Riesenmaschine

22.06.2006 | 12:33 | Anderswo | Alles wird besser | Alles wird schlechter | Essen und Essenzielles

Essen calling

Anstatt in Regionen mit schlechter Netzabdeckung (Wüste, Weltmeere, Berliner Hinterhöfe) die Wahl seines Mobilfunknetzes zu bereuen, kann man ja auch einfach sein Handy aufessen. Am besten eins mit Lasagne-Platine. Das essbare Bauteil, aber auch (bereits in Japan erhältliche) kompostierbare Mobiltelefone und Handygehäuse mit eingebauten Sonnenblumensamen zeigt jetzt eine Schau des Londoner Science Museum. Beerdigt man sein derart präpariertes Mobiltelefon, wächst irgendwann eine Sonnenblume raus. Nickel-Metallhydrid-Komponenten zu vergraben, damit das Symbol der europäischen Grünen herauswächst – wenn das die Antwort der britischen Forscher ist, was war dann die Frage?


06.06.2006 | 20:56 | Anderswo | Essen und Essenzielles

Vertriebenenwurst


Foto: acme, Lizenz
1957 war ein fabelhaftes Jahr für verquirlte Lebensmittel. Während in Puerto Rico die erste Piña Colada gemixt wird, machen Exil-Rügenwalder in Deutschland etwas Ähnliches: Sie nehmen zwar nicht Kokosmilch und Ananassaft, sondern Schweinefleisch und Speck (im Verhältnis zwei zu eins), rühren es zusammen und reanimieren damit die Rügenwalder Teewurst, deren Heimat durch Gebietsabtretungen Polen und der Sowjetunion anheim gefallen war.

Heute ist der Marktführer im Teewurst-Segment die Rügenwalder Mühle, die in ihren Werbespots der dauersonnenuntergangsbeleuchteten Vergangenheit "bei uns in Pommern" huldigen will, damit aber nur den Blick auf geographische Tatsachen verstellt: Die Rügenwalder Mühle hat ihren Sitz seit 60 Jahren im niedersächsischen Bad Zwischenahn, 562 Kilometer westlich vom pommerschen Rügenwalde (dem heutigen Darlowo).

Umso stärker ist man beim Hersteller von Deutschlands Vertriebenenwurst Nummer eins um street credibility bemüht. Vorsorglich hat man in Bad Zwischenahn schon mal Strassen umbenannt, um sie der Topographie der Teewurst anzupassen. Falls tatsächlich mal Kunden vorbeikommen, um sich vom ordnungsgemässen Zustand der Marketingmaterialien zu überzeugen, muss eventtechnisch aber noch aufgerüstet werden – eine Rügenwalder Mühle gibt es da nämlich nicht.


21.05.2006 | 13:38 | Was fehlt | Sachen kaufen

N70 wiedergeboren


Auf dem offiziellen Nokia-Pressefoto sieht das N70 eigentlich ganz zivilisiert aus (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Nachdem sich mit Siemens das letzte heimische Unternehmen aus dem Handymarkt verabschiedet hat und künftig vorrangig das Segment der Vakuumdrehtrommelfilter aufmischen wird, bleiben dem Verbraucher hierzulande nurmehr Mobiltelefone mit Migrationshintergrund. Doch die Riesenmaschine weiss: Produkte von woanders helfen gegen geistige Heimatlosigkeit – ihr Verhalten mag bizarr sein, doch gibt uns ihre Andersartigkeit Orientierung. Zum Beispiel das Handyradio: Mit dem Handy Radio hören ist einfach, vorausgesetzt man schliesst ein Headset an. Hat man keins angeschlossen und ruft die Radiofunktion dennoch auf, wird man Zeuge eines produktphänomenologisch bemerkenswerten Outings. Sony-Ericsson-Modelle zum Beispiel geben sich in diesem Fall konziliant: Es erscheint die Meldung "Schliessen Sie das Headset an, das als Antenne dient." Das Nokia N70 hingegen ist, nun ja, anders: Es verfärbt sich das gesamte Display, ein Symbol beginnt nervös zu blinken und das Telefon herrscht den arglosen Verbraucher an: "Zubehör anschliessen!" Dass beim Handy-Weltmarktführer ein derart schroffer Ton herrscht, gibt Anlass zur Besorgnis. So viel Andersartigkeit ist eindeutig zu anders.

Doch Hoffnung ist diesmal keine warme Seekuh, sondern das Produktmanagement von T-Mobile: Bevor man das N70 nämlich seinen Kunden anbot, musste das Telefon durch die Rebranding-Abteilung. Und dort tunkte man das User Interface nicht nur ins konzerneigene Magentabad, sondern lehrte es auch noch angemessene Umgangsformen. Das wiedergeborene N70 rät dem Nutzer nun: "Bitte schliessen Sie das nötige Zubehör an." Den Netzanbietern sei für weitere Weltverbessungsmassnahmen das V3 RAZR ans Herz gelegt, das nach dem klassischen Motorola-Prinzip "aussen irr, innen wirr" gestaltete wurde. Wenngleich die Benutzeroberfläche des V3 dem Benutzer keine erlebnispädagogischen Fingerübungen mehr bei der Suche des Telefonbuchs abverlangt (wie noch beim dem so genannten Katastrophenhandy P7389), so wurde in das User Interface etwa soviel Hingabe investiert wie das Gehäuse dick ist.

Es bleibt zu hoffen, dass die Wiedergeburtenrate im Mobilfunkbereich künftig steigt. Zu viele Handys erscheinen in ihrem ersten Leben als vor der Zeit in die Welt Geworfene; Frühgeburten eines Produktlebenszyklus, der schneller vorbei ist, als man Reinkarnationstherapie sagen kann.


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