Riesenmaschine

19.11.2006 | 13:44 | Fakten und Figuren | Papierrascheln

Digitale Harmonie


Auch lässig gehalten bleiben schwere Bücher schwer. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Als der Heilige Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert in seinem Klosterskriptorium mit Dornrindentinte und Federgriffel seine Gedanken in Pergament ritzte, schuf er ein Monument für die Ewigkeit. Die Anzahl der Wörter seines Werkes im zweistelligen Millionenbereich, die Logik messerscharf und die Sprache so klar wie danach lange Zeit nicht mehr: Dieser Denker verdiente sich die höchsten Meriten, die Kirche heisst ihn den Doctor angelicus und seine Kollegen bezeichneten ihn ehrfuchtsvoll als "sturen Ochsen". Was der Moderne mit ihren schroffen Gegensätzen, ihrem Entweder-Oder und den inneren Zerrissenheiten in allen Bereichen nicht mehr gelingt, ging Thomas noch mit Leichtigkeit von der Hand: Trotz ihrer klaren Unterschiedenheit die innere Zusammengehörigkeit und Harmonie von Geist und Materie, Vernunft und Wille, Natur und Gnade, Freiheit und Notwendigkeit ... Wo die Neuzeit von einem Strassengraben in den anderen taumelt, schreitet Thomas sicher und gerade in der Mitte entlang: Fides autem media via incedit (de Ver., q.24, a.12).

Doch leider war bisher das Einherschreiten mit Thomas nicht so einfach wie für den Meister selbst: Wer in Bibliotheken sich dem Studium seines Opus hingibt, kann beim Tragen der monströsen, Regale füllenden Schwarten ins Wanken geraten, an eine gerade Spur der Mitte ist auf dem Weg zum Lesetisch selten zu denken. Die schwere Materie, in der sein Denken dargeboten wird, widerstreitet deutlich der Leichtigkeit des Geistes, Harmonie will sich nicht einstellen. Doch dem ist nun durch die emsige Arbeit seiner Ordensbrüder an der Universität von Navarra Abhilfe verschafft: Das gewaltige Werk des Heiligen ist digitalisiert und im Netz verfügbar. Das mühselige Schleppen von Papierprügeln wird durch schnelle Mausklicks ersetzt ("Agedum" statt "OK"), mit dem Scrollrädchen huscht man befreit durch die Gedankengebäude, und selbst der Gang zum mittellateinischen Thomas-Wörterbuch wird einem erspart, ganz zu schweigen vom tonnenschweren Konkordanzenwerk Index Thomisticus. Sie schafft es also doch, wenn sie will, die Moderne: Die Harmonie zwischen Materie und Geist.

Ruben Schneider | Dauerhafter Link | Kommentare (4)


28.09.2006 | 05:57 | Alles wird besser | Fakten und Figuren

Gewaltmonopoly


Der Sicherheitsexperte hat die Nachbarskatze fest im Visier (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Aus der Rechtsphilosophie kennt man die Behauptung des Anspruchs aller Menschen auf Rechtsordnung, der notfalls mit Gewalt durchgesetzt werden müsse. Dass die Gewalt selbst in rechten Bahnen verläuft, dafür hat der Staat zu sorgen, und der hat darauf ein Monopol. Doch Gewaltausübung kostet nicht nur körperliche Mühen, sondern auch Geld. Wirtschaft und Monopol sind jedoch seit jeher eine kritische Mischung – einer soll nicht alles und einer kann auch nicht immer alles. Die innere Spannung dieses Problems entlässt aus sich ein pikantes Phänomen: Private Streitkräfte. Früher mag es zur Wahrung von Law and Order grösstenteils genügt haben, dass der Viehdieb die Schrotflinte des Farmers in der Fresse hatte, aber heute benötigt man angesichts der globalen Herausforderungen natürlich viel wagemutigere Abenteurer, etwa private Spezialsoldaten, die mit Schnellfeuerwaffen umgehen können und sowohl zu Wasser als auch in der Luft einsetzbar sind. Nachdem zu den Kunden dieser Militärdienstleister a.k.a. Private Military Companies solch bekannte und geschätzte Persönlichkeiten wie Donald Rumsfeld gehören, hat die kräftige Nachfrage das Bestellungsangebot erheblich erweitert, bis zum Hindukusch und ins Zweistromland. Dieselbe Aufmerksamkeit wie das US-Verteidigungsministerium schenken diesen seriösen Sicherheitsmännern aber zunehmend auch wieder die auf ihr eigenes Monopol pochenden Juristen, die aus Gründen der Strafverfolgung von illegalen Machenschaften, wie unlängst in Somalia, oder gar von Kriegsverbrechen und Folter emsig dabei sind, den völkerrechtlichen Status dieser Kombattantenfirmen zu klären. Momentan sind die Privatmilitärs nämlich von Fall zu Fall sowohl Soldaten als auch Zivilisten und somit für Kriegsgerichte oder Den Haag rechtlich schwer zu greifen. Wenn Sie also noch schnell und stressfrei einen Bandenkrieg klären wollen, dann hurtig zum Telefon gegriffen und einmal Delivery in die Vorstadt bitte.

