Riesenmaschine

05.09.2008 | 12:04 | Alles wird schlechter | Sachen kaufen

Playmobilienkrise


Eine Schildkröte im Computertomographen! (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Selbstentfremdung deluxe: Der Sklave freut sich über sein Dasein. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Auf die Immobilienkrise folgt die Playmobilienkrise. Ein mittelmässiges Wortspiel, das sich aber angesichts der Neuheiten aus dem Playmobil-Katalog 2008/2009 kaum vermeiden lässt. Der fränkische Spielwarenhersteller setzt weiterhin auf eine verantwortungslose Schönfärberei der Welt, die selbst den dümmsten Kindern sauer aufstossen müsste wie zu viel Capri-Sonne.

Begonnen hatte die fatale Entwicklung hin zur kompletten Realitätsignoranz bekanntlich mit einem Krankenhaus voller lachender Menschen. Statt diese groteske Umdeutung der Welt im neuen Katalog mit dem Ergänzungsset "traurige Onkologie" zu korrigieren oder sich aktuellen Themen wie dem Klimawandel oder dem Kaukasuskonflikt zu stellen, lautet das Motto nun "Sprechstunde in der Tierklinik": Kühe, Esel und Ponys werden mit Pflastern und Verband versorgt, während in der echten Welt Menschen sterben. "In der Tierklinik geht's heut rund / Hier kommt ein verletzter Hund", heisst es naiv-aktionistisch in der zugehörigen Werbejingle. "Zur Behandlung kommt die Ärztin rein / Beim Röntgen sieht man sein gebrochenes Bein. / Jetzt noch schnell den Verband angelegt / Dann ist er schnell gesund gepflegt." Von den Tieren, die nicht mehr gesund werden, ist natürlich nicht die Rede.

Auch in der historischen Abteilung ist die Ausblendung aller negativen Seite der Geschichte virulent: eine Spielwelt Ägypten, schön und gut. Aber was denkt man bei Playmobil, wer die Pyramiden gebaut hat? Lachende Sklaven? Wohl kaum. Dass im Zubehörkatalog immer noch ein Set Konförderierten-Truppen angeboten wird, wirkt in diesem Zusammenhang besonders zynisch. Die echte Welt ist leider nicht so gut gelaunt und "von drei Seiten bespielbar" wie der Dachs- und Fuchsbau mit der Artikelnummer 4204, das weiss auch der kleinste Dreikäsehoch-Kunde. Playmobils Plan, ihn für dumm verkaufen zu wollen, wird nicht aufgehen.

Alle Hoffnungen ruhen jetzt auf dem kommenden Lego-Katalog. Erste Bilder, die im Internet aufgetaucht sind, verheissen jedoch nichts Gutes: Auch hier scheint sich der der Trend fortzusetzen, zum Preis von 170 Euro Modelle anzubieten, die so aussehen, wie das, was Volker Jahr mit sieben aus den Resten in der Legokiste selbst zusammengebaut hat. Kinderzimmer, quo vadis?


24.08.2008 | 20:46 | Anderswo | Was fehlt | Listen

Nehme jedes Wortspiel an


Kleingeld, an das wir glauben (Foto, Lizenz)
Zwischen Bettlern und Bloggern lassen sich viele vollkommen konstruierte Parallelen entdecken: Beide Randgruppen suchen nach Aufmerksamkeit, befinden sich im Kampf gegen die Festanstellung und gehen meist betrunken zur Arbeit. Auch das ermüdend oft konstatierte Relevanzgefälle zwischen Amerika und Deutschland scheinen sie sich so brüderlich zu teilen wie die letzte Zigarette.

Während deutsche Bettler vollkommen unreflektiert vor sich hinleiden, macht in Amerika Not noch erfinderisch. Dort hauchen die Bittsteller beim Schildermalen dem verstaubten Genre des One-Liners neues, nach Fusel stinkendes Leben ein. So berichtet ein deutscher Blogger aus New York von der Rangliste seiner Lieblingsbettelschilder: Während Platz drei noch eher dem T-Shirt-Spruch-Humor der Firma EMP zuzuordnen ist, zeugt Platz zwei bereits von angelsächsischem Understatement. Platz eins jedoch ist eine klassische Wortspielperle, wie sie sich nur unter Bettlern und Bloggern jenseits des Atlantiks finden lässt: "I'm like Obama. I want change."


11.08.2008 | 01:16 | Anderswo | Alles wird schlechter | Essen und Essenzielles

Bibliothek am Scheideweg


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Viele Hoffnungen hatte man in den Wechsel an der Verwaltungsspitze der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln gesetzt. Demokratische Strukturen, eine Öffnung zum Westen hin, sogar die Zulassung importierter Konsumgüter, einiges wurde von den neuen Machthabern versprochen. Bald folgten den Ankündigungen auch erste Taten: Zunächst testweise liess man Mineralwasser in durchsichtigen Plastikflaschen zu, die Sicherheitskräfte an den Eingangsbereichen drückten sogar bei leicht grünlichen oder bläulichen Behältnissen oft ein Auge zu. In einem langsamen, aber stetigen Prozess sollten weitere Schritte folgen: Schon 2010 wollte man auch ungesüsste Limonaden und einzeln verpackte Lebensmittel wie Hustenbonbons oder Duplo-Riegel erlauben, 2015 sollte das strikte Koffeinverbot gelockert werden. Nun aber ist all dies wieder fraglich geworden. Nach internen Auseinandersetzungen war das USB-Regime gezwungen, den Hardlinern in den eigenen Reihen Zugeständnisse zu machen. Schon bald könnte es mit den neuen Freiheiten wieder vorbei sein, wenn die internationale Gemeinschaft ihren Druck auf die Bibliotheksspitze nicht erhöht.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Ein schöner Tag in der Unibibliothek


