Riesenmaschine

22.12.2006 | 04:36 | Anderswo

Est Practice


Einer von vielen ... in Tartu
Foto im Foto: A. Fiedler / Lizenz
Es gibt Länder, von denen weiss man viel, selbst wenn man nie da war. Angenommen es gäbe jemanden, der nie in Italien gewesen wäre, er wüsste dennoch: Pizza, Pasta, warm, Strand, Sonne, Sonnenbrille, Vespa, Ragazza. Über Estland hingegen weiss man gemeinhin maximal: Osten, kalt. Vielleicht noch den ausgeprägten Rassismus gegen die russische Minderheit. Und auf Bildern sieht das kleinen Land oben rechts in Europa ein bisschen aus wie die Thomas-Mann-Stadt Lübeck. Estland verbindet auf den ersten Blick also das Schlechte mit dem Schlechten: Sieht so aus wie deutsche Provinz, man versteht aber kein Wort.

Sehr schnell aber versteht man, was die kleinen Schildchen, die überall im pittoresken Stadtbild rumhängen, sagen wollen und zwar: Internet. Die Esten haben sich nämlich Internet per Gesetz gegeben – und zwar kostenlos und überall. Das ganze Land ist mit Wifi umsonst abgedeckt, immerhin 45.000 Quadratkilometer, und wer keinen eigenen Rechner hat, der kann in Schulen, Büchereien und Dorfläden kostenfrei surfen. Wäre Estland nicht längst Mitglied in der Europäischen Union, man müsste den Prozess sofort stoppen. Und darauf hinarbeiten, dass Europa Teil von Estland wird.


13.12.2006 | 13:14 | Gekaufte bezahlte Anzeige

Schöne Bescherung mit DoorOne


Geschenkt (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Geschmack ist eine äusserst subjektive Angelegenheit, die besonders in den herannahenden Tagen des Zwangs zum Geschenk wieder vielen zum Verhängnis werden wird. Da ist der eigene Geschmack vorzüglich und fein, der des Beschenkten hingegen aber unterentwickelt – und schon hat man den Schlamassel. Und zudem für diesen unter Umständen auch noch ein Vermögen ausgegeben. Von den Qualen verkaufsoffener Sonntage, der Pein der Fussgängerzone und den Schmerzen weihnachtlich dekorierter Kaufhäuser ganz zu schweigen.

Fremde Menschen, aufdringlicher "Service", Unübersichtlichkeit – nichts davon findet man auf DoorOne, dafür sehr viele Produkte bzw. Geschenke. Wer seinem gerade volljährig gewordenen Verwandten zum Beispiel Musik schenken mag – eine maximal subjektive Angelegenheit – kann über diese geschickt sortierte Internetsortierung zum Geschenk seiner Wahl bzw. der Wahl des Beschenkten kommen.


Metal (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Also flugs "Musik" ins Suchfenster getippt und los geht der Kaufrausch: Dargeboten werden zu allererst diverse Zusammenstellungen, etwa "Schlagerschätzchen Folge 5" und die "Deutsche Schlagerfracht Folge 17" sowie ein Album namens "Jiddisch – The Eternal Mother", was – Alkohol, Ironie, Albernheit zum Teufel – nicht unbedingt für grosse Freude sorgen würde. Doch wenig wunderlich, wie man in den Wald ruft, so schallt es hinaus. Immerhin wäre fast nebenbei das Geschenk für die Grossmutter bereits gefunden und bestellt.

Doch für den Cousin, der in einem frühpubertären Entwicklungsstadium namens "Heavy Metal" stecken geblieben ist, gestaltet sich die Suche komplizierter: Zwar finden sich unter selbigem Suchwort Iron Maiden und Grave Digger, hauptsächlich werden einem aber glitzernde Uhren dargeboten – bzw. Gitarren und Verstärker. Was zunächst wie ein Versehen anmutet, entpuppt sich bald als sehr netter und gut gemeinter Rat: Dem verwirrten Jungen ist statt der Krachmusik zum Weihnachtsfest besser eine Uhr zu schenken. Und wenn es schon diese Satanistenmusik sein soll, dann soll er sie sich wenigstens selber machen. Man selbst hat ja auch nur den Chemiebaukasten geschenkt bekommen und nicht die fertigen Drogen. Bei allem Fortschritt, soviel Herausforderung muss sein.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Das neue System der Dinge


