Riesenmaschine

06.10.2006 | 12:23 | Nachtleuchtendes | Vermutungen über die Welt

Explosionsanomalie

Erstaunliche Dinge sind uns schon bekannt geworden. Ein Stern wie die Sonne wird in ein paar Milliarden Jahren als Weisser Zwerg sterben, das wissen wir sehr genau. Wenn so ein Weisser Zwerg einen grösseren Stern umkreist, so kann er von ihm Materie absaugen bis er selbst mehr als genau 1.44 Sonnenmassen wiegt. An diesem Punkt Übergewicht angekommen, wird er in einer Supernova explodieren. Auch das alles ist seit Chandrasekhar jedem bekannt. Bisher allerdings glaubten wir, dass diese Explosion immer exakt gleich abläuft, was ein grosser Segen wäre, weil wir damit genau wüssten, wie hell eine Supernova ist, und wir sie so als Zollstock verwenden könnten, um unser heimatliches Universum zu vermessen, was ansonsten ziemlich schwierig ist. Genaugenommen tun wir das aus Mangel an besseren Zollstöcken schon, und vieles, was wir heute über das Universum wissen, beruhte bisher friedlich auf der stupiden Gleichförmigkeit der Supernovae.

Bis Andy Howell und Kollegen in Toronto vom Supernova Legacy Survey ein Ding fanden, das komisch langsam explodiert, praktisch in Zeitlupe, was seltsam ist, weil Zeitlupe erst vom Fernsehen erfunden wurde, also viel später. Die Erklärung: Der Weisse Zwerg war viel schwerer als normal, daher fliegen seine Teile langsamer auseinander, wegen der Schwerkraft, diesem Patentkleber da draussen. Vielleicht ist das so, weil das fraglich anomale Ding aussergewöhnlich jung ist. Jugend handelt ja oft anders, ungewohnt und verwirrend, auch das wissen wir spätestens seit Thomas Mann. Was das alles aber über Chandrasekhar, unser schönen Theorien über Weisse Zwerge, unsere tollen Messungen am Universum und unser komplettes Weltbild zu sagen hat, ist unklar. Aber irgendwas Wichtiges wird es wohl sein.


26.09.2006 | 15:36 | Anderswo | Nachtleuchtendes | Alles wird besser

Schattenboxen mit dem Selbst


Beware the böser Schatten aus der Lederliege, dear Leser. (Abbildung: Nature) (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Julian Jaynes erfreute vor Jahr und Tag Fachwelt und Laienhasen mit einer angenehm verquatschten Theorie, wonach das menschliche Bewusstsein zuerst als Götterstimmenhalluzination auf den Plan getreten sei, um sich dann im Zuge seiner Zivilisierung ins Kopfinnere zurückzuziehen und subtiler zu arbeiten. Jaynes datierte diesen Vorgang in seinem schönen Werk "The Origin of Consciousness in the Breakdown of the Bicameral Mind" auf die Zeit zwischen der Abfassung der Ilias und der Odyssee, in einem textexegetischen Galopp, der Velikovsky alle Ehre gemacht hätte.

Die Schizophrenie, zu deren Krankheitsbildern das Hören von Stimmen unwiderstehlicher Argumentationsmacht gehört, rechnete Jaynes mit unwiderstehlicher Argumentationsmacht zu den Überbleibseln dieses psychischen Frühmenschentums, als externalisierte Reflektionsfähigkeit. Wenig überraschend setzte es Kollegenschelte für Jaynes, der ein Sakrileg im Tempel der modernen Wissenschaft begangen hatte, indem er Spekulationen, die sich nicht nach akzeptierten Standards belegen liessen, nicht wegwarf, sondern dem Pöbel vortrug. Pfui, Herr Jaynes, pfui und nochmal pfui.

