Riesenmaschine

30.07.2006 | 03:12 | Alles wird besser | Vermutungen über die Welt

Normatives Fahrverhalten


Verboten ist geboten (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Noch hört man ihn, den herzhaften Klang röhrender Motoren, wenn die Jungs von nebenan mit ihren aufgebohrten Fahrzeugen mal wieder mit Tempo 120 durch die Zone 30 brettern. Ab nächstem Jahr könnte das vorbei sein, denn dann ist Schluss mit Alkohol am Steuer für Fahranfänger. Wenn schon, so sagt man, die Wertevermittlung in den Familien nicht mehr klappt, dann muss eben die Polizei nachhelfen. Parallel dazu müsse aber unbedingt auch das Schulwesen in Sachen Tugendförderung nachrüsten. So werden denn auch etliche neue Versuche gewagt, um mit den Kleinen über die "Grundlagen und Folgen des Handelns, einschliesslich von Sinn- und Wertfragen" ins Gespräch zu kommen. Aber Vorsicht ist geboten. Es könnte nämlich auch passieren, dass es demnächst dem Schutzmeister aus dem Autofenster entgegentönt: "Wenn es verboten ist, betrunken ein Kraftfahrzeug zu führen, und man dennoch betrunken eines führt, dann ist es auch geboten, den Amtmann über den Haufen zu fahren, Fahrerflucht zu begehen und Passanten zu erschiessen." Jetzt wird der Polizist entweder vorsichtig seine Dienstwaffe lockern, oder er ist gut informiert und weiss, dass der Delinquent an der Schule Normenlogik beigebracht bekam und ihm gerade ein astreines deontisches Paradoxon aufgetischt hat, genauer das Paradoxon der abgeleiteten Pflicht. Die Situation ist jetzt für den Wachtmeister aber nicht minder kritisch, denn bis dato gibt es keine zufriedenstellende Lösung dieser Paradoxien. Es müssen unweigerlich die Waffen der Argumentation sprechen.

Ruben Schneider | Dauerhafter Link | Kommentare (6)


27.07.2006 | 22:23 | Fakten und Figuren | Vermutungen über die Welt

Zeitgemässe Sprache


Zeit (objektiv) (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Wenn man Zeit und Philosophen zusammenführt, ergibt sich zumeist ein recht apartes Gemisch. Ein häufiges Reaktionsprodukt in solchen philosophischen Petri-Schalen ist die Behauptung, Zeit sei lediglich eine dem menschlichen Gemüte beiwohnende subjektive Vorstellung, ansonsten aber null und nichtig. Die Konsequenzen daraus werden aber selten gezogen. Als zum Beispiel John McTaggart die Irrealität der Zeit postulierte, warfen ihm seine Studenten zu Recht vor, im Widerstreit dazu dann doch an Prüfungsterminen festzuhalten.

Viel stringenter war da schon der Harvard-Professor Willard van Orman Quine. Für den Gottkaiser der modernen analytischen Philosophie sind die Weltendinge gemäss Relativitätstheorie nicht einfach in bestimmten Jetztpunkten existierende Entitäten, sondern vierdimensionale Raumzeitwürmer, die sich wurststückartig über ganze Raumzeitbereiche erstrecken. Insgesamt sind auch nicht nur alle Orte gleichberechtigt, sondern auch alle Zeitpunkte objektiv gleich real. D.h. aus unserer subjektiven Perspektive gesehen ist Raymond Burr tot, aber objektiv betrachtet lebt er noch. Quine folgert, dass man für eine der objekiven Realität gerechten Sprache alle Beugungen und Tempora in den Zeitwörtern streichen müsse. Sehr gut, sagen die Studenten, dann vereinfachen sich die Hausarbeiten. Eine weitere, zwingende Konsequenz aus seiner Theorie ist, dass es in der objektiv-zeitlich einförmigen Wirklichkeit keine Bewegung geben kann – wo kein Zeitfluss, dort keine Veränderung. Also hinfort mit allen Verben, hinfort mit Akkusativ und Dativ. Sprache jedenfalls ist für quineianische Studenten kein Problem mehr, die Graduierung erfolgt sofort. Nur blöd, dass Quine schon tot ist, bzw. vielleicht war das auch nur ein Trick.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Thementag: Das Vergehen der Zeit

