Riesenmaschine

26.08.2005 | 16:19 | Fakten und Figuren | Papierrascheln | Vermutungen über die Welt

Neo-Popper

In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, zu Zeiten von Kohls geistig-moralischer Wende, hatte man noch eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie man sich junge Konservative vorzustellen hatte: Sie trugen Loafer und Barbour-Jacken, karierte Burlington-Pullis, die Frauen Perlenohrringe, die Männer einen Topfschnitt. Sie fuhren Vespa-Roller oder Golf-Cabrios, und man nannte sie Popper. Popper waren das genaue Gegenteil, die affirmative Negation der Punks, Hippies und aller sonstigen irgendwie dissidenten Jugendkulturen. Während sich jene Jugendkulturen aber ausdifferenzierten, weiterentwickelten oder auf hohem Niveau versteinerten und seither – meist mit der Vorsilbe "Neo" versehen – zyklische Revivals erleben, war der Popper lange Zeit von der Bildfläche verschwunden. Erst studierte er BWL, dann diffundierte er durch die Gesellschaft und war als eindeutige "Gestalt" im Sinne etwa von Ernst Jüngers Arbeiter nicht mehr auszumachen. Lediglich in den USA geistert seit längerem das Gespenst der "Neocons" herum, was bei Licht besehen jedoch vorwiegend alte Säcke sind, die in Think tanks herumsitzen.


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Dabei könnte man mutmaßen, dass die Wechselstimmung im Lande und das Abtrete der 68er-Generation dem Untoten neues Leben einhauchen könnten. Tatsächlich bahnt sich unter dem Label "neue Konservative" so etwas an wie ein Re-Entry des Poppers in die jugendkulturelle Typo- und Topologie. Im Juli bereits widmete ihm das Magazin der Süddeutschen Zeitung eine Titelgeschichte. Unter der Annahme "Die 68er sind am Ende und wir müssen uns mit den neuen Konservativen anfreunden" versucht die Autorin Mariam Lau eine Annäherung, die allerdings reichlich spekulativ ausfällt. Anhand so disparater Exponenten wie CDU-Sunnyboy Eckhard von Klaeden, der 68er-fressenden Autorin Sophie Dannenberg und dem schreibenden Chirurgen und Ex-Panzergrenadier Uwe Tellkamp extrapoliert Lau das Portrait einer Generation, "für die Konservatismus eine knackfrische, attraktive und vorwärtsweisende Angelegenheit ist." Anschaulicher da schon die begleitende Bildstrecke, in der ein junges Paar, er halb Dandy, halb Popper, sie im 50er-Jahre-Twinset, in einem Villengarten inszeniert wird. Die Bildunterschrift präzisiert: "Die jungen Konservativen halten sich gern in Gärten auf, sie kennen sich mit MP3-Playern ebenso aus wie mit Schinkel-Gemälden. Für ihr Arbeitszimmer möchten sie jetzt eine Gipsstatue kaufen." Aha.


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Was hier noch reichlich phantasievoll imaginiert wird, findet nun seine empirische Erhärtung und teilweise Widerlegung in einer gemeinsamen Umfrage von Stern und Neon unter 2000 jungen Erwachsenen. "Generation Zuversicht – realistisch, optimistisch, konservativ" titelte der Stern und nagelt damit das Bild einer Generation herunter, die den Generationskonflikt hinter sich gelassen hat und das kleine Glück im Privaten anstrebt. 68 Prozent wollen später einmal heiraten, sofern sie nicht schon verheiratet sind (10 Prozent). 80 Prozent sind romantisch und glauben an die große Liebe. Trotz der pessimistisch eingeschätzten Stimmung in Deutschland blickt die Mehrheit optimistisch in die eigene Zukunft. 71 Prozent sparen bereits für die Altersversorgung und bemerkenswerte 52 Prozent würden gern in einem anderen Land als Deutschland leben. Der neue Konservatismus der jungen Generation ist demnach ein pragmatischer, privatistischer und eskapistischer. Er hat nichts gemeinsam mit dem auf Konfrontation angelegten utopischen Programm, das etwa die "konservative Revolution" in Weimar verfolgte, und das sich auch bei den originären Poppern noch findet. Während jene mit arrogantem Elitarismus zu provozieren und polarisieren verstanden, sind die jungen Konservativen harmoniesüchtig. Der Neo-Popper wäre demnach gar keiner, sondern eher ein Normalo. Als hätten wir's geahnt ...


