Riesenmaschine

03.10.2007 | 08:46 | Essen und Essenzielles | Effekte und Syndrome

Zornige Zwiebeln für zornige junge Männer


Man könnte noch darüber spekulieren, ob die
Vagina Dentata hier irgendeine Relevanz hat,
aber das soll doch lieber Sarah Lucas machen. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Seit einiger Zeit gehört zum guten Handwerkszeug der Markentechnik, dass nicht nur die Sonnenseiten des Lebens für die Attribuierung der Marke herangezogen und urbar gemacht werden, sondern auch eine gewisse Dosis darke Düsternis mit beigemengt wird. Wie Menschen, so wirken auch Marken facettenreicher und interessanter, die nicht nur Friede, Freude und Harmonie verströmen, sondern streitbar daherkommen und mit einem gewissen Zug zum Abgründigen aufwarten. Das erklärt möglicherweise, warum die Telekom ihren aktuellen TV-Spot mit der Satanisten-Hymne "Paint It Black" unterlegt (obwohl es in dem Fall wirklich nicht not getan hätte). Und irgendwie spielt das Kalkül wohl auch beim "Angry Whopper mit Angry Onions und Jalapenos" von Burger King mit hinein, zumal dieser anscheinend im TV oder zumindest auf Youtube mit einem SM-affizierten Werbeclip der klischiertesten Sorte beworben wird. Naheliegenderweise handelt es sich jedoch eher um die bereits von anderen Fast-Food-Herstellern (wenngleich nicht so konsequent) als Ausweg aus der Imagekrise angetretene Flucht nach vorn, das Unvernünftige, Ungesunde und Selbstzerstörerische des Produktes in etwas Erstrebenswertes zu verkehren, indem man es zu Mutprobe, Härtetest und Männlichkeitsbeweis stilisiert. Eine Volte mithin, die – und hier schliesst sich der semantische Zirkel – vor allem auf die testosteronverseuchte männliche Jugend, die sogenannten "angry young men", nachhaltig Eindruck macht. Ursprünglich stammen die zornigen Zwiebeln übrigens aus David Burkes Rezept für "Angry Onion Relish", wobei das "angry" für eine Schärfe steht, die durch Beigabe von Senföl erlangt wird.


17.08.2007 | 02:46 | Effekte und Syndrome

Der Mögel-Dellinger-Effekt


Gemeinsames Warten auf das Ende der toten Viertelstunde (Foto, Lizenz)
Was genau mag man unter der toten Viertelstunde verstehen? Die Zeitspanne, die das Universum nach dem Urknall brauchte, um die ersten Otter zu erfinden? Die, ähm, organisch bedingte Totzeit zwischen zwei Orgasmen? Die Zeit, die im Film vergeht, wenn ein Countdown von 10 Sekunden abläuft? Oder eine kurzfristige Funkstille im Kurzwellenbereich nach einem Sonnensturm? Klingt eigentlich alles total plausibel, bis auf die vollkommen wirre letzte Variante, bei der es sich aber, so kennen wir die Welt, um die wahre handelt. Kurz und rabiat ausgeholt: Die D-Schicht rekombiniert nach Sonnenuntergang sehr schnell (Wikipedia), so dass unter normalen Umständen die Raumwellen der Kurzwellen an der Ionosphäre reflektiert werden – und darum rings um die Welt schwappen können, im Unterschied zu den bodengebundenen Mittel- und Langschläfern. Bei erhöhtem Strahlungsaufkommen auf der Sonne jedoch wird die unterste D-Schicht der Ionosphäre, na, genau, ionisiert, und absorbiert darum den Kurzwellenquatsch – der berühmte Mögel-Dellinger-Effekt. Die Konsequenz: Das Radio fällt erstmal aus. Der Mutterstern gebietet 15 Minuten Schweigen, als ionisierende Schicksalsmacht in unserer technologisch-verspielten Kurzwellenexistenz, eine Art angewandte Astrologie also. Der Physiker Hans Mögel, trotz steiler Karriere zum Oberst-Ingenieur, starb am 10. April 1944 in Paris nach langer Dienstbesprechung an einem Herzschlag – exakt 26 Jahre vor der Trennung der Beatles.


15.08.2007 | 15:45 | Anderswo | Effekte und Syndrome

Lonely old Slogan


Weil es geht (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die Mutter aller Slogans, Nikes "Just do it", war noch echte abendländische Wertarbeit. Erfunden wurde die pointiert anstifterische Botschaft angeblich 1988 in einem Meeting von Dan Wieden von der Agentur Wieden & Kennedy. Noch immer erfreut sich die Tagline hoher ungestützter Bekanntheit, obwohl Nike sie längst nicht mehr benutzt und statt dessen heute das deutlich blassere "Quick is deadly" im Schilde führt, wenn es darum geht, die World-of-Warcraft-Generation mit Carl Schmitt'schen Ideen noch vertrauter zu machen.

