Riesenmaschine

30.01.2007 | 02:04 | Berlin | In eigener Sache

Weltchronik – Die Premiere (Gast: Dr. Mark Benecke)


Wir durften uns nicht länger ausschliesslich auf unsere komödiantischen Fähigkeiten verlassen (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Am Mittwoch (31.1., 20:00, Eintritt 10/8 Euro) wird ein neues, monatliches Format seine Premiere erleben, das von Riesenmaschinen-Gastautor Jochen Schmidt und Falko Hennig, dem Gründer der Charles-Bukowski-Gesellschaft, Psoriasis-Forscher und Radio-Hochsee-Gastgeber betreut wird. Die Weltchronik
findet immer am letzten Mittwoch des Monats im Filmkunsthaus Babylon statt und wird den Versuch darstellen, dem vergangenen Monat allein mit der Macht der Worte sowie aller anderen unterhaltsamen Dinge Sinn abzugewinnen. Dabei wird den beiden passionierten Chronik-Autoren ein Gast zur Seite stehen, der exklusiv für sie Tagebuch führt, bzw. sich anders aus der Affäre zieht. Bei der Premiere wird das der bekannteste Forensiker Deutschlands, Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke sein, der bei dieser Gelegenheit erstmalig seine Ganzkörpertattoos einer Deutung unterziehen wird. Und schon im März wird bei der Weltchronik Kathrin Passig zu Gast sein, die sich bereits darauf freut wie Bolle.


24.01.2007 | 19:06 | Sachen kaufen

Man steigt nie zweimal in denselben Golf


Was wäre eine Parklücke ohne Auto? (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Kinder suchen sich Aufgaben, die zu ihnen passen. Als die DDR in den 80ern 20.000 Golfs importierte, weil man das Volk bei Laune halten wollte, habe ich eine Weile versucht, auf der Strasse mitzuzählen, um zu ermitteln, ob diese Zahl der Wahrheit entsprach. Ich kam aber nur bis ca. 500, weil ich immer vergass, wie weit ich schon gezählt hatte. 20.000 Golfs, das waren immer noch 16,98 Millionen zu wenig, um uns alle zu versorgen, was als Weihnachtswunsch vielleicht unverschämt geklungen hätte, aber am Ende immer noch preiswerter gewesen wäre als die Wiedervereinigung. Jetzt gibt es die DDR nicht mehr, aber dafür schon 25 Millionen Golfs, mehr als es von uns je gab! Und wie jeder gute Vater behauptet auch VW, sich über jedes einzelne seiner Kinder zu freuen, was bei 25 Millionen Kindern auch den Gefühlshaushalt eines ausgesprochenen Familienmenschen überfordern dürfte. Aber Autos sind natürlich auch nicht so undankbar.


31.12.2006 | 21:00 | Sachen kaufen

Die Lust am Kopf


vorher (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

nachher (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Der grosse Vorteil an Masturbation ist, dass man sich vorher nicht verführen muss und hinterher nicht von sich verlassen wird, der grosse Nachteil, dass sie sich nur für so wenige Körperteile eignet. Es sei denn, man betrachtet "alleine Essen" als Verdauungstraktmasturbation und "alleine Spazierengehen" als Bewegungsapparatmasturbation. Aber seltsamerweise wird es von niemandem beanstandet, wenn man allein isst oder spaziert, alleine Musik hört und alleine ein Buch liest. Selbst alleine zu sterben ist im Grunde immer noch die Norm, in vielen Gesellschaften ist es sogar verboten, gemeinsam mit anderen sterben zu wollen. Alles darf man allein, nur beim Sex wird die Nase gerümpft, denn das ist Lustklau, so egozentrisch wie ein langes Gitarrensolo.

"Sensus magnus" schliesst eine Lücke in der Masturbationslandschaft: die Kopfmasturbation. Wem einmal die drahtigen Finger von "Sensus magnus" die Kopfhaut hinabgeglitten sind, der wird keinen Partner mit zarteren Händen mehr wollen, sich beim Friseur nie mehr die Haare waschen lassen und auch sonst nicht mehr verzweifelt nach einem Gegenüber suchen. Unsere Partner können einpacken, von "Sensus magnus" gibt es kein Zurück.


24.09.2006 | 21:58 | Essen und Essenzielles

Der Doktor und das liebe Kind


Medizin muss nicht bitter sein (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Wie fern liegt die Zeit, als man ein Wirtschaftsimperium begründen konnte, mit nichts als der Idee, Backpulver in praktisch portionierten Tütchen anzubieten? Anscheinend hatte die Konkurrenz seit Jahrhunderten geschlafen. "Das ist so praktisch", war das höchste Lob, das man als Kind für eine familiäre Neuerwerbung aussprach, z.B. Geräte mit Saugnäpfen am Boden, oder Verschlüsse, die gleichzeitig als Griff dienten. Grob gesagt, hatte alles, was wir aus dem Westen bekamen, praktische Seiten, z.B. Teppichmesser, deren Klinge man durch Abbrechen erneuerte (wozu man praktischerweise das abnehmbare, geschlitzte Ende vom Griff nutzen konnte) oder Lenorflaschen mit Griff (der nicht etwa umständlich angebracht, sondern Teil der Flasche war.) Praktische Ideen zu haben kostete nichts, der Osten hatte eigentlich keine Ausrede.

