Riesenmaschine

25.05.2007 | 12:19 | Alles wird besser | Alles wird schlechter

Tsille Pots


Leicht fehlerhafter Schöpfungsnachbau. (Foto: bmelcher) (Lizenz)
Wer in einer schriftlichen Prüfung sitzt und schwitzt, tut gut daran, sich daran zu erinnern, dass das Abschreiben eins der fundamentalsten Naturprinzipien ist – neben Gravitation, Uhu und Schnurgummis. Genauer gesagt ist es die unvollkommene Kopie, die die Evolution vorantreibt, Bücherregale mit vermeintlich neuen Ideen vollmacht und aus zwei alten und halbkaputten Menschen einen blitzblanken jungen macht. Der dann wiederum von anderen jungen Menschen kopiert: Musikdateien, Kleidungsstile und Antworten in Prüfungen; der ewige Kreislauf der abschreibenden Natur. Man könnte sogar der Ansicht sein, die Differentialgleichungen der physikalischen Naturgesetze seien nichts als die kontinuierliche Variante eines Bündels diskreter Anweisungen, wie aus einem Moment der jeweils nächste herzustellen sei: durch fehlerhaftes Abschreiben nämlich.

Weil nun aber so viel in der Welt auf einer Variante der stillen Post beruht, kann man durch eine Untersuchung von Kopierfehlern eine ganze Menge herausfinden. Die Fehler, die beim Kopieren der DNA gemacht werden, lassen sich als Molekulare Uhr zum Datieren evolutionärer Divergenz benutzen, die Tippfehler, die sich in Bibliographien wissenschaftlicher Artikel einschleichen, erlauben Aufschluss darüber, wie viele der zitierten Aufsätze tatsächlich gelesen wurden (ungefähr ein Fünftel), und wie viele aus anderen Artikeln abgeschrieben (ungefähr vier Fünftel). Und in der Popkultur können, einer neuen Studie zufolge, einfache Kopiermodelle das Auftreten von Moden und die Dynamik von Hitparaden weit besser erklären als ein Pulk von Trendforschern und Systemtheoretikern, den man an einen Schnurgummi geklebt und von einer Brücke geworfen hat.


20.05.2007 | 02:25 | Supertiere | Zeichen und Wunder

Käferkuchenschlacht

Dass Insekten zu den finstersten Hervorbringungen der natürlichen Weltprozesse gehören, ist der Standpunkt dessen, der innerlich selbst hart ist wie ein Chitinpanzer, und fortwährend mit tausend Beinchen und Fühlern nach Dingen sucht, die er besudeln und in den Schmutz ziehen kann, kurz, der selbst ein niederes und verdammenswertes Seelenungeziefer und inneres Insekt vorstellt. Trotzdem aber der fühlende Mensch also seinem krabbelnden Bruder freundlich und interessiert gegenübertreten sollte, wenn er zum Beispiel als Lebensmittelmotte aus dem halb gegessenen Müsli aufsteigt, fällt ihm das nicht immer leicht. Hat man indes gesehen, wie Wespe und Konsorten auch mal mit kleinen Kuchensachen beworfen und beschämt werden, statt dieselben uns aus eigenem Antrieb vom Teller wegzulüpfen, und uns womöglich auch noch zu stechen dabei, fallen einem Grundhöflichkeit und Gleichmut dem Reich der Insekten gegenüber wieder so leicht, wie es die gute Sitte erfordert.

Man muss den Film allerdings abschalten, ehe ganz am Ende die Kleintierschinderei als Werbevehikel für kleine Telefone erkennbar wird. Man übertrüge sonst noch den Krabbeltierekel auf diejenigen, die einem klebrige Werbebotschaften ins Gesicht schleudern wo man nur einen kleinen Rundflug machen wollte, und der schöne Höflichkeitszugewinn welkte wieder dahin.