24.08.2005 | 12:49 | Fakten und Figuren | Selbstversuche

Hausmittel


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Cannabis ist ja so ein bisschen der Jägermeister unter den Drogen – eigentlich ein Ding von vorgestern, das hin und wieder durch staatliche Marketingkampagnen noch mal interessant gemacht wird. Der Droge haftet etwas Landwirtschaftliches (Aussaat, Ernte, Kekse backen) an, von dem sich fortschrittlichere Drogen (Chemie, Playstation) längst verabschiedet haben. Außerdem zehrt Cannabis am Tatendrang und damit am Gewinn der Ich-AG. Wohin also mit dem unnützen alten Kraut?

Da kommt ein Tipp aus "Mercks Warenlexikon" (1920) zur rechten Zeit: Der indische Hanfextrakt (lat Extractum cannabis indicae, frz. Extrait de chanvre indien, engl. Extract of Indian hemp) wird aus dem zerkleinerten Kraute durch Ausziehen mit Weingeist gewonnen und als Zusatz zu verschiedenen Hühneraugenmitteln benutzt. Na also. Alte Drogen weg, Hühneraugen weg, alle sind zufrieden.


15.08.2005 | 13:49 | Fakten und Figuren | Vermutungen über die Welt

Hypertrend Hygienia


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Die Freunde von Trendwatching.com haben sich für den Spätsommer etwas ganz Besonderes ausgedacht. Und zwar einen Trend, der fast alle von trendwatching.com bisher ausgerufenen Trends wie Massclusivity, Mass Class oder No Frills Chic überragt, überwölbt und in sich aufnehmen kann, wie Speers Ruhmeshalle des Deutschen Volkes den Kölner Dom und den Eiffelturm. Hygienia heißt das Ungetüm, das gleichzeitig ein leicht verunglücktes Wortspielungetüm ist (vermutlich irgendwie aus "Genie" und "Hygiene" zusammengesetzt, so ganz haben wir es aber nicht verstanden). Man muss sich etwas einlesen, um zu kapieren, worum es geht. In eigenen Worten wiedergegeben, bezeichnet Hygienia über alle Branchen und Preissegmente hinweg eine Art vorbildlicher Praxis, den elaborierten Konsumbedürfnissen einer medienschlauen globalen Konsumgesellschaft gerecht zu werden; so etwas wie einen superioren Hygienestandard in der Art und Weise, wie Produkte und Dienstleistungen konfektioniert, gebündelt und in Geschäften präsentiert werden – eine Metaphysik des "Alles-richtig-Machens", quasi. Es sei schwer, den Finger darauf zu legen, aber man bemerke intuitiv im Augenblick, da man das Geschäft eines Hygienia-Anbieters betritt oder mit seinem Produkt in Berührung kommt, dass es sich dabei um ein solches handelt. Gerade wenn man sich vor Augen führe, wie dasselbe Geschäft oder Produkt noch vor zehn, fünfzehn Jahren ausgesehen habe ... "Worauf das letztlich alles hinausläuft", resümieren die Autoren, "ist kreative Zerstörung". Damit drängt sich uns nun allerdings stark intuitiv auf, das ganze mit Joseph Schumpeter zu fassen und als "Fortschritt" ins Deutsche zu übertragen. FORTSCHRITT! Ein schöner neuer Trend, dem wir uns gern anschließen, und den wir bis auf weiteres im Auge behalten wollen.


