Riesenmaschine

10.11.2012 | 19:32 | Alles wird schlechter | Sachen kaufen | Vermutungen über die Welt

Die Marke, die man im Irrenhaus besuchen würde


Kennt keiner, will keiner

Das Lancia Kappa Coupé 2.0t beschleunigte in nur 7,3 Sekunden von 0 auf 100 und war mit seinen 241 PS ein richtig schnelles Auto, verbarg seine Fähigkeiten aber hinter einer barocken Fassade. Keiner glaubte, wie zügig sich dieses Trumm bewegen liess.

Eine autogewordene Schrulle (5 Zylinder!), die ziemlich teuer war im Unterhalt – weniger wegen des Verbrauchs als aufgrund der bizarr hohen Versicherungstarife (immerhin wurde dieses Modell in Deutschland nur knapp 350 Mal verkauft – die Gesamtproduktion lag weltweit unter 4.000 Exemplaren). Man fuhr also ein zum Grossteil in Handarbeit gebautes Auto (das sich einige Teile mit dem Maserati 3200 GT teilte, aber auf Grossserientechnik aus dem Fiat-Konzern basierte), ein Auto, das seine Herstellungskosten niemals einspielen würde. Eine Absurdität, eine totale Fehlkalkulation in einer langen Reihe von Fehlkalkulationen, die jetzt wohl zum Aus von Lancia geführt haben.

Aber einen Wagen zu bauen, der vorne den nüchternen Stil der 80er (als Mercedes sich den 190er zu bauen traute) repräsentierte, hinten jedoch Heckflossen aus den 50ern andeutete – und das im Jahr 2000, diesen Irrsinn vollbrachte nur Lancia.

Wir wollen den Humbug, heute sähen alle Autos gleich aus, nicht wiederholen. In den 50ern sahen auch fast alle Autos gleich aus. Es war nicht alles besser früher. Der Unterschied zwischen früher und heute ist nur, dass der juristischen Person, die das Unternehmen ist, der Hang zu Eskapaden und Eigensinn ausgetrieben wurde. Sie erlaubt sich Exzesse durchaus noch, aber vornehmlich in der vulgären Form, wenn sie ihre Angestellten in den Puff einlädt. Und natürlich steht sie nicht dazu, sondern entschuldigt sich wortreich, wenn ihre Mitarbeiterbondage-Veranstaltung (mit ebenso bigotter Miene von egal welchen Medien vorgetragen) enttarnt wurde.

Die Person, die Lancia war, steckte fast ständig in der Krise. Oft orientierungslos, aber regelmässig von genialischen Blitzen durchzuckt, war sie eine Person, die so schizophren war, dass man an ihr vor allem ablesen konnte, was die "stabile Fiktion" einer Marke nicht ist. Eine Marke für Menschen, die in den Statistiken der Markentechniker irgendwo in der Nähe von Kia geführt wurde. Kennt keiner, will keiner.

Lancia war eine Marke, die man im Irrenhaus besuchen würde – und die, in ihren lichten Momenten, Ideen und Formen absonderte, die die den anderen niemals gekommen wären. Wir müssen uns andere Orte suchen, um einen Distinktionsgewinn zu erhalten, wie ihn Lancia versprach. Wir müssen den Exzess, die Exzentrik, den Eigensinn wieder suchen gehen: Den wüsten Exzess des Delta Integrale, die stille Exzentrik des Kappa Coupé – den Eigensinn vieler Lancias.

Gabriel Yoran | Dauerhafter Link


17.12.2010 | 13:20 | Alles wird besser | Vermutungen über die Welt

Die Finalität der Fotografie

Für Peter Glaser ist die mobile Videotelefonie (von ihm durchdekliniert am Beispiel von Apples FaceTime) "ein beruhigendes Beispiel dafür, dass es Techniken gibt, die funktionieren, die aber keiner will". Mit der Windows Live Essentials Photo Gallery von Microsoft verhält es sich genau anders herum: Das darin enthaltene "Photo Fuse" ist ein beunruhigendes Beispiel dafür, dass es Techniken gibt, die funktionieren und die jeder wird haben wollen.

Aus einer Reihe teilverunglückter Gruppenfotos synthetisiert Photo Fuse mit etwas manueller Hilfe das perfekte Gruppenfoto, auf dem alle brav in die Kamera schauen – das arithmetische Mittel der Gruppenfotografie sozusagen. Sollte die Microsoft-Technik allerdings scheitern, empfiehlt es sich, nachhaltig unfotogene Menschen aus Fotos komplett zu entfernen. Der Verbraucher ist entzückt, doch die Theorie ist schon weiter! Denn dank Googles Street View ist bereits alles fotografiert. Die Finalität der Digitalfotografie ist also schlicht der Verzicht auf selbige. Was wiederum die dramatische Erfolglosigkeit mobiler Videotelefonie erklärt.