Ein internationaler Gassenhauer jüngeren Datums, das impertinente "I'm loving it" bzw. "Ich liebe es" von McDonald's, wurde bereits neumodisch in China gefertigt, und das nicht nur aus Kostengründen, sprich: weil die Werbetexter im Land der aufstrebenden Mitte so billig wären, dass man kurzerhand Legionen auf ein Thema ansetzen kann, in der Erwartung, dass nach dem Infinite Monkey Theorem am Ende schon was Brauchbares dabei sein wird. "Die Chinesen haben uns einfach umgehauen, so ausdrucksstark und fröhlich waren die", sagt Marketingchef Larry Light, und der muss es wissen, schliesslich klingt schon sein Name gut ausgedacht.

Allerdings birgt diese Art der global distribuierten Billigproduktion von Marketing-Ideen die gelbe selbe Gefahr wie die von Plastikspielzeug: dass am Ende Makulatur herauskommt. Diese Erfahrung musste kürzlich etwa der Eistee-Weltmarktführer Lipton machen, dem man das nur von weitem und im Dunklen an Nikes Geniestreich erinnernde, dagegen aber bei Licht besehen total abkackende und tatsächlich nahezu geschäftschädigende "Can do that" angedreht hat. Eiskalt wird das nun weggelächelt, was bleibt ihnen anderes übrig? Der eigentliche Favorit auf dem Zettel, der aus dem chinesischen Texter-Sweatshop übermittelt wurde, lautete "Because we can", war aber leider schon vergeben als Name einer Designwerkstatt aus Oakland, Kalifornien.


02.08.2007 | 11:02 | Effekte und Syndrome

Der Leidenfrost-Effekt


Hat auch öfter mal danebengelegen: Heraklit
(Foto, Lizenz)
Philosoph X, der alte Schlauberger, hat damals behauptet, die Welt bestünde ausschliesslich aus dem, was wir von ihr wahrnehmen, aus Effekten und Syndromen nämlich, und es wäre nichts dahinter. Dafür musste er viel Hiebe einstecken, vor allem von Platoniker Y in seiner demagogischen Abhandlung "Das Ganze hinter allem", aber nach jahrhundertelangen Abwägungen der vorliegenden Fakten kann heute wohl kaum noch abgestritten werden, dass X von Anfang an vollkommen recht hatte: Effekte und Syndrome, die phänomenologischen Erscheinungen nämlich, sind nicht nur das Beste an der Welt, sie sind die Welt, und wer mehr dahinter vermutet, Nagetiere etwa oder Ausserirdische, hat einfach nicht mehr alle Tassen im Schrank. Der Untersuchung der Oberfläche der Welt dient aus diesem Grund die neue Riesenmaschinen-Kategorie "Effekte und Syndrome".

Ein hochrelevantes, weil auf das Nichts dahinter verweisendes Phänomen ist der wohl allen bekannte Leidenfrost-Effekt. Nur damit wir alle auf demselben Stand sind: Wirft man einen Wassertropfen auf eine ausreichend heisse Herdplatte, so beendet der Tropfen nicht etwa sofort zischend seine flüssige Existenz, sondern überlebt bis zu eine Minute lang in herumirrender Form. Leidenfrost, ein unaufgeklärter Duisburger Sachexperte, interpretierte den Effekt als Folge der Vier-Elemente-Lehre von Empedokles, die seit der Erfindung der Atombombe als widerlegt gilt. Die Wahrheit hinter dem Effekt, bzw. das optimistische Nichts: Der Tropfen erreicht nie die Herdplatte, sondern schwebt auf einem verkochten Film und kann daher natürlich gar nicht verdampfen. Die Welt ist nämlich in keiner Weise mystisch oder gar religiös, sondern benimmt sich in Wahrheit wie David Copperfield.

Und damit geht der Spass gerade erst los. Denn zum einen kann man mit dem Leidenfrost-Effekt einen praktischen Brownschen Motor bauen, also gerichtete Bewegung nur durch Zufall erzeugen, eine wichtige Innovation, zum Beispiel falls man betrunken ist und nicht mehr nach Hause findet. Zum anderen jedoch erlaubt der Leidenfrost-Effekt, wie in diesem instruktivem PDF-Dokument erklärt wird, zahlreiche Kunststücke: Unter anderem kann man einfach so seine (vorher befeuchtete) Hand in kochendes Blei tauchen, und sie wird keinen Schaden nehmen. Alle Kinder sollten das ausprobieren und anschliessend gründlich über die Gesetze der Physik nachzudenken. Vielleicht begleitet von ein paar Wochen rituellem Fasten.


2 3 4 5

*  IN DER RIESENMASCHINE


*  ORIENTIERUNG



Werbung
Werbung Ratgeber

*  SO GEHT'S:

- Krankenbesuch

- Politiker wegen des Namens wählen

- locker sein

- Halbgares fertigkochen

*  SO NICHT:

- Pansensalat à la Rommel

- übergekochte Speisen

- Tsunami-Zynismus

- Krakenbesuch


*  AUTOMATISCHE KULTURKRITIK

"The Guard", John Michael McDonagh (2011)

Plus: 37, 48, 123, 143, 151 doppelt
Minus: 13, 111, 116, 183
Gesamt: 2 Punkte


*  KATEGORIEN


*  ARCHIV