Riesenmaschine

13.01.2006 | 09:13 | Anderswo | Alles wird besser | Essen und Essenzielles | Vermutungen über die Welt

Supermodel-Recycling


Dieses Bild wäre fürs Verständnis des Beitrags sehr hilfreich, wir zeigen es aus Bildrechtegründen aber lieber nicht. Man findet es leicht, wenn man nach Carmen Kass j'adore sucht.
Der momentane Stand der Globalisierung lässt sich gut an diesen zwei Plakatmotiven ablesen. Das erste zeigt das estnische Supermodel Carmen Kass, als "J' adore" Girl für das gleichnamige Duftwasser des französischen Modeschöpfers Christian Dior werbend, wozu es offenbar in einer mit flüssigem Gold ("J'adore") gefüllten Badewanne hockt. Das zweite zeigt auch das estnische Supermodel Carmen Kass, in derselben Pose, nur gespiegelt. Doch dieses Mal hält sie verblüffender Weise ein Bierglas der deutschen Biermarke "Henninger" in der Hand. Auch das flüssige Gold ist geblieben, es hat sich aber offenbar über Nacht (und in einem Computer) in gar nicht mal so gut schmeckendes Henninger-Bier verwandelt.

Das erste Plakat ist leicht veraltet, denn Carmen Kass ist nicht mehr das "J'adore"-Girl. Das ist derzeit wohl das estnische Supermodel Tiiu Kuik. Das zweite Plakat hängt in einer kleinen Garküche in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi, die in der Duong Dai Co Viet 75 liegt, gegenüber vom Bay Mau See. Aufgehängt hat es dort offenbar die Firma Nha Mai Bia Henninger Tai Viet Nam, eine Tochterfirma der Don Xuan Alcohol Factory. Es soll den in Vietnam immer leicht misstrauischen Passanten darauf hinweisen, dass das ansonsten sehr unscheinbare Restaurant tatsächlich das in Vietnam äusserst seltene Henninger Fassbier (vietn. "Bia Henninger") ausschenkt. Bia Henninger Vietnam ist ein Joint Venture mit der deutschen Henninger Brauerei, was auch daraus hervorgeht, dass das Plakat sowohl die Adresse der vietnamesischen Niederlassung als auch die der deutschen Zentrale in Frankfurt aufführt.

Ziemlich sicher (zu 101,98%) aber wussten bis eben weder Carmen Kass noch Christian Dior von dem vietnamesisch-deutschen Supermodel-Recycling, was wieder mal zeigt, dass es mit der viel beschrieenen Globalisierung gar nicht so weit her ist. Andererseits wissen sie es leider jetzt, was auch was beweist, nämlich dass zur totalen Informationsglobalisierung die Riesenmaschine gerade noch gefehlt hat. Für das uns zustehende Infohonorar möchten sich doch bitte Frau Kass und Herr Dior mit unserer Buchhaltung (Frl. Lobo) in Verbindung setzen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Asien Spezial: Korea & Vietnam

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (2)


12.01.2006 | 12:14 | Anderswo | Alles wird schlechter | Sachen kaufen | Vermutungen über die Welt

Der Kampf geht immer, immer weiter

"Der hipste Ort zum Ausgehen in Saigon alias Ho Chi Minh City ist derzeit eindeutig und mit Abstand das Quán 30 an der Nguyen Thai Hoc", befand im Oktober letzten Jahres unser temporärer Vietnam- Korrespondent. Jetzt hat das teuerste, weil rechercheaufwändigste Blog Deutschlands noch mal nachgekuckt, und musste feststellen: Aber sehr unhip, wenn es ans Bezahlen geht. "Das ausnehmend hübsche weibliche Personal" verwandelt sich in eine Horde Furien, wenn man es wagt, die überhöhte Rechnung zu reklamieren. Es versucht sodann, den einfach mal so ausgedachten Vollmondpreis durch Aufschlüsseln in Einzelpositionen zu rechtfertigen, wozu es eines etwa halbstündigen Beratungsprozesses bedarf, um auch exakt auf die zusammenphantasierte Summe zu kommen. Rechnet man den Damen in den "täglich wechselnden sexy-engen T-Shirts" schliesslich anhand der vietnamesischen Speisekarte kurz vor, was man tatsächlich zu bezahlen hat, kommt eine angestürmt, ersetzt den falschen Preis kurzerhand durch den echten und knallt sehr böse die Rechnung auf das Tischchen. Dabei wird man von einem stilisierten Stilettoblick durchbohrt, als habe man persönlich Ho Chi Minh erschossen.