Mit grossem Interesse hätte der zu Unrecht Geschmähte (aber auch durchaus Geschätzte), der vor neun Jahren starb, vermutlich gelesen, dass Hirnforschern es jetzt durch Stimulieren einer bestimmten Hirnstelle gelang, die Illusion einer unfreundlichen Schattenperson zu erzeugen, die als direktes Abbild der Versuchspersonen hinter ihnen stand und sie piesackte. Nicht unbedingt, weil diese direkte Verbindung zwischen Hirnsubstanz und komplexen Halluzinationen seinen gewagten Thesen mehr Gewicht gäbe, als vielmehr weil die Tatsache ihrer Existenz uns Einblicke erlaubt in die komplexen Prozesse menschlicher Selbstwahrnehmung. Und wer weiss findet sich auch bald noch das Hirnzentrum, das erst besinnungslos dem Zorn des Achilles lauschte, und sich dann selbst reflektierend die Taten eines Vielgewanderten singen machte: das homerische Hirn.


22.09.2006 | 01:45 | Berlin | Nachtleuchtendes | Alles wird besser | Alles wird schlechter

Von Hasen und Sternen


Kaum vorstellbar: Furioses Ende eines pornographischen Kurzfilms (Foto: Trevor Blake / Lizenz)
Heute, wo die einen denken, man müsse schon für die theoretische Möglichkeit, Radio- und Fernsehprogramme zu empfangen, Gebühren bezahlen und andere, vielleicht aber sogar die gleichen Menschen der Meinung sind, ihre recht freie Auslegung des all das legitimierenden Begriffes Bildungsauftrag würde ihre Zuschauer auch nur in irgendeiner Weise bilden, da ist jede Alternative willkommen, die ihre Zielgruppe etwas genauer definiert als all die Hunderte von via Kabel, Antenne und DVB-T empfangbaren Fernsehsender mit ihrem inhomogenen Programmplan.

Zumindest für die Männerwelt, genauer gesagt deren Vertreter zwischen 14 und 49 Jahren, ist zu Beginn dieses Monats eine Alternative in sehbare Nähe gerückt worden: DMAX. Ein Sendername, der nur so vor Testosteron und Abenteuerlust strotzt, und ein Programm, das dem Mann nun erstmals 24 Stunden am Tag alles bieten möchte, was er sich wünschen kann und dabei liest wie das Worst of sämtlicher auf anderer Sender verheizten Infotainment-, Docutainment- und Pop-Science-Formate: Angeln, Autotuning, unglaubliche Riesenmaschinen, Schuldnerberatung, Waffen, Jagen, Häuserupgepimpe, schlechte Berufe, super Berufe. All das steht auf dem Stundenplan. Interessanterweise aber weder Erotik, Pornographie, noch was sich 14-Jährige unter beidem vorstellen. Nach der Befriedigung seiner sexueller Bedürfnisse wird man wohl also im wahren Leben suchen müssen.

Auf dem demnächst stattfindenden Cum2Cut Festival könnte man aber fündig werden, auch wenn bei diesem ganz in der D.I.Y Bewegung verwurzelten Wettbewerb das Mitmachen im Vordergrund steht: Pornographische Kurzfilme, innerhalb von 3 Tagen in Berlin gedreht, mit einem pinken Stern und einem Plastikhasen als Requisite und der manischen Dialogzeile "I'll fuck anything that moves!". Klassische pornographische Subgenre wie Comedy, Musical oder Splatter werden auf der Opening Party den Teilnehmern zugeteilt, die fertigen Filme schliesslich auf dem kooperierenden 1. Porn Filmfestival Berlin präsentiert, und gewinnen kann man selbstverständlich auch was. Volljährigkeit dürfte für die Teilnahme aber Voraussetzung sein; die 14-17-Jährigen gucken also weiter in die Röhre – vermutlich Sportkanäle.