06.12.2006 | 20:00 | Supertiere

Theke mit den Toten


"Tote Tiere leuchten ein" (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Diskotiere, auf eine Art (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Flexibilität ist ein Anspruch, der nicht allein an den Mensch gestellt werden muss. Auch Freund Tier, wahlweise treuer Gefährte oder erbitterter Gegner des Homo Sapiens Sapiens, ist dem neoliberalen Zeitgeist unterworfen und muss die eigene Verwertbarkeit nach Möglichkeit optimieren. Sogar nach dem eigenen Ableben – schliesslich veröffentlichen Tupac Shakur und Johnny Cash auch posthum noch Platten. Der grosse Vorteil der Tiere allerdings liegt in ihrer vielfachen Einsetzbarkeit nach dem Tode. Nicht allein als Wurst, Ikone, Von-Hagens-Scheibchen, Mythos oder Marke stehen sie zur Verfügung. Sondern Custom Creature Taxidermy sei Dank – auch als "wahnsinnig süsse" Nachtischlampe oder "irre niedlicher" Dekanter. Das Nutztier macht seinem Namen alle Ehre. Und fast nebenbei erweitert es das Konzept "Zweitverwertung" in ganz neue Bereiche, auf eine Weise ergibt der Begriff "Verwurstung" damit auch ohne Fleischwolf Sinn.

Das wird nicht folgenlos bleiben. Bis zu dem Tage an dem die Grossmutter als schweigender Butler oder Boxsack im Leben präsent bleibt, sind es nur noch einige, wenige moralische Handgriffe.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Stavros ist tot, Nachts leuchten die Ratten doch und Was darf Taxidermie?


03.12.2006 | 20:13 | Anderswo | Vermutungen über die Welt

Der Brite und das Bo


Viel Spass nach 10 Bier (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Während Ikea in Kontinentaleuropa den Teil der Mittelschicht in Angriff nimmt, der gerne die Oberschicht wäre, vermeldet der britische Ableger des schwedischen Möbelhaus den Bau von 500 identischen Häusern in Gateshead und irgendwo in Schottland (via Archinect). Das ist richtig und schön und konsequent und zeigt, dass die Schweden die Eigenheiten Europas verstanden haben.

Während der Deutsche trotz Billy-Regalen die Illusion des Individuellen braucht (natürlich als "Konsequenz unserer tragischen Geschichte"), weiss der Brite die hübsche Gleichförmigkeit zu schätzen – und freut sich auf das niedliche Konzept Bo Klok, zu Deutsch: Schlau leben.

Schlau – und vor allem gelassen – ist die Idee nämlich tatsächlich. Wer sich vom kleinbürgerlichen Individualismuswahn im und um das Haus erst einmal gelöst hat, kann sich in seinem netten Bo-Klok-Haus endlich den wirklich wichtigen Fragen des Lebens zuwenden, die längst nach digitalen Parametern verhandelt werden. Welches der smarteste Username ist oder welches Bildchen im Forumsprofil nun am lustigsten aussieht zum Beispiel.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: IKEA besorgt es der Schweiz de luxe


02.12.2006 | 13:10 | Was fehlt | Vermutungen über die Welt

Screenshots


Hier stirbt keiner (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Und hier auch nicht (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Wer in den letzten Wochen Mainstreammedien aufschlug, konnte sich dem seltsamen Glauben hingeben, die wunderbare Welt der Computerspiele sei aufregend, gefährlich und grausam. Und das 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. Während Eltern, Lehrer, Politiker und sonstige notorisch ahnungslose Mitmenschen vor Angst, Verachtung, Hass oder Angst allerlei forderten, waren jüngere Mitmenschen verunsichert: Irgendetwas machten sie offenbar falsch, immerhin kam bei dem ein oder anderen Computerspiel durchaus ab und an Langeweile auf, selbst wenn es darum ging, Menschen oder als Aliens verkleidete Menschen umzulegen.

Eine sehr hübsche Sammlung äusserst langweiliger Momente aus diversen Computerspielen legt somit eine ganz neue Lesart der aufgepeitschten Berichterstattung der letzten Wochen nahe: Das Problem der Gewaltcomputerspiele ist nicht, dass man in ihnen mit animierten Knarren auf animierte Lebewesen animierte Kugeln schiessen kann. Sondern dass sie früher oder später langweilig werden. Dann nämlich erreicht die sonst ja bestens beschäftigten Jugendlichen der stete Ruf der Mutter bzw. der Gesellschaft: Geh raus! Tu was! Triff Freunde! Und dann, erst dann, hat man den Schlamassel.


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"Swiss Army Man", Dan Kwan, Daniel Scheinert (2016)

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Minus: 26, 38, 39, 59, 138, 185, 197, 212
Gesamt: 6 Punkte


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