Überhaupt gebärdet sich nahezu die halbe vietnamesische Dienstleistungsbranche so, als sei der "amerikanische Krieg", wie der Vietnamkrieg hier heisst, noch lange nicht zu Ende. Der moderne Vietcong kämpft allerdings nicht mehr gegen das US-Imperium, sondern gegen die Touristen im Lande, wobei es egal ist, ob es sich um Koreaner, Europäer oder Bangladeschis handelt. In diesem Volkskrieg neuen Typs verlangen die Kämpfer das Doppelte bis Fünffache des regulären Preises für Obst oder Zigaretten, schlagen beim Auschecken eine zehn- bis fünfzigprozentige "Government Tax" auf die Hotelrechnung (hauptsächlich in Mini-Hotels in Hanoi) oder arbeiten mit manipulierten Taxiuhren oder gefälschten Eintrittskarten.



Dabei stellen sich die Guerilleros nicht immer so geschickt an wie das historische Vorbild. Der Wirt des Cafe Maxx im schön gelegenen Dalat drückt einem zwar gleich freudig seine englischsprachige Speisekarte in Hand, hat aber im Inneren des Lokals leichtsinnigerweise noch eine vietnamesische liegen. Fragt man ihn interessiert, wie sich denn die höheren Preise für die Ausländer erklären, behauptet er: "Die bekommen grössere Portionen." Wer dann nicht locker lässt, ihm die Getränkeliste zeigt und fragt: "Auch grössere Bierflaschen?", der wird mit der entsetzlichsten Waffe konfrontiert, die die Devisen-Befreiungsfront im Repertoire hat: Einem breiten, stummen Killerlächeln.

Lächelnd wurde der RM-Korrespondent auch von einer niedlichen Strassenverkäuferin in Hanoi abgezogen. Auf die Frage, weshalb ihre Brötchen denn so viel kosten, flötete sie: "Weil Schokolade drin ist." Zur Strafe für diese hundsgemeine Schummelei soll jedes Gericht, das sie in diesem Jahr verzehrt, nur nach Nutella schmecken.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Vietnam III: Quán 30, HCMC

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (9)


31.12.2005 | 10:40 | Anderswo | Was fehlt

Wunschzettel 06: Friede den Augen, Ohren und dem ganzen Rest


Chin.: Schriftzeichen für "Schriftzeichen"
Erstens: Eine Chinesische Rechtschreibreform, also die längst überfällige Abschaffung aller Schriftzeichen zugunsten des lateinischen Alphabets, etwa nach dem Vorbild Vietnams. 4.000 Jahre Hieroglyphen reichen. Jedenfalls mir.
Zwotens: Absolut lautlose Bohrmaschinen, das heisst, Löchermacher, die ihren eigenen Schall schlucken. Diese Erfindung möge auch auf Fräsen, Schwingschleifer, Presslufthämmer, Blixa Bargeld und ähnliche Geräuscherzeuger ihre Anwendung finden. Hilfsweise werden absolut schalldichte Ohrstöpsel genommen, wobei keinesfalls "Wert auf ein besonders pfiffiges Outfit" und ein "ComfortCase" (MultiPlux von Ohropax) gelegt wird.

Drittens: Die Entdeckung einer neuen, unproblematischen Körperlust ungefähr im April. Irgendwie eine Kombination aus Ficken (Sex der Jugend) und Essen (Sex des Alters), ohne deren jeweiligen Nachteile (Kinder, Völlegefühl, AIDS, Verfettung, Rückenmarksprobleme, Elend). Dafür kann auch die chinesische Rechtschreibreform noch mal um ein Jahr verschoben werden

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Dahin führt unser Weg

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (3)


24.11.2005 | 14:49 | Anderswo | Alles wird schlechter | Sachen kaufen | Essen und Essenzielles