Ruben Schneider | Dauerhafter Link | Kommentare (5)


16.07.2006 | 04:31 | Fakten und Figuren | Zeichen und Wunder

Habemus Pulverem


Gegenpapst mit Papamobil (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Wenn vom Papst die Rede ist, denken wohl die meisten an jenen weisshaarigen Herrn Professor mit dem huschenden Gang und dem Bären im Wappen. In unserer verwirrend vielfältigen Welt ist die Identität des Papstes eine wunderbar eindeutige Sache. Unsere Vorfahren hingegen hatten es schwerer, bis zum Jahr 1449 gab es oftmals mehrere Päpste gleichzeitig, welche dann natürlich auch auf unerfreuliche Weise aneinander geraten sind. Heute hingegen scheint in dieser Hinsicht Ruhe zu herrschen.

Wenn man aber ganz still ist und ganz genau hinsieht, kann man auch heute noch Gegenpäpste entdecken. Z.B. Earl Pulvermacher aus den USA, der sich von seinen Anhängern auch gerne als Papst Pius XIII. verehren lässt. Er residiert in einer Hütte in den tiefen Wäldern Montanas, neuerdings wird offenbar auch an einer päpstlichen Residenz in Springdale gebaut. Sein ruhmreicher Werdegang zum Papst liest sich wie eine Anleitung für all jene, die auch gerne Papst sein, aber dazu bitteschön nicht von der Bildzeitung ernannt werden möchten: Man gründe mit einer Handvoll treuer Seelen eine Wahre Katholische Kirche, erkläre die restlichen 1,2 Milliarden Katholiken zur satanischen Sekte und den Heiligen Stuhl für sedisvakant. Man lasse sich kraft lateinischem Kirchenrecht aus der Zeit vor dem Papstwahldekret Nikolaus' des II. von der übriggebliebenen Christenheit (bei Papa Pulvi also die zehn eigenen Anhänger) zum Papst wählen. Und dann kaufe man sich beim Kostümhandel eine Papstsoutane und warte geduldig auf den Tag, an dem der antichristliche Usurpator unter Spott und Prügel aus Rom vertrieben wird, damit man endlich als wahrer Papst in den Vatikan einziehen kann.

Also aufgepasst: Wenn Sie sich demnächst im Wald wieder einmal vor einem Bären in Sicherheit bringen müssen und auf eine Holzhütte stossen, aus der schwarzer oder weisser Rauch aufsteigt, könnte es sein, dass Sie sich dort nicht hineinretten können, da es sich um ein Konklave handelt, d.h., insbesondere ist dann abgeschlossen.

Ruben Schneider | Dauerhafter Link | Kommentare (5)


09.07.2006 | 20:57 | Nachtleuchtendes | Zeichen und Wunder

Lumen de lumine


Physikotheolökonomie (Bild von Mark Hjandel) (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Nicht erst seit Galileo Galilei ist das Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie ein verkorkstes. Schon seit Philon von Alexandrien schwelt die Debatte um die richtige Regelung des nachbarschaftlichen Nebeneinanders von Glaube und Wissen. Wie überall, gibt es auch auf diesem Feld einige Extrempositionen, z.B. Fideisten und Rationalisten, sowie einige Entgleisungen wie etwa den US-amerikanischen Neokreationismus. Mit Schaudern denkt man auch an die seit Siger von Brabant durch die Hörsäle geisternde Möglichkeit einer duplex veritas, einer Doppelwahrheit in dem Sinne, dass die Sonne sich zugleich um die Erde drehen und auch nicht drehen könnte. Auf dem Mittelfeld aber tummeln sich weiterhin viele Zwischenpositionen, von denen vor allem Thomas von Aquin mit seiner berühmten Harmonie zwischen Lumen naturale (natürlichem Licht des Wissens) und Lumen supernaturale (übernatürlichem Licht der Offenbarung) erwähnt sei.