Ruben Schneider | Dauerhafter Link | Kommentare (2)


30.07.2006 | 03:12 | Alles wird besser | Vermutungen über die Welt

Normatives Fahrverhalten


Verboten ist geboten (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Noch hört man ihn, den herzhaften Klang röhrender Motoren, wenn die Jungs von nebenan mit ihren aufgebohrten Fahrzeugen mal wieder mit Tempo 120 durch die Zone 30 brettern. Ab nächstem Jahr könnte das vorbei sein, denn dann ist Schluss mit Alkohol am Steuer für Fahranfänger. Wenn schon, so sagt man, die Wertevermittlung in den Familien nicht mehr klappt, dann muss eben die Polizei nachhelfen. Parallel dazu müsse aber unbedingt auch das Schulwesen in Sachen Tugendförderung nachrüsten. So werden denn auch etliche neue Versuche gewagt, um mit den Kleinen über die "Grundlagen und Folgen des Handelns, einschliesslich von Sinn- und Wertfragen" ins Gespräch zu kommen. Aber Vorsicht ist geboten. Es könnte nämlich auch passieren, dass es demnächst dem Schutzmeister aus dem Autofenster entgegentönt: "Wenn es verboten ist, betrunken ein Kraftfahrzeug zu führen, und man dennoch betrunken eines führt, dann ist es auch geboten, den Amtmann über den Haufen zu fahren, Fahrerflucht zu begehen und Passanten zu erschiessen." Jetzt wird der Polizist entweder vorsichtig seine Dienstwaffe lockern, oder er ist gut informiert und weiss, dass der Delinquent an der Schule Normenlogik beigebracht bekam und ihm gerade ein astreines deontisches Paradoxon aufgetischt hat, genauer das Paradoxon der abgeleiteten Pflicht. Die Situation ist jetzt für den Wachtmeister aber nicht minder kritisch, denn bis dato gibt es keine zufriedenstellende Lösung dieser Paradoxien. Es müssen unweigerlich die Waffen der Argumentation sprechen.

Ruben Schneider | Dauerhafter Link | Kommentare (6)


27.07.2006 | 22:23 | Fakten und Figuren | Vermutungen über die Welt

Zeitgemässe Sprache


Zeit (objektiv) (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Wenn man Zeit und Philosophen zusammenführt, ergibt sich zumeist ein recht apartes Gemisch. Ein häufiges Reaktionsprodukt in solchen philosophischen Petri-Schalen ist die Behauptung, Zeit sei lediglich eine dem menschlichen Gemüte beiwohnende subjektive Vorstellung, ansonsten aber null und nichtig. Die Konsequenzen daraus werden aber selten gezogen. Als zum Beispiel John McTaggart die Irrealität der Zeit postulierte, warfen ihm seine Studenten zu Recht vor, im Widerstreit dazu dann doch an Prüfungsterminen festzuhalten.

