Riesenmaschine

28.08.2008 | 19:46 | Berlin | Fakten und Figuren | Essen und Essenzielles

Wir treffen uns wieder bei 7,20 €


*Ökonomie-Studenten wird der fokale Preis gern anhand eines etwas angestaubten Sozial-Experimentes näher gebracht, bei dem man Testpersonen mit der Aufgabe konfrontiert hatte, eine andere Testperson ohne Angabe von Ort und Uhrzeit an einem bestimmten Datum in New York zu treffen. Das Gros der Teilnehmer wäre sich tatsächlich um zwölf Uhr mittags an der grossen Uhr in der Halle von Grand Central begegnet. Heute würde man einfach ein paar SMS hin und her schicken... (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Als "psychologische Preise" bezeichnet man politisch korrekt und ohne einer religiösen oder ethnischen Minderheit zu nahe zu treten eine krumme Preisgestaltung, die sich den Effekt zunutze macht, dass wir gern die Zahl vor dem Komma fixieren und Nachkommastellen ausblenden, auch wenn diese fast an die nächste natürliche Zahl heranreichen. "Fokale Preise" hinwiederum bezeichnen solche Sprungstellen im Kontinuum der Zahlen, auf die sich die Marktteilnehmer auch ohne wettbewerbsverzerrende und kartellrechtlich bedenkliche Absprachen verständigen.*

Als Mischung aus psychologischem und fokalem Preis, signifikant über fünf, aber deutlich unter zehn Euro, scheint sich in der Berliner Gastronomie gerade die Marke von 7,20 € für ein vollwertiges Gericht zu etablieren: Im vietnamesischen Restaurant Sian in der Rykestrasse kostet jedes Hauptgericht ausnahmslos und exakt 7,20 €, im gerade neu eröffneten Crossover-Japaner Kyo in der Torstrasse schlägt das Business-Lunch-Buffet ("All you can eat") mit 7,20 € zu Buche, und schräg gegenüber in der Neuen Odessa Bar, die seit kurzem erst Speisen vorhält, berappt man zumindest für das Lammragout mit Kartoffel-Kürbis-Gratin die nämlichen 7,20 €.

Warum ausgerechnet 7,20 €? Aller Zahlenmagie, die sich hier in Anschlag bringen liesse, zum Trotz bleibt die krumme Summe letztlich kontingent. Auch ein externer Effekt wie jener aus der Uhrenwerbung, wo es am häufigsten zehn vor zwei ist, weil die Zeiger dann ein anstiftendes Smileygesicht bilden, kommen hierbei eher nicht in Betracht. Man muss die Zahl vermutlich einfach als Ergebnis einer langen Iteration von Versuch und Fehlschllag in einem hochkompetitiven Markt akzeptieren und begrüssen.


23.08.2008 | 13:50 | Alles wird besser | Essen und Essenzielles

Nordkorea rettet die Welt


Nordkoreanische Nudelflotte (Foto, Lizenz)
Eine obskure Nachrichtenquelle berichtet von einer sagenhaften Ernährungsinnovation aus den Forschungslaboren Nordkoreas, dem Weltzentrum des Hungers. Dabei beruft man sich auf Choson Sinbo, ein japanisches Organ, das offenbar den Vorgängen in Nordkorea positiv zugewandt ist. Choson Sinbo jedenfalls meldet laut BBC die Erfindung einer neuen Sorte Nudeln, die aus Mais und Sojabohnen anstatt aus Getreide hergestellt werden. Nun sind Nudeln aus Bohnen vielleicht gar nicht so neu, wie es sich zunächst anhört, aber mit unserem begrenzten Erkenntnisstand über den asiatischen Nudelmarkt wollen wir darüber nicht urteilen. Viel wichtiger scheint, dass die neuen Nudeln nicht etwa satt machen, sondern stattdessen, "das Hungergefühl verzögern"**. Aufmerksam nämlich haben Nordkoreas Strategen zur Kenntnis genommen, dass sich die Menschen im Land weniger über Nahrungsmangel, aber deutlich mehr über Hunger beklagen. Das weniger Essen, so hört man auf Nordkoreas (schlechten) Strassen, sei gar nicht so schlimm, wenn nur nicht immer dieser Hunger wäre. Zielgerichtet und intelligent also reagiert die Diktatur des Volkes auf die Klagen des letzteren. Nordkorea hat es wieder einmal geschafft.

**Wir geben hier den englischen Text der japanischen Meldung über ein Ereignis in Korea in deutscher Übersetzung wieder, bitten also um Verzeihung, falls es zu Ungenauigkeiten kommt.