Viel einfacher war seit jeher das Verhältnis von Theologie und Wirtschaft. Für kostenintensive Unternehmungen, wie die Realisierung kunstgeschichtlicher Epochen, wurden schnell effiziente Lösungen gefunden. Wie in italienischen Kirchen schon seit längerem gesichtet, bahnt sich aber inzwischen auch im deutschen Sprachraum eine noch höhere Verbindung zwischen übernatürlichem, natürlichem und ökonomischem Licht an, nämlich in Form von elektrischen Opferkerzen, die gegen Münzeinwurf eine festgesetzte Zeit lang leuchten. Wenn eine solche triplex veritas in heiligen Hallen selbstverständlich wird, dann sollte in profanen Seminarräumen doch bald auch eine betriebswirtschaftliche Elektronentheologie möglich sein.

Ruben Schneider | Dauerhafter Link | Kommentare (10)


03.07.2006 | 13:01 | Papierrascheln | Vermutungen über die Welt

Langer Rede kurzer Sinn


Hilfsmittel für und gegen Filibuster (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Aus der bayerischen Provinz kennt man das Absurdum, dass man beim gemütlichen Beisammensitzen einander zunächst mit freundlichen Formalien wie "S Glas in'd Hand, zum Wohl mitnand!" zuzutrinken pflegt, um sich bald darauf streitend kräftig einen aufzusalzen. Oft brechen schon wenig später die eingereichten Protestnoten mit aller Härte der Bedeutung über die Köpfe herein. Auf dem Weg dorthin kann man jedesmal der Aufforderung begegnen, einen doch gefälligst erst ausreden zu lassen. Ganz egal, ob einem nun grosser Sachverstand nachgerühmt wird oder man eher als Dorfdepp gilt, ein jeder will ausreden dürfen. Diese alte Sitte wurde in vielgestaltigen Schattierungen vom Rest der Welt übernommen und in den USA sogar in Form von Filibustern zu einem Abgeordnetenrecht hochgeschrieben.

Die Einforderung des Rechts auf Sprechen, bis man fertig ist, sei aber widersinnig, so meint der Münchner Philosophie-Emeritus Robert Spaemann. In seinem Buch "Personen. Versuche über den Unterschied zwischen 'etwas' und 'jemand'", in welchem er auf vielen trefflichen Seiten die Monumentalthesen des zeitgenössischen Reduktionismus und Utilitarismus bekämpft, findet sich eine kurze Passage über Kontextbezogenheit und -unabhängigkeit menschlicher Sprache. Die Bedingung wahrheitsfunktionalen Sprechens, so Spaemann, sei die Parzellisierung ihres Sinngehaltes – Träger von Wahrheit sei nicht die ganze Rede, sondern die einzelne Satzaussage. Streng kontextbezogen sei immer nur der falsche Satz – der wahre Satz hingegen bliebe stets kontextunabhängig. Gespräche sind nach Spaemann nur möglich, wenn niemand erst voll ausreden müsse, um etwas Wahres zu sagen. Denn der Holist müsse in letzter Konsequenz das ganze Leben des Redners abwarten und erst nach seinem Tod dürfe er über den Wahrheitsgehalt seines Sprechens urteilen. Kurz: Man darf einen Redner also bei jeder irrigen Behauptung unterbrechen und verbessern.

Indes praktiziert man in der Grundsuppe aller Dialektik – also in Bayern – in Antithese zum grossmauligen Ausredenwollen schon längst auch das Spaemannsche Prinzip. Nämlich mit Hilfe des Masskrugs. Bei hinreichend grossem Impuls ergibt sich sogar die holistische Synthese, bis zum Ende des Redners abgewartet zu haben. Doch, wie überall in der Postmoderne, beginnen auch diese altehrwürdigen Sitten sich allmählich zu zersetzen.

Ruben Schneider | Dauerhafter Link | Kommentare (9)


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