Viel stringenter war da schon der Harvard-Professor Willard van Orman Quine. Für den Gottkaiser der modernen analytischen Philosophie sind die Weltendinge gemäss Relativitätstheorie nicht einfach in bestimmten Jetztpunkten existierende Entitäten, sondern vierdimensionale Raumzeitwürmer, die sich wurststückartig über ganze Raumzeitbereiche erstrecken. Insgesamt sind auch nicht nur alle Orte gleichberechtigt, sondern auch alle Zeitpunkte objektiv gleich real. D.h. aus unserer subjektiven Perspektive gesehen ist Raymond Burr tot, aber objektiv betrachtet lebt er noch. Quine folgert, dass man für eine der objekiven Realität gerechten Sprache alle Beugungen und Tempora in den Zeitwörtern streichen müsse. Sehr gut, sagen die Studenten, dann vereinfachen sich die Hausarbeiten. Eine weitere, zwingende Konsequenz aus seiner Theorie ist, dass es in der objektiv-zeitlich einförmigen Wirklichkeit keine Bewegung geben kann – wo kein Zeitfluss, dort keine Veränderung. Also hinfort mit allen Verben, hinfort mit Akkusativ und Dativ. Sprache jedenfalls ist für quineianische Studenten kein Problem mehr, die Graduierung erfolgt sofort. Nur blöd, dass Quine schon tot ist, bzw. vielleicht war das auch nur ein Trick.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Thementag: Das Vergehen der Zeit

Ruben Schneider | Dauerhafter Link | Kommentare (5)


16.07.2006 | 04:31 | Fakten und Figuren | Zeichen und Wunder

Habemus Pulverem


Gegenpapst mit Papamobil (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Wenn vom Papst die Rede ist, denken wohl die meisten an jenen weisshaarigen Herrn Professor mit dem huschenden Gang und dem Bären im Wappen. In unserer verwirrend vielfältigen Welt ist die Identität des Papstes eine wunderbar eindeutige Sache. Unsere Vorfahren hingegen hatten es schwerer, bis zum Jahr 1449 gab es oftmals mehrere Päpste gleichzeitig, welche dann natürlich auch auf unerfreuliche Weise aneinander geraten sind. Heute hingegen scheint in dieser Hinsicht Ruhe zu herrschen.

Wenn man aber ganz still ist und ganz genau hinsieht, kann man auch heute noch Gegenpäpste entdecken. Z.B. Earl Pulvermacher aus den USA, der sich von seinen Anhängern auch gerne als Papst Pius XIII. verehren lässt. Er residiert in einer Hütte in den tiefen Wäldern Montanas, neuerdings wird offenbar auch an einer päpstlichen Residenz in Springdale gebaut. Sein ruhmreicher Werdegang zum Papst liest sich wie eine Anleitung für all jene, die auch gerne Papst sein, aber dazu bitteschön nicht von der Bildzeitung ernannt werden möchten: Man gründe mit einer Handvoll treuer Seelen eine Wahre Katholische Kirche, erkläre die restlichen 1,2 Milliarden Katholiken zur satanischen Sekte und den Heiligen Stuhl für sedisvakant. Man lasse sich kraft lateinischem Kirchenrecht aus der Zeit vor dem Papstwahldekret Nikolaus' des II. von der übriggebliebenen Christenheit (bei Papa Pulvi also die zehn eigenen Anhänger) zum Papst wählen. Und dann kaufe man sich beim Kostümhandel eine Papstsoutane und warte geduldig auf den Tag, an dem der antichristliche Usurpator unter Spott und Prügel aus Rom vertrieben wird, damit man endlich als wahrer Papst in den Vatikan einziehen kann.

Also aufgepasst: Wenn Sie sich demnächst im Wald wieder einmal vor einem Bären in Sicherheit bringen müssen und auf eine Holzhütte stossen, aus der schwarzer oder weisser Rauch aufsteigt, könnte es sein, dass Sie sich dort nicht hineinretten können, da es sich um ein Konklave handelt, d.h., insbesondere ist dann abgeschlossen.

Ruben Schneider | Dauerhafter Link | Kommentare (5)


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