Der Müsli-Kaiser von China

Traditionell wird im Land der Chinesen (China) schön ungesund gefrühstückt: Süss oder salzig gefüllte Teigbällchen (Bao Zi), mit diversen Ingredienzien aufgepeppter Reisporridge (Zhou), frittierte "Ölstangen" (You Tiao) oder eine schlichte Nudelsuppe (Mian Tang). Dazu reicht man bisweilen wurstartiges, weisses Pappbrot (Mantou).
Offensichtlich passt das der Internationale der Müslifresser und Cerealienfreaks nicht, die traurigerweise auch unter den Riesenmaschineautoren ihre Agenten hat. In China wird sie neuerdings durch die Beijing The Cereal Way Food Technology Development Co. Ltd. vertreten. Seit ein paar Wochen "wirbt" das Unternehmen für ein Produkt, das man ganz unverblümt "Kampfplatz der fünf Getreidesorten" nennt. Auf den Plakaten herrscht der Schauspieler Chen Bao Guo die traditionellen chinesischen Frühstücker an: "Sagt nein zu Frittiertem – bleibt gesund!", andernfalls – so muss man es wohl interpretieren – er ihnen vermittels seines Baseballschlägers die Gesundheit einzuprügeln gedenkt.

Und Chen Bao Guo ist hierzulande nicht irgendeiner. In der 58-teiligen und sechs Millionen US-Dollar teuren TV-Serie "Han Wu Da Di" ("Grosser Han-Dynastie Kaiser Wu") spielt er den Kaiser persönlich, der eigentlich Liu Che (156 – 87 v. Chr.) hiess und den Beinamen Wu für seine kriegerischen Verdienste erhielt. Der Müslifresser – ein lascher Peacenik? Die hiesigen Werber glauben anscheinend, es sei an der Zeit, dieses internationale Trugbild zu korrigieren, respektive in China gar nicht erst aufkommen zu lassen. Dabei haben sie ungewollt sogar Recht, denn letztlich kann man vor dieser gefährlichen Sorte Mensch gar nicht drastisch genug warnen.

Allerdings scheuen die chinesischen Cerealien-Warlords bisher die offene Feldschlacht. Wer die Schriftzeichen in und ums Plakatausrufezeichen genau studiert, wird feststellen, dass es sich beim propagierten "Kampfplatz der fünf Getreidesorten" immer noch um eine Nudelsuppe handelt, allerdings eine, die "Gesunde Instant-Nudeln – 100% nicht frittiert!" enthält. Beruhigend liest sich auch, was die Beijing The Cereal Way Food Technology Development Co. Ltd. sonst noch so unter dem Label "The Cereal Way" vermarkten möchte: Neben Schokolade, Backpulver und Senf auch künstlichen Kaffee, Eiscreme und Mondkuchen. Das nun klingt tatsächlich nach einem richtig leckeren Frühstück.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Lob des Schlabberfrühstücks und des Internets

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (4)


13.11.2005 | 11:20 | Anderswo | Fakten und Figuren | Vermutungen über die Welt

Highspeed Performance

Das seltsame stummelförmige Land Südkorea macht weiter von sich reden: Am letzten Donnerstag wurden in der Seouler U-Bahn eine Mutter nebst Kind und Kinderwagen dreissig Meter mitgeschleift, schon heute gehen die Bilder dieses irren Unfalls Nichtereignisses um die Welt. Am Ende kamen weder Mutter noch Kind zu Schaden, was nicht verwundert, handelt es sich doch, wie wir bereits an anderer Stelle bemerkten, bei den südkoreanischen U-Bahnen um die sichersten der Welt. Sie zählen gewiss auch zu den besten, was Streckennetz, Benutzerfreundlichkeit und Internetauftritt angeht. Zudem sind es die reinsten Musentempel, womit hier weniger die weltweit üblichen Auftritte von musikalisch anders begabten Gitarrespielern gemeint sind. In den brandneuen U-Bahnstationen von Gwangju beispielsweise überrascht man die Pendler mit einer Ausstellung von zum Teil sehr gelungenen Kinderzeichnungen, in den Seouler Metrolabyrinthen treten ganze Chöre auf. Selbst die Streckenpläne sind hier grafische Meisterleistungen. Besonders bemerkenswert: Diese kleine, nur von den üblichen Videokameras überwachte Bibliothek, die die Riesenmaschine in der Seouler U-Bahn-Station Jogno Sam Ga entdeckte. Zieht man diese Fakten in Betracht, stellt sich allerdings die Frage, ob es sich bei dem Mutter-Kind-Zwischenfall vom Donnerstag tatsächlich um einen Unfall handelte, oder nicht eher um eine hochkünstlerische Performance, die uns irgendetwas sagen soll. Wahrscheinlich irgendwas über Südkorea.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Asien Spezial: Korea & Vietnam

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link


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