15.08.2005 | 02:36 | Fakten und Figuren | Selbstversuche

Experimente mit Elektrotechnik


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)

(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Es muss endlich mal diesen Leuten widersprochen werden, die behaupten, dass die Verwendung von elektrischem Strom am Körper nutzlos und unangebracht ist, jedenfalls außerhalb von Kreisen, die sich für SM- oder Selbstmordtechniken interessieren. Nein, auch bei ganz normalen Menschen kann Strom für eine ganze Reihe von interessanten Gesellschaftsspielen eingesetzt werden. Das Butterfly-Massagepad zum Beispiel ist, wie wir vor kurzem herausfanden, in der Lage, jeden beliebigen Muskel im Rhythmus des Yankee-Doodle zucken zu lassen, mit Strophe und Refrain und allem. Einen Schritt weiter geht Aqua Detox mit einer Art Fußbad, das den ganzen Dreck, das ganze Gift aus dem Körper heraussaugt, und zwar einfach mit zwei Elektroden und Salzwasser. Tatsache. Dafür kann man auch mal gut tausend englische Pfund ausgeben. Vergessen wir mal den ganzen Quatsch von bioenergetischer Resonanz usw., aber vorher ist das Wasser doch klar (Bild oben) und hinterher rotbraun (Bild unten), oder? Was bitte soll das Braune sein, wenn nicht diese Körpergifte? Hm? Andererseits sieht die Farbe ein bisschen aus wie Tomatensuppe, erinnert aber vor allem an Rost. Metall plus Salzwasser plus Strom gleich Rost, kein Gift. Nagut, dann ist eben doch alles Unsinn. Aber warum werden wir mit so einer Idee nicht reich?


12.08.2005 | 01:05 | Nachtleuchtendes | Fakten und Figuren | Vermutungen über die Welt

Angriff aus dem All


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
In diesen Stunden werden wir von irgendwelchen Irren auf dem Kometen "Swift-Tuttle" angegriffen, und zwar mit kleinen Steinchen. Das ist natürlich total albern, und deshalb werden auch dieses Jahr wieder zahllose Menschen die Nacht im Freien verbringen, um angesichts der vielen hundert Steinchen, die hilflos als Sternschnuppen in der Atmosphäre verglühen, die waffentechnische Überlegenheit der Menschheit zu feiern.

Weniger albern wäre die Angelegenheit, wenn man mal ein etwas größeres Steinchen verwenden würde. Es gibt in der Nähe der Erde schätzungsweise 150.000 Felsbrocken mit mehr als 100 Meter Durchmesser, die mehr Zerstörungskraft haben als die beste Wasserstoffbombe, und immer noch 1000 oder so, die sofort alles, also wirklich alles, vernichten würden. Daher ist "Beschuss mit Asteroiden" auch eine der wenigen wirklich plausiblen Strategien, die Erde ein für allemal zu zerstören. Immer vorausgesetzt, dass sie endlich mal treffen, diese Aliens oder Gott oder wer auch immer, was allerdings so wahrscheinlich ist wie, naja, wie etwas, das gar nicht passiert.

Trotzdem, ein schönes Endzeitszenario, sagte sich Hollywood, und warf Ende der 90er gleich fünf gefährliche Asteroiden auf den Markt. Menschen gerieten in Panik, alte Dinosaurier (Überlebende der Yucatan-Katastrophe) zogen mahnend durchs Land, so lange, bis Politiker schließlich "Krieg den Sternschnuppen" versprachen. Die ersten Riesenteleskope zur Asteroidensuche entstehen, und schon in wenigen Jahren werden wir alles wissen, alles, was wir brauchen, um die wirklich gefährlichen Angriffe zurückzuschlagen. Aber bis dahin haben sie sich bestimmt etwas Neues, noch Tödlicheres ausgedacht.


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"Burke and Hare", John Landis (2010)

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Gesamt: 2 Punkte


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