Riesenmaschine

21.02.2006 | 14:49 | Anderswo | Alles wird besser

Von Pretzel-Syndrom und Ahornsirupkrankheit

Auch wenn unter anderem die Schweiz die Deutsche Mannschaft aus dem olympischen Eishockeyturnier geworfen hat, sollten nicht immer nur die Unterschiede, sondern auch einmal die Gemeinsamkeiten zwischen dem kleinen Land im Süden und seinem dicken Nachbarn betont werden. Ein gemeinsames Projekt der beiden Ländern ist etwa die Glaubensgemeinschaft der Amischen, der religiösen Antipode der Riesenmaschine. (Die Amischen lehnen jeglichen Fortschritt ab.) Gegründet vom Schweizer Bischof Jakob Ammann, stammen die meisten Amischen von Schweizern oder Deutschen ab. Und zwar alle 180.000 von nur einigen hundert, denn die Amisch müssen untereinander heiraten. Darum sind die Amisch überdurchschnittlich häufig träger von Erbkrankheiten, unter anderem so seltener (und noch nicht publizierter) wie dem Pretzel-Syndrom (überbewegliche Gelenke, Sprachlosigkeit, epileptische Anfälle) oder auch der Ahornsirupkrankheit (ein genetischer Mangel der verzweigtkettigen 2-Oxosäuren-Dehydrogenase, die den Abbau der 2-Oxosäuren-Analoga der verzweigtkettigen Aminosäuren Leucin, Isoleucin und Valin katalysiert).

Die Häufung dieser genetischen Defekte hat aber auch etwas Gutes. Aus der Klinik, die die Old Order Amish, eine etwas rückständige Gruppe innerhalb der Amisch, für die Behandlung ihrer Kinder gebaut haben, kommt nun ein radikal neuer Therapieansatz zur Behandlung genetischer Defekte. Glaubten Mediziner bis anhin, mittels Gentherapie den eine Krankheit auslösenden Gendefekt beheben zu müssen, versucht man hier lediglich die Symptome zu bekämpfen und so den Defekt ins Leere laufen zu lassen. Anstelle einer Gentherapie werden nun Diäten verschrieben, die Kindersterblichkeit wurde massiv gesenkt und der Therapieansatz verbreitet sich auf der ganzen Welt. Und das Ganze tönt auch nicht so penetrant nach Fortschritt wie etwa 'Gentherapie', sodass es sogar die Amisch akzeptieren können. Und wer hats erfunden? Letzlich doch irgendwie die Schweizer und die Deutschen zusammen. Über sowas sollte man mal berichten, nicht nur immer über das Ausscheiden der Deutschen im Eishockey.

via SonntagsZeitung


20.02.2006 | 18:06 | Alles wird besser | Essen und Essenzielles

"Du musst es nicht wieder machen."


Quorn
mehr als nur eine Stadt in Australien (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Um dies gleich klar zu stellen: Es schmeckt hervorragend. Es ist nicht so fad wie Tofu und auch nicht so glibberig und bleich. Es weist eine leicht fasrige Struktur, fleischähnliche Farbe und einen Geschmack zwischen Pilz und Geflügel auf. Da es hauptsächlich aus Pilzprotein besteht, ist es ein guter Lieferant für Eiweiss und Ballaststoffe. Es ist vielseitig form- und ebenso anwendbar, nimmt gut den Geschmack von Gewürzen und Saucen an und ist auch nicht teurer als Hühnchen. Und es heisst Quorn. Kurz: Ein Wundernahrungsmittel.

Während Quorn in einigen fortschrittlichen Ländern (England, Schweiz, Holland) bereits im letzten Jahrtausend eingeführt wurde und sich auch ganz ordentlich verkauft, hat es das sympathische, industriell hergestellte Nahrungsmittel aus fermentiertem Schimmelpilzmyzel in den meisten anderen europäischen Ländern nie über die Tests von Marktforschern hinaus geschafft.

Was lief da schief? Waren es die allergischen Reaktionen einiger ewig Überempfindlichen? War es die Neigung von Quorn, die Packung über Nacht ein ganz klein wenig aufzublähen? War es die vorschnelle Ablehnung von industriell gefertigten Nahrungsmitteln im eher naturfixierten Vegetariermilieu oder doch nur ein allgemeines Unbehagen gegenüber jeglichem 'Fleischersatz'? (Kommentar einer deutschen Testerin: "Mein Mann hat gesagt, ich muss es nicht wieder machen.")

