen halten, dass er mit jedem Klick viele Millionen Sterne und Planeten einfach so in eine Schublade legt, zusammen mit ihren vermutlich unappetitlich aussehenden Bewohnern. Am Ende hat "man" (die Community der unproduktiven Erdbewohner) womöglich bewiesen, dass das Universum einen Linksdrall hat, mit unaussprechlichen Konsequenzen.


25.07.2007 | 23:48 | Nachtleuchtendes

Bang! Bing! Bong!


Offenbar kann man in Alaska Zodiakallicht sehen – könnten aber auch billige Nordlichter sein. (Foto, Lizenz)
Den meisten ist er nur als der schwarzgelockte Jüngling bekannt, der sich aus dem Kaminholz seiner Eltern eine Gitarre baute, die dann so artifiziell klang, dass man jahrelang and no one played synthesizer auf die Platten drucken musste. Bevor es allerdings zu irgendwelchen Platten kam, arbeitete Queen-Gitarrist Brian May als Astronom, wie es glitzy in allen Dokumentationen steht*, und zwar an der Erforschung des Zodiakallichts, also dem Licht, das von Staubteilchen im Sonnensystem reflektiert wird (siehe eine seiner beiden Publikationen). Dieser interplanetare Staub, gebildet durch Kollisionen von Kleinkörpern und anderen Unfug, ist neuerdings wieder einigermassen interessant geworden, zum Beispiel in der Diskussion um exozodiakale Wolken, aber das würde hier usw.

Brian May jedenfalls, nach 36 Jahren Arbeit in der freien Wirtschaft, kehrt nun, im Alter von 60 Jahren, reumütig zu Mutter Academia zurück und beendet demnächst seine Dissertation**. Dann wissen wir zumindest, vielleicht, wie zodiakale Staubwolken entstehen, die nicht exo sind. Wie jeder andere vernünftige Doktorand der Astronomie hat auch May vor der wissenschaftlichen Karriere erstmal ein grössenwahnsinniges Buch geschrieben, und zwar zusammen mit dem mindestens genauso berühmten Sir Patrick Moore, der einst live im TV eine Fliege verschluckte. Ihr gemeinsames Werk erscheint im Herbst und beschreibt in leicht verständlichen Worten die komplette Geschichte des Universums. Dort wird endlich auch geklärt, wer am Zweiten Weltkrieg schuld ist.

*Es handelt sich, wie wir alle wissen, nicht um den B. R. May, der um 1970 herum anhand der Umlaufzeiten von russischen Satelliten die Luftdichte in der Thermosphäre bestimmte, also den obersten Schichten der Atmosphäre, mehr als 200 km über dem Mt. Everest. May (nicht der von Queen!) fand rätselhafte halbjährliche Dichteschwankungen und noch so einiges anderes interessantes Zeug.

**Ein Hoffnungsschimmer für alle, die seit letztem Jahr Neo-Bohemians sind. (Hier fehlt noch ein Scherz mit Rhapsodie.)


24.07.2007 | 00:40 | Anderswo | Fakten und Figuren

Vögel ganz oben


Schnepfe (Gallinago gallinago), Quelle, Lizenz
2007 ist das Jahr der sinnlosen Unternehmungen, 2008 übrigens auch, und 2009 wird es schon 100 Jahre her sein, dass Bernhard Adolf Hantzsch nach Baffin Island aufbrach, zu einer für moderne Verhältnisse geradezu übertrieben sinnlosen Expedition. Hantzsch, renommierter Ornithologe mit reichlich Felderfahrung in Sachsen, Island und Labrador, plante nicht etwa die Eroberung des Nordpols oder so einen sinnvollen Quatsch, sondern eine gründliche Erfassung der arktischen Vogelwelt, ausgerechnet in einer Gegend, in der man täglich dreimal stirbt. Irgendeiner muss es ja machen. Es ging gleich gut los, denn sein Schiff sank samt Ausrüstung kurz vor Baffin Island. Nach einem miserablen Hungerwinter unter Wilden brach er unbeirrt auf und zog in monatelangen Qualen einen Schlitten mit einem darauf befestigen Walfangboot einmal quer durch Baffin Island, das ungefähr so gross ist wie Skandinavien. Und wenn er Brennstoff gehabt hätte, hätte er nicht die grossen Mengen Fleisch roh essen müssen, die er hätte jagen können, hätte er nur ausreichend Munition besessen. Im Winter 1910/11 schliesslich erlegte einer der beiden begleitenden Eskimos einen Eisbären, von dem Hantzsch, halt ein Vogelexperte, roh ass, und so im Frühjahr 1911 elendig an Trichinen starb, bevor er verhungern konnte. Die letzten Worte von Aggakdjuk: We made a nice grave of stones and it is in a good place.

Bernhard Hantzsch, an dem man sich echt ein Beispiel nehmen sollte, hinterliess seine leider nicht mehr verfügbaren Tagebücher sowie knapp 30 epische Publikationen. Besonders gern erinnert man sich an Über das Weichen der Vögel im Fleische (1906), Der Durchgang des Felsenschneehuhnes (1907) und Vergiftete Lachmöwen (1902).

(Quelle: The work of Bernhard Hantzsch in Arctic Ornithology (PDF), eine Laudatio von Rudolph Martin Anderson)


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