14.06.2006 | 16:42 | Anderswo | Vermutungen über die Welt
(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.) Der grosse Fred Hoyle, Erfinder von so herrlichen Gedankengebäuden wie der Steady-State-Theorie zur Entstehung des Universums (widerlegt) und der Panspermien-Hypothese zur Entstehung des Lebens (kein Favorit, aber noch nicht aus dem Rennen), war massgeblich daran beteiligt, dass wir heute wissen, woher die ganzen Teile stammen, aus denen wir aufgebaut sind. Was viele nicht wahrhaben wollen: Jedes Kohlenstoffatom in unseren sauberen Körpern war, bevor es dort hinkam, tief vergraben in einem grossen, alten Stern, der in der Folge zerbarst und seine Innereien unordentlich im All verbreitete. Das ist lange her, und darum soll darüber geschwiegen werden. Derselbe Fred Hoyle jedenfalls befand sinngemäss, dass man Photographien der Erde von draussen haben müsste, um die grauenvoll isolierte Lage derselben zu begreifen, und daraufhin eine gewaltige, neue Bewegung loszutreten.
Was er wohl damit nicht meinte, war die Bewegung von grossen Mengen Schutt und Asche, ausgespuckt vom Vulkan Cleveland, der zu aller Überraschung nicht in Ohio, sondern in Alaska liegt, und dessen Eruption vor knapp drei Wochen zuallererst im All bemerkt wurde. Nicht nur die Schönheit des einsamen Planeten, Anlass zu metaphorischem und transzendentalem Gerede, wird aus dem All offenbar, sondern eben auch die irdischen Eiterbeulen und Aknepickel und deren schmutziges, todbringendes Ejakulat. Das eigentliche Spektakel jedoch findet unterirdisch statt, wo sich krachend an der Subduktionszone die Platten des Erdmantels ineinander verkeilen, und das Magma nach oben pressen. Das Wichtige nämlich ist selbst aus dem All unsichtbar. Fred Hoyle, der vor fünf Jahren starb, war sein ganzes Leben lang sehr hässlich.
11.06.2006 | 06:10 | Anderswo | Alles wird besser
(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)Schon wieder kommt eine Innovation aus dem Untergrund, diesmal aus kanadischen U-Bahnen, offenbar ein fruchtbarer Boden, aus dem jetzt lautgebende Werbeplakate wuchern. Erfunden von der Agentur BBDO, deren Philosophie "Work Work Work" lautet, ein zumindest fragwürdiger Ansatz, sind die Pepsi-Plakate, die es in ähnlicher Form auch für ähnliche Getränke gibt, versehen mit einem Anschluss für Kopfhörer, der, wenn man ihn fachgerecht benutzt, zunächst Teile einer Musikalie hervorbringt und sodann verzweifelt versucht, den Menschen auf eine Webseite zu locken (hier der Vorgang im Film). Weil Plakate aber noch kein Internet haben, muss man die URL auf dem gesamten langen restlichen Heimweg vor sich hinmurmeln, nur um dann herauszufinden, dass man erst Cola kaufen muss, bevor man das Webangebot nutzen kann. Irgendwie ist das noch nicht 100%ig ausgereift, obwohl die generelle Richtung, Dinge sprechen zu lassen, vollkommen zeitgemäss ist. Man erfährt ja sonst so wenig über unbelebte Zeitgenossen. Übrigens: Kanada, liebe Promago-Betriebsblogger, liegt nicht in Australien, dafür ist es viel zu gross.
09.06.2006 | 17:51 | Alles wird besser
Unästhetischer Nagellack (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.) Spätestens seit der Erstaustrahlung von McGyver und allerspätestens seit August 2005 weiss jeder da draussen, dass Kabelbinder die Welt und alles andere zusammenhalten. Darum ist es eigentlich keine Meldung wert, wenn man Kabelbinder in Zukunft auch verstärkt im Gesundheitswesen einsetzen wird: Bei jeder vernünftigen Operation am offenen Herzen muss man zunächst das Brustbein, auch Sternum genannt, längs aufsägen, wobei es herrlich Knochenspäne spritzt. Die Hälften, einmal getrennt, wieder zusammenzubringen, ist das eigentliche Problem, und bisher verwendete man dafür Draht, Nägel oder diese anderen Behelfslösungen vom Bau. Berichtenswert, ja, beklagenswert ist es jedoch, feststellen zu müssen, dass man elf Medizinstudenten, zwei Semester Arbeit und 1.500 Dollar braucht, um auf die Idee zu kommen, dass es auch mit Kabelbindern geht, was der Johns-Hopkins-Universität zudem noch einen Preis und eine Pressemitteilung wert war. McGyver wäre darauf in wenigen Sekunden gekommen, und zwar auch, wenn es sein eigenes Brustbein wäre, das da sinnlos auseinanderklafft.
06.06.2006 | 04:22 | Supertiere | Fakten und Figuren
(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)Im 19. Jahrhundert betrat ein seltsames Wesen amerikanischen Boden und liefert den Ureinwohnern seitdem einen erbitterten Kampf. Dabei kann man noch nicht einmal von "betreten" sprechen, denn das Meeresneunauge, so genannt, weil es neben den Augen über sieben augenähnlich aussehende Kiemenlöcher verfügt, hat gar keine Beine, und muss sich daher schwimmend fortbewegen, wie die meisten anderen Fische auch. In Europa mittlerweile fast ausgestorben, wanderte der aalförmige Schmarotzer den St.-Lorenz-Strom hinauf und immer weiter ins Land hinein, bis er in den 30er Jahren den Oberen See erreichte. Wo er hinkam, hinterliess er Elend und Verwüstung.