Der Bereich, in dem man praktische Ausrüstung braucht, war neben Militär und Tourismus, die ja beide fliessend ineinander übergehen, stets die Küche. Irgendwie träumt man ja immer noch von einem Haushalt, den man vollständig durch das Ziehen an einer Schnur bedienen kann, das wäre praktisch. Im Westen war zumindest Kochen schon ein Kinderspiel, weil sich durch das lustvolle Zusammenschütten der wundervoll praktischen Zutaten immer etwas feines ergab, oft genug etwas besseres, als man vorgehabt hatte. Und Dr. Oetkers Produkte waren nicht nur praktisch, sondern flössten einem tiefes Vertrauen ein. Denn wer könnte es besser mit einem meinen als ein Doktor? Das Logo mit dem Profil einer Hausfrau, die meiner Oma glich, wie wahrscheinlich der jedes anderen auch, tat sein übriges. Hier war die klassische Arbeitsteilung der menschlichen Gesellschaft Symbol geworden: seit es Küchen gibt, haben Männer ihre Frauen darin schuften sehen, und ihr schlechtes Gewissen mit Tüfteleien beruhigt, die den Frauen die Arbeit erleichtern sollten. Die Frau kocht, und der Mann räumt ihr mit seinem Ingenium die Steine aus dem Weg. Und wenn dieser Mann auch noch ein Doktor ist, rückt die Utopie, dass eines Tages aus Nahrung Medizin wird, in greifbare Nähe.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Kackpulver


07.09.2006 | 14:21 | Anderswo | Papierrascheln

Volk ohne Hohlraum


Etwas war anders (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Dass die Menschen eine Seele haben, ist eine schwer zu widerlegende Behauptung, und obwohl niemand weiss, wie sie aussehen könnte, dient der Begriff auch zur Bezeichnung einer Besonderheit an manchen Korkenziehern und Stahlseilen. Hier ist die Seele ein zentraler Hohlraum, der das Ziehen des Korkens vereinfacht – Korkenzieher mit Seele sind zuverlässiger –, bei Stahlseilen ist sie ein inneres Seil, um das das eigentliche Seil gewickelt wird, womit man näherungsweise Biegeschlaffheit erreicht, durch die sich das Seil nach der Balkentheorie überhaupt erst vom näherungsweise biegesteifen Balken unterscheidet. Die Seele scheint also ein Hohlraum sein zu können, sofern sie sich in einem anderen Körper befindet, aber auch eine Füllung in einem ihr wesensgleichen Gefüllten. Hohlräume ohne umschliessenden Körper sind häufiger als Körper ohne umschliessenden Hohlraum, es wird also mehr Hohlseelen als Vollseelen geben. Jedenfalls ist die Seele immer von etwas Seelenlosem umgeben, dessen Seele sie ist, eine Seele kann also keine Seele haben.

Klopapier, wie wir es kennen, ist ebenfalls innen hohl, könnte also theoretisch beseelt sein. Im erdgeschichtlichen Massstab ist es ein ähnlich junges Phänomen wie das Internet. Vor seiner Einführung im 19. Jahrhundert (wie bei der Mauer waren die Chinesen natürlich schneller) wurde alles Mögliche benutzt, bis man auf den naheliegenden Gedanken mit dem Papier kam. Die Griechen reinigten sich mit Steinen und Tonscherben, die Germanen mit Stroh und Laub, das Mittelalter kannte Moos, Schafwolle, Sand, Maisstroh, die linke Hand, Rabelais diskutiert die Vorzüge lebender Gänse als Arschwisch. Ist Papier das Ende der Entwicklung? Die Zahl der Lagen stagniert bei 4 bis 5. Nach dem Ende des kalten Krieges brauchen meine Verwandten aus Itzehoe zwar kein Klopapier mehr, um die Grenze zu passieren und in den Osten zu reisen, einerseits hat sich der Westen also durchgesetzt, aber andererseits muss er nicht mehr weicher werden, um den Osten auszustechen, was schade ist.

Aber jeder Osten hat seinen Osten, und in Odessa fand ich nun ein nichtkanonisches, hohlraumloses Klopapier, das mich irritiert hat, weil es auf einfache Art alte Denkgewohnheiten zerstörte. Es stellte sich z.B. sofort die Frage, ob zuerst unser Klopapier da war, oder unsere Klopapierhalterung. Aber die viel zermürbendere Frage war, ob dieses Klopapier, weil es innen nicht hohl ist, keine Hohlseele hat, oder ob es selbst die aus unserem Klopapier herausgestanzte Vollseele ist, die nun, getrennt von ihrem Körper, in Osteuropa Dienst tun muss.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Volk ohne Zwischenraum


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