Christian F. Brückner | Dauerhafter Link | Kommentare (4)


18.09.2006 | 02:26 | Anderswo | Nachtleuchtendes | Alles wird schlechter

Versteh einer Bahnhof


Bunt verliert (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Zuerst die superschlechte Nachricht: Der Fotomat ist weg. Sie haben den äonenalten Schwarzweiss-
Fotoautomaten vom Zürcher Hauptbahnhof entfernt, der auf kontrastreichem Barytpapier aus Zeiten Andy Warhols für unfassbare zwei Franken die besten Fotos der Welt machte. Seinen Platz hat eine computertechnisch aufgebrezelte Plastikmaschine eingenommen, die für zwei Franken allenfalls noch drei "Spassbilder" als flaue Digiprints in absurdem Hochkantformat ausdruckt, dafür aber mit der keck-aufgeweckten Quengelstimme eines Navisystems nervt.

Als kleinen Trost und Beschwichtigung für den solchermassen in Rage getriebenen und echauffierten Zürich-Reisenden haben sie im Bahnhof selbst nun ein 3,3 Tonnen schweres und weltweit erstes dreidimensionales und bivalentes (was immer das heissen mag) Farbdisplay namens Nova angeschraubt. Die 25.000 Lichtkugeln, in herabhängenden Schnüren ähnlich wie anal beads angeordnet, können in mehr als 16 Millionen Farben aufleuchten und brauchen mehrere starke Ventilatoren zur Kühlung und ein eigenes Wasserkraftwerk für den Strombedarf. Theoretisch können damit sogar Filme dreidimensional wiedergegeben werden. Praktisch kackt das Ding ziemlich ab gegen die obszön und monströs hässliche Nana von Niki de Saint Phalle, die am anderen Hallenende baumelt. Und vom praktischen Nutzwert her kann Nova es eh nicht mit dem schmucklosen, aber funktionalen Fotomaten aufnehmen, der mehr als 16 Millionen Farben darstellen konnte, solange sie entweder Schwarz oder Weiss waren.


16.09.2006 | 03:16 | Nachtleuchtendes | Vermutungen über die Welt

SCHIEBER RUFT

Nur noch dreissig Sekunden! Immer wenn es Nacht wird in Deutschland, verwandeln sich Moderatoren in Anbrüller, Zuschauer in Anrufer und Sender in Abzocker. Bald schlägt der Buzzer wieder zu! Dann gilt es, einfache Rätsel zu knacken. Welches Wort suchen wir? Mal wird der ahnungslose Zapper von pausenlos maulenden Menschen um ein Wort angehauen, das sich in der Buchstabenkombination von BIENSTOCK verbirgt. Ich lese immer nur Bienstock, ehrlich! Mal geht es um den tieferen Sinn hinter der berühmten GESPINSTURNE. Kleiner Tipp von mir: Es hat was mit Beziehung zu tun! Gelegentlich werden die Zuschauer auch angeblafft, sich mit einer extrem verstellten DACKELSTIRN 1000 Euro zu verdienen. Für das Geld muss eine Oma lange häkeln, sag ich jetzt mal! Mit anderen Worten: Hier ist das Internet mit seinen Anagrammgeneratoren gefragt. Und dazu gibt es noch den Superjackpot! Für nur 49 Cent pro Anruf landet man in der Warteschleife. Zehn! Wird mit etwas Glück von einer Telefonistin gefragt, welches die richtige Lösung ist. Noch fünf Sekunden! Aber es ist besser, nicht eindeutig zu antworten. Vier! Schliesslich dauern diese Anruf-Schlachten mindestens eineinhalb Stunden. Drei! Die wollen gefüllt sein. Zwei! Der Sender möchte schliesslich auch Geld mit den Gebühren verdienen. Eins! Eine richtige Lösung wäre das Falscheste, was passieren kann. Und? Das sollte man bedenken. Wen habe ich jetzt in der Leitung? Bevor man selbst zum Telefon greift, um diesen TV-Irrsinn mit zu finanzieren. Nein, Bienstock ist nicht die richtige Lösung! Wie die lautet? In dreissig Sekunden will ich die Auflösung in den Kommentaren lesen.

Jörg Meyerhoff | Dauerhafter Link | Kommentare (8)


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Minus: 28, 111, 119
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