Pro-Tipp: Nicht gemachte Fotos lassen sich mit Photoshop hervorragend in lustige Grusskarten verwandeln, schön gerade jetzt zur Weihnachtszeit!

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Vorher Nachher Urlaubsphotos


04.06.2010 | 00:03 | Anderswo | Alles wird besser

The Intercity that never sleeps

also am besten, man schaffte das Anfangen komplett ab, so dass es weder Anfang noch Ende gäbe.

Denn Dinge anzufangen ist mühsam. Dabei liegt die Lösung so nah: Einfach keine Dinge mehr anfangen – aber dafür auch nie wieder mit irgendwas aufhören.

Dieses chinesische Konzept für einen Zug, der niemals hält, zeigt wie es geht. Ein Schnellzug trägt eine Art Sozius-Zug huckepack und klinkt ihn an Bahnhöfen sanft ein und wieder aus. Da Passagiere zwischen beiden Zügen während der Fahrt umsteigen können, muss der Schnellzug nie anhalten.

Jedem Anfang wohnt ein Zaudern inne, der Prokrastinateur weiss es, die Physik lehrt es uns. Anstatt Dinge enden zu lassen, wäre es


04.08.2008 | 16:25 | Sachen kaufen | Essen und Essenzielles | Vermutungen über die Welt

Einfach nur heissen


Jetzt in Ihrem "Geschäft" (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Im Produktmarketing vernehmen wir parallel zum Jahrhunderttrend "Abgrenzung vom Wettbewerb durch Markenbildung" schwache, aber vernehmbare Signale einer Gegenentwicklung: Gleich ist das neue Anders. Auf Originalität folgt Identität und zwar im Sinne von: Alles identisch.

Wenn erstmal Unilever, Nestlé und Mars Foods zusammenfusioniert sind und es folglich nur noch einen Riegelhersteller geben wird, dann gibt es auch keinen Wettbewerb mehr. Niemand wird sich mehr abgrenzen müssen, Distinktion ist nicht mehr vonnöten. Produkte brauchen keine originellen Namen mehr, sondern können einfach nur noch heissen. Nestlés in Deutschland jetzt erhältlicher Waffelriegel antizipiert diesen Trend: Er heisst "Snack" (und schmeckt auch so).

Nun zeigt sich, warum Marken wie Nestlé oder Storck in den letzten Jahren die Logos von den Rück- auf die Vorderseiten ihrer Produkte geholt haben: Uns steht eine nie gesehene Foodmarken-Flurbereinigung bevor, die den Konzernen Milliarden sparen dürfte. Anstatt nämlich mühsam Marken aufzubauen und zu pflegen (Toffifee, Dickmanns, Werthers Original) gehört der Dachmarke plus deskriptiver Produktbezeichnung die Zukunft.

In Zeiten ohnehin wuchernder Biermischgetränke wird man dankbar sein für die zu erwartende Durchnummerierung der Sorten. Nach der Fusion der Bier-Konglomerate InBev (Beck's) und Anheuser-Busch (das US-Budweiser) kann es nicht mehr lange dauern bis zur Markteinführung von "Bier Nr. 5". Chanel hat das auch nicht geschadet.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Universal Selling Proposition


25.03.2008 | 13:27 | Alles wird besser | Sachen kaufen | Essen und Essenzielles

Natürlich sind zwei Artikel besser als einer


Die Echte (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Das Echte (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Den Artikel vor einem Artikel wegzulassen, ist eine gleichermassen populäre wie einfallslose Markenbildungsmassnahme ("iPhone is a revolutionary new mobile phone"). Und auch die modische Umkehrung dieser Strategie, die Volkswagen "Das Auto" und die Bahn "Die Bahn" nennt, hat Schwächen. Denn natürlich wären der Auto und das Bahn aufmerksamkeitsstärker gewesen, aber welcher Vorstandsvorsitzende im Praktikum erinnert sich heute noch an "Das König der Biere"?

Ausgerechnet Zentis, der "traditionsbewusste Hersteller von Brotaufstrichen, Süsswaren, Backfüllungen und Fruchtzubereitungen" führt nun das Dual-Shock-Naming in den Massenmarkt ein: Mit den parallelen Aufdrucken "Das Echte" und "Die Echte" auf ein und demselben Johannisbeer-Gelee erlebt die/das Abweichung von der (?) Norm eine neue Qualität.


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