(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)Die Art und Weise, wie das Neunauge mit seinen Fischkollegen umspringt, ist nicht manierlich: Mit seinem vollverzahnten Saugmaul verbeisst er sich in seine Opfer, saugt sie bis auf den letzten Blutstropfen aus und hinterlässt sie dann in jämmerlichem Zustand. Bestimmt erzählt man Fischkindern Schauermärchen vom Ungeheuer Neunauge. Innerhalb von nur 20 Jahren tötete die Neunaugenarmee 90% des Forellenbestandes im Oberen See. Dann schlugen bezeichnenderweise nicht die Forellen, sondern die Amerikaner zurück: Sie erfanden das Lamprizid (lamprey: engl. für Neunauge), Chemikalien also, die exklusiv den Fischvampir erledigen. Seit 1958 werden jedes Jahr ausgewählte Lieblingslaichflüsse der Neunaugen mit dem populären Lamprizid TFM (3-Trifluoromethyl-4-Nitrophenol) behandelt. Zusätzlich enthalten die wichtigen Zuflüsse der Grossen Seen Dammanlagen, die Forellen und Lachse überspringen können, die unsportlichen Neunaugen jedoch nicht. Derart angefeindet, zogen sie sich in den Untergrund zurück und führen seitdem einen zermürbenden Partisanenkrieg. Neulich zum Beispiel tauchten sie überfallartig in Vermont auf.
Seit einigen Monaten gibt es bahnbrechende Neuigkeiten in der Neunaugenforschung, die den Parasiten nicht gefallen dürften. Neunaugen laichen in Flüssen und leben im Meer (oder in grossen Seen, das sieht man nicht so eng) – im Prinzip genau wie Forellen und Lachse. Im Unterschied zu diesen aber wandern sie nicht stupide wie Maria und Josef zu ihrem Geburtsort zurück, sondern gehen dorthin, wo Eierlegen am meisten Spass macht, an die Orte nämlich, die von den Neunaugenlarven mit Hilfe von Duftstoffen als kinderfreundliches Idyll markiert wurden. Diese Duftstoffe gelang es im letzten Jahr synthetisch herzustellen, so dass das gemeine Neunauge schon bald statt im Familienparadies in der Todesfalle landen wird, angelockt von billigem Chemie-Tand. Man wird sehen, ob das Neunauge diesem neuen Trick etwas entgegenzusetzen hat, oder ob es sich vielleicht doch nur um einen sehr, sehr dummen Fisch handelt.
02.06.2006 | 21:34 | Alles wird besser | In eigener Sache
(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.) Seit wenigen Minuten ist die Riesenmaschine Grimmepreisträger. Noch schöner als der Preis selbst ist nur die Begründung der Jury: "Formal von geradezu vollendeter Klarheit zeigt sich das Konzept glanzvoll bei dem Versuch, klassische journalistische Qualität zu pflegen und sich gleichzeitig durch Texte von teils akrobatischer Virtuosität in eine produktive Entfernung zu ebendiesem klassischen Journalismus zu begeben." Das hätte niemand akrobatischer formulieren können, schon gar nicht die Riesenmaschine selbst.
Insgesamt ist diese Entwicklung der Weltgeschichte natürlich sehr erfreulich, fühlt man sich doch gleich geborgen und wohl in einer Reihe mit fundamentalkulturellen Webangeboten und Grimme-Preisgewinnern wie Telepolis, Wikipedia, BILDblog, Spreeblick, Perlentaucher, Käpt'n Blaubär und diesem anderen grossen Kramladen. Zudem ist der Geist der Riesenmaschine vollkommen sinnverwandt mit dem Vermächtnis Friedrich Wilhelm Grimmes, dem berühmten sauerländischen Heimatdichter, manchen besser als "Strunzerdäler" bekannt. Denn wie Grimme bereits vor 150 Jahren schrieb: "Immer streckst du deine Hand aus, neue Früchte zu erlangen. Immerhin!" Ja, immerhin!
Jedoch muss angemerkt werden, dass dieser Strunzerdäler-Preis letztlich doch auf einem grundlegenden Missverständnis beruht, denn wir haben schon so ein Silberding, und zwar das von Kriminalhauptkommissar Stefan Balko beziehungsweise Jochen Horst aus dem Jahr 1996 (siehe Abbildung). Es war billig auf dem Flohmarkt zu haben. Und obwohl der alte Preis im Vergleich zu den heute überreichten Neuexemplaren inzwischen mit wertvollem Staub eines ganzen langen Jahrzehnts überzogen ist, würden wir uns gerne von ihm trennen und damit einen Leser auszeichnen, der in den nächsten Wochen auf der Riesenmaschine "inhaltlich brilliante" Kommentare abliefert, bzw. dessen Texte "zum Formidabelsten und Unterhaltsamsten gehören, das im deutschsprachigen Netz zu finden ist" (Auszug aus der Jurybegründung). Man hat ja nicht soviel Platz im Regal.
... 44 45 46 47 48 [49] 50 51 52 53 54 ...
|
IN DER RIESENMASCHINE
ORIENTIERUNG
SO GEHT'S:
- über Wasser gehen (gefrorenes)
- Knirschen generell
- Retro-Schmähnamen ("Polente")
- Da den Salat haben
SO NICHT:
- der Dhalsim des Weltfussballs sein
- antizyklisch ausgehen (bei Regen in die Beachbar)
- Kostenapparat
- gegen Missstände ankomponieren
AUTOMATISCHE KULTURKRITIK
"Momentum", Stephen S. Campanelli (2015)
Plus: 1, 23, 26, 80, 94, 96, 106, 142 Minus: 6, 8, 43, 93, 99, 116, 133 doppelt, 181, 209 Gesamt: -2 Punkte
KATEGORIEN
ARCHIV
|
|