10.06.2008 | 11:40 | Alles wird besser | Was fehlt

Egal gibt's wieder


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
"Was ist das grösste Problem in Deutschland: Unwissenheit oder Gleichgültigkeit?" – "Weiss ich nicht. Ist mir aber auch egal." So geht ein alter Witz und wie in allen alten Witzen steckt natürlich auch in diesem kein Fünkchen Wahrheit. In Wirklichkeit hat Gleichgültigkeit nicht das Geringste mit Unwissen zu tun, es handelt sich dabei viel eher um eine höhere Entwicklungsstufe des Wissens, vergleichbar mit dem Pokémon Enteron, der höheren Entwicklungsstufe von Enton. Als Faustregel gilt: Wer viel weiss, dem ist auch viel egal.

Vorbildlich daher alle Internetabstimmungen, die "Ist mir egal" als Antwort zulassen und der oft verkannten Egalität zu ihrem Recht verhelfen. Wenn wir jetzt bei der nächsten Bundestagswahl auf dem Stimmzettel auch "Ist mir egal, ich will nur, dass es mir besser geht" ankreuzen können und Anne Will am nächsten Sonntag ihren Gast Guido Westerwelle mit den Worten vorstellt "Steuerpolitik ist ihm eigentlich egal, er will nur so gern ins Fernsehen", ja, dann würde uns das freuen. Ach nein, stimmt nicht. Es wäre uns egal.


19.05.2008 | 18:35 | Berlin | Supertiere | Fakten und Figuren

Ein durchschnittlich langweiliger Beitrag

Langeweile und Durchschnitt stehen in einer seltsamen Beziehung zueinander. Im Prinzip ist das Durchschnittliche natürlich das Langweilige, doch wie soll man sich dann das überdurchschnittlich Langweilige vorstellen? Ein grosses Rätsel, auf das niemand eine Antwort kennt, zumindest solange er zugunsten der schönen feuilletonistischen Paradoxie vergisst, dass im zweiten Fall ein anderer Durchschnitt als im ersten gemeint ist.

Zum Glück bringen die Berliner Unternehmer des StudiVZ-Konglomerats mit der Machete der Vernunft jetzt Licht und Klarheit in dieses Dickicht: In einer mehrere Millionen Dollar teuren, geheimen Studie haben sie in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut, der Bundeszentrale für politische Bildung und der Zeitschrift Playboy jahrelang Langweiligkeit und Durchschnittlichkeit erforscht. Die Ergebnisse nutzen sie nun, um ihre Line-Extension mit dem durchschnittlich langweiligen Namen meinVZ zu vermarkten: Interessierten wird der Screenshots einer meinVZ-Beispielseite angezeigt, deren Langweiligkeit empirisch so optimiert ist, dass sie durchschnittlicher, das heisst beispielhafter, nicht sein könnte.

Die langweiligste Frau der Welt, wir wissen es jetzt endlich genau, wohnt also in Berlin-Friedrichshain, spricht Deutsch und Englisch, sagt von sich selbst, sie sei "die Kreativität in Person" und ist Diplom-Grafikdesignerin. Sie interessiert sich für Kino, Schwimmen und Urlaub und hört Rock, Jazz und House, wobei sie auch Kino, Schwimmen und Urlaub hören könnte und sich für Rock, Jazz und House interessieren, weil es eh keinen Unterschied macht. Ihr Lieblingsbuch ist "Der Schatten des Windes", ihr Lieblingsfilm "Dirty Dancing" und ihre Lieblingspolitikrichtung "liberal". Ausserdem möchte sie andere wissen lassen, dass sie im Auto singt, Salsa tanzt, sich mit Web 2.0 beschäftigt und Niveau nur von unten aussieht wie Arroganz.

Wir hingegen können als Untersuchungsergebnis festhalten, dass Langeweile von unten aussieht wie Durchschnittlichkeit, von oben aber wie etwas ganz anderes, beispielsweise wie eine notwendige Bedingung begrifflicher Erkenntnis oder ein ausgestorbenes südamerikanisches Riesenfaultier.


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- pastellfarbene Kugeln

- Tiegel-Teuerling

- Overground (rockt voll)

- gut gemachte Immanenz

*  SO NICHT:

- Schwarzfleckiger Schmierschirmling

- zuviel Lametta

- Topf-Teuerling

- etwas überinstrumentiert


*  AUTOMATISCHE KULTURKRITIK

"Red Hill", Patrick Hughes (2010)

Plus: 14, 45, 119
Minus: 19, 36, 93, 99, 117, 130, 132, 201
Gesamt: -5 Punkte


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