19.08.2008 | 14:13 | Alles wird besser | Essen und Essenzielles

Seegras für Abgehobene


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Endlich ein neuer Dreh in der allmählich wirklich nervigen Energiefrage: Auf der Verpackung der Seegras-Muffins der Firma Monchongloong erfolgt die Angabe der Nutrition Facts dreimal, wobei jedesmal andere Teile in chinesischen Zeichen gesetzt sind, darüberhinaus sind die Zahlenwerte auf kundenfreundliche Art sehr unterschiedlich. Die gesamte Hundert-Gramm-Packung enthält Portionen zu je 25 g, und zwar je nach Tabelle etwa 3,5 bis 4 davon. Eine der Tabellen ist offenbar gedacht für Menschen auf krasser Diät: pro Portion nur 88 kcal, 0,57 g Fett (davon gesättigt 1 g), 0,1 g Protein, 0,9 mg Kohlenhydrate (davon 2 g Zucker), 0,3 mg Salz. Was in den restlichen circa 23 g ist, erfährt man leider nicht. Die zweite Tabelle ist nur für Arktisreisende und Sahelzonenbewohner zu empfehlen: 352 kcal pro 25 g, in denen sich plötzlich auch fünfmal mehr Fett (2,26 g), zigmal so viel Zucker und viermal so viel Salz befinden. Wer diese Tabelle liest, wird endlich richtig satt. Die dritte Liste liegt energiemässig irgendwo in der Mitte zwischen den Extremen, mit etwa 100 kcal, aber total überraschend dann volle 8g Fett und 12g Zucker. Mathematisch macht das zum ersten Mal etwas Sinn, weswegen davon auszugehen ist, dass es sich hierbei um so was wie die Wahrheit handelt. Für die 2 Prozent nicht ernährungsgestörten Menschen auf dem Planeten. Monchongloong – hier isst jeder, was er sich selbst vorstellt. Und hier erlebt die Arithmetik ihre erste post-Riemannsche Renaissance.

Bei den Seegras-Muffins handelt es sich im übrigen um ein ausgezeichnetes Lebensmittel. Zu kaufen in Taiwan (vermutlich) und überall dort, wo sie im Regal stehen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Korrektes Zitieren auf Müslipackungen


11.08.2008 | 01:16 | Anderswo | Alles wird schlechter | Essen und Essenzielles

Bibliothek am Scheideweg


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Viele Hoffnungen hatte man in den Wechsel an der Verwaltungsspitze der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln gesetzt. Demokratische Strukturen, eine Öffnung zum Westen hin, sogar die Zulassung importierter Konsumgüter, einiges wurde von den neuen Machthabern versprochen. Bald folgten den Ankündigungen auch erste Taten: Zunächst testweise liess man Mineralwasser in durchsichtigen Plastikflaschen zu, die Sicherheitskräfte an den Eingangsbereichen drückten sogar bei leicht grünlichen oder bläulichen Behältnissen oft ein Auge zu. In einem langsamen, aber stetigen Prozess sollten weitere Schritte folgen: Schon 2010 wollte man auch ungesüsste Limonaden und einzeln verpackte Lebensmittel wie Hustenbonbons oder Duplo-Riegel erlauben, 2015 sollte das strikte Koffeinverbot gelockert werden. Nun aber ist all dies wieder fraglich geworden. Nach internen Auseinandersetzungen war das USB-Regime gezwungen, den Hardlinern in den eigenen Reihen Zugeständnisse zu machen. Schon bald könnte es mit den neuen Freiheiten wieder vorbei sein, wenn die internationale Gemeinschaft ihren Druck auf die Bibliotheksspitze nicht erhöht.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Ein schöner Tag in der Unibibliothek


07.08.2008 | 23:36 | Sachen kaufen | Essen und Essenzielles | Vermutungen über die Welt

Schuld und Süsse


Kandidat für eine Crosspromotion mit Fromms trocken? (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Dass, wo schwaches Fleisch ist, auch Schokoladenjieper und Sünde nicht weit sind, ist längst kein Insiderwissen von Pfarrerstöchtern mehr, und so ist es auch kein Wunder, wenn sich das Geistliche deutlich im Warenweltlichen spiegelt wie jüngst im TV-Spot für Dr. Oetkers Katholenpudding: ist keine Sünde (fettarm), schmeckt aber so (süss). Ähnlich gelagert ist der Fall bei dieser islamkonformen Limonade: sieht aus wie Sünde (Bierflasche, Apfel), ist aber keine (alkoholfrei, aber zuckerhaltig).

Das bisher protestantischste Schokoladenerzeugnis stammte aus der DDR und wird nun abgelöst durch die Edelbitter-Schokolade mit 85% Kakao und Luther-Portrait der ebenfalls von drübenen Firma Rotstern (Claim: "Himmlische Leckereien"): Extrafette Schokolade für Protestanten – ist eine Sünde, schmeckt aber nicht so. Offenbar hat man dort Lehren nicht nur aus den Worten der Bibel, sondern auch aus den Worten des Führers gezogen: "Der Sozialismus musste scheitern, weil er den Menschen falsch gesehen hat, weil er die Sünde ausgeblendet hat."

Natascha Podgornik | Dauerhafter Link | Kommentare (5)


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