Ein hervorragender Marketingschachzug soll dem nun Abhilfe schaffen. Es wurde nämlich die sehr nach Urban Legend tönende Geschichte in Umlauf gesetzt, der Quorn zugrunde liegende Schimmelpilz sei in den 60er Jahren "zufällig auf dem Boden eines Bauernhofs in Grossbritannien" entdeckt worden. Da kann ja wohl kaum mehr etwas schiefgehen, die Markteinführung in Deutschland ist sicherlich nur noch eine Frage der Zeit. Denn mit einer solchen Geschichte könnte man ja wohl auch Soylent Green an buddhistische Mönche verkaufen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Heute: Pilztag in der Riesenmaschine!


15.02.2006 | 12:51 | Supertiere

gewürgte Garderobenhaken


Nagetier bei der Arbeit – Ersetzt bis zu drei Designklassen (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Früher einmal war das Leben eines Designers ein einfaches. Er musste im wesentlichen Faktoren wie Ergonomie, Funktionalität und Angemessenheit berücksichtigen und diese dann material- und produktionsgerecht in eine gefällige Form umsetzen. Es waren gute Zeiten für Designer, doch sie sind längst vorbei. Fast jedes Produkt gibt es mittlerweile funktional und in verschiedenen Geschmacksrichtungen. Natürlich könnte man diese bewährten Dinge noch etwas verfeinern oder man könnte sich auch ganz neuen Herausforderungen stellen wie etwa dem Design von Orangensaftpackungen, die auch über 60jährige noch selber öffnen können. Man könnte auch versuchen, organische Naturformen sinnfällig in Produkte zu übertragen, wie es zum Beispiel Alvar Aalto immer wieder tat, etwa bei seiner Vasenserie 'Savoy', der Gerüchten zufolge eine Zeichnung 'Lederhose einer Eskimofrau' und in Wahrheit die Form finnischer Seen zugrunde lag. Aber natürlich ist das alles sehr langweilig.

Viel lieber sitzen zum Beispiel diese müden Designerinnen doch in ihrem Atelier und spielen ein bisschen mit Mäusen und Schlangen. Natürlich wird das auch irgendwann langweilig, aber wenn sie dann merken, dass man den Tieren nur das richtige Spielzeug hinwerfen muss, damit sie die Arbeit für einen machen, ist es bis zu Ruhm, Ehre und Auszeichnungen nicht mehr weit. Sie müssen jetzt nur noch den tierischen Produkten (von einer Schlange gewürgte Tonstangen, von Hasen gebuddelte Gänge) willkürlich irgend einen Zweck zuordnen, zum Beispiel 'Garderobe', 'Lampe' oder 'Vase' und fertig. Das Resultat ist zwar weder schön noch praktisch, aber ergibt volkswirtschaftlich natürlich Sinn, teuere Designschulklassen können jetzt massiv verkleinert und in den Räumlichkeiten des städtischen Zoos untergebracht werden. Und es zeigt sich hier auch, wie richtig die Riesenmaschine liegt, wenn sie immer wieder das Aussterben der richtig grossen Tiere bemängelt, hätten doch diese auch noch ganze Architekturfakultäten überflüssig gemacht.