19.05.2007 | 14:16 | Alles wird besser | Sachen kaufen

Nasenglasen


Fünfzig Dollar sind nicht zu viel für ein Glas mit Nasenloch (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Sprichworte können manchmal auch irren. Der Lauscher an der Wand zum Beispiel zieht sich beim Versuch, seine eigene Schande zu hören, in der Regel Halsschmerzen und Verspannungen zu, manche scheitern beim Schandehören gleich ganz. Die Ohren nämlich sind zu nah am Kopf angebracht. Umgekehrt ragt die Nase dann wieder zu weit von ihm weg. Das ist zwar gut, sonst könnte man die Menschen nicht so leicht an ihr herumführen, es ist aber auch schlecht, denn sie kommt einem so dauernd in die Quere, ein hin und wieder beklagter, aber selten ernstlich angegangener Weltmissstand. Danken muss man daher Hammacher Schlemmer, den selbsterklärten Anbietern des Unerwarteten, für ihr Weinglas mit Nasenausfräsung. Endlich kann man beim Weintrinken seinen Zinken in eine Glaskerbe stecken, wie Gott sich das beim Schöpfungskonzeptpapier ja ursprünglich mal gedacht, aber dann später in der Werkstatt vergessen hatte. Wenn jetzt noch was erfunden würde, mit dem man den Zwischenraum zwischen Ohr und Wand überbrücken kann, rückte unsere Schande endlich in hörbare Nähe.


14.05.2007 | 13:42 | Anderswo | Alles wird besser

Ersatzsaft


Man kann Blut auch aus kleinen Fotos zusammensetzen. Aber kommt die Forschung auf sowas? Sie kommt nicht.
(Foto: genista) (Lizenz)
Mancher wissenschaftliche Durchbruch basiert auf so grossem Unfug, dass man als normaler Mensch niemals draufgekommen wäre. Verbogene Raumzeit? Wellenteilchen? Doppelhelixförmige Säurestrickleitern? Get outta here, gimme a break, what the fuck! Andere Neuheiten sind so unmittelbar einleuchtend und gleichzeitig so nützlich, dass man ihre Autoren beim besten Willen (und wer hat den schon) nicht ernst nehmen kann. Blutersatz aus Plastik, mit einem Eisenkern zum Sauerstofftransport? Sowas kann mein Dreijähriger auch, dazu muss man doch nicht an der Universität studieren. Und das alles von unseren deutschen Steuergeldern! Obwohl, wo ist dieses Sheffield noch mal?


13.05.2007 | 02:25 | Alles wird schlechter | Fakten und Figuren | Sachen anziehen

Dysfunktionale Zahlen


Welcome, Number Overlords. (Foto: dark_imp666) (Lizenz)
Einem bejahrten T-Shirt-Witz zufolge spaltet sich die Menschheit in drei Gruppen: die, die zählen können, und die, die es nicht können. Eine Variante besagt, es gebe 10 Gruppen, nämlich die, die das Binärsystem verstehen, und die, die es nicht verstehen. Das stimmt aber alles nicht, in Wahrheit sind es nämlich drei Aspekte, der Mathematikversteher, der Mathematikverehrer und der Mathematikverächter, aus denen sich jede Person zusammenschrauben lässt. Dem letzteren Aspekt kann man, dem ersteren muss man nicht helfen, aber der in der Mitte, der die Zahlen nicht begreift, aber vor ihrer Objektivierungsmacht in Ehrfurcht erstarrt und sie sich als Werkzeug zunutze machen will, muss bekämpft werden, denn andernfalls nimmt er die Pistolen, die er sich aus Statistik, Spucke und Dreistigkeit geschnitzt hat, und schiesst mit ihnen die Welt über den Haufen.

Er führt dann zum Beispiel eine Studie an 140 Kindern durch, die ein Jahr dauert, und mit beeindruckend klingenden hierarchischen linearen Modellen nachweist, dass Kinder, die wenig Selbstvertrauen und negative Grundhaltungen haben, von Widrigkeiten leichter zu depressivem Verhalten getrieben werden. Es gibt, mit anderen Worten, zwei Sorten von Forschern. Solche, die das Offensichtliche ignorieren, und die, die es faktoranalytisch in seine Bestandteile Offen, Sich und Licht zerlegen und das Ergebnis dann publizieren. Leider nicht auf T-Shirts.


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