25.01.2006 | 09:11 | Anderswo | Fakten und Figuren

geheime Waffensimulation – der FASIP


Ein Stück Schweiz (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Es ist immer tragisch zu sehen, wenn mit viel Aufwand erstellte, analoge Dinge wärend der Bauphase bereits digital überholt werden. So war es mit der neuen Zürcher Börse, die nach ihrer Fertigstellung gar nicht erst in Betrieb genommen wurde, weil der klassische Börsenring durch den digitalen Aktienhandel ersetzt war und ganz ähnlich ging es dem FASIP der Schweizer Armee.
Der Fahrsimulator Panzerhaubitze ist irgendwo zwischen Zinnsoldat und Counterstrike anzusiedeln, er entstand am Übergang von analoger zu digitaler Kriegssimulation, und es war bei Inbetriebnahme bereits klar, dass Computersimulationen in kürzester Zeit Besseres leisten würden. Doch da war es natürlich zu spät, die ca. 9 auf 3 Meter grosse Modellandschaft im Massstab 1:300 – angeblich einer typischen Schweizer Landschaft nachempfunden – war da schon gebaut und ein Tastschuh mit Minikamera darüber aufgehängt. Der Tastschuh übertrug die Geländeform auf eine hydraulisch bewegte Fahrerkabine, und die Kamera lieferte die Bilder dazu.
Nach Zeugenaussagen war die ganze Sache unbrauchbar: die Bilder unscharf und verwackelt, ein unrealistisches Fahrverhalten, unkontrolliertes Kabinenschütteln und Seekrankheit beim Fahrer, und das bei Kosten in Millionenhöhe.
Konstruktionsbedingt konnte auf dem Geländemodell immer nur ein einziger Panzer verkehren, so dass man nicht nur einen, sondern gleich zwei FASIPs baute, damit dereinst, beim Abschluss der zweiten Bauetappe des Ausbildungszentrums Ost (2001), auch sicher genügend FASIPs zur Verfügung stehen würden.
2001 allerdings lieferte längst jeder Heimrechner eine realistischere Simulation einer Panzerfahrt. Der FASIP war ausser einer interessanten Manifestierung des helvetischen Selbstverständisses – es gibt Wälder, es gibt Felder, es gibt Dörfer und einen Pass, aber Städte fehlen völlig – längst nur noch rührend, um nicht zu sagen lächerlich. Dies umso mehr, als das simulierte Gerät, die Panzerhaubitze m109 damals bereits 40 Jahre alt war und vom Vietnam über den Yom-Kippur bis hin zum Golfkrieg ganz unrührend seinen Dienst tat.
Die Schweizer Armee scheint diese Gefahr erkannt zu haben und hat alle Spuren des FASIP aus dem Netz getilgt. Ausser in einem Zeitungsartikel (und hier natürlich) gibt es keine Bilder im Netz und auf den Seiten der Schweizerischen Armee nur den bescheidene Hinweis 'gewisse Ersatzteile seien nicht mehr lieferbar'.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Wunderwaffenwoche in der Riesenmaschine


20.01.2006 | 17:22 | Anderswo | Alles wird besser

Oh wie schön ist Kanada – der Sawfisch


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Stellen Sie sich vor, es würde Ihnen jemand von einem Unterwasserrobotor erzählen, der mit 8 Kameras, einem Hochfrequenzsonar, einer hydraulischen Greifzange, einer fast zwei Meter langen Kettensäge und einer Fernsteuerung per Joystick ausgestattet sei. Sie wären wahrscheinlich noch nicht sonderlich interessiert. Doch wenn Sie dann – um das zähe Gespräch in Gang zu halten – nachfragten, wozu denn dieses seltsame Gerät dienen solle, würde Ihnen geantwortet, dies sei ein Gerät für die Holzernte unter Wasser. Spätestens jetzt würden Sie sich wahrscheinlich kopfschüttelnd einen anderen Gesprächspartner suchen. Zu Unrecht! Denn hätten Sie etwas mehr Geduld gehabt, hätte Ihnen Ihr Gesprächspartner erzählen können, dass in Kanada riesige Mengen Holz unter Wasser nur darauf warten, gehoben zu werden – in von Stauseen überschwemmten Wäldern.

Für nämlichen Zweck hat die Kanadische Firma 'Triton Logging Inc.' (the underwater harvesting specialists) das oben beschriebenen Gerät, den Sawfish, entwickelt. Dieser taucht ferngesteuert bis zu 300 Meter tief, packt mit seinen hydraulischen Greifarmen einen Baum und sägt ihn ab. Bedient wird er dabei von einer Person, die mit einem Joystick auf einer schwimmenden Plattform steht.

Man kann mit gutem Gewissen behaupten, dass die Welt eine bessere wäre, gäbe es mehr Geräte dieses Kalibers: noch nie hat ein einziges Gerät soviel Wald gerettet wie der dieses, denn für jeden vom Sawfish geernteten Baum muss natürlich an Land einer weniger gefällt werden. Umweltschutz funktioniert also durch mehr Maschinen, nicht etwa durch weniger, wie oft fälschlicherweise angenommen wird.

Wären Sie noch etwas bei ihrem Gesprächspartner geblieben, hätten sie ihn auch noch fragen können, wie um Himmels willen die abgesägten Bäume denn aus 300 Metern Tiefe gehoben würden und hätten die wunderbare Antwort bekommen, dass der 'Sawfish' vor dem Absägen einen Luftballon an den Baum bindet, der diesen an die Oberfläche geleitet, wo er dann von einem Baumsammelschiff eingesammelt wird.


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