Riesenmaschine

14.12.2006 | 05:35 | Alles wird besser | Listen | Zeichen und Wunder | Papierrascheln

Schadenfreude ist ein Gewinner


Mag jemand Götterfunken darauf reimen? (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
In irgendeinem schlimmen Film gibt es eine Autorin, die aufgeschnappte Schönworte säuberlich in ihre Kladde notiert, um sie später wieder von sich zu geben. Man könnte sich trefflich darüber aufregen, täte man es nicht auch, zum Beispiel bei Büchern, die nicht in der Muttersprache verfasst sind. Aber statt Kladden, Umschlagresten, Fahrkarten, oder Kassenbons, die man ins Buch klemmt, kann man seit ein paar Wochen endlich das Internet nutzen. Wordie, kürzlich in Wired vorgestellt, eignet sich vortrefflich zum Anreichern des eigenen Vokabulars mit Begriffen von Listen fremder Leute. Da viele dieser Worte lateinische oder griechische Wurzeln haben, lassen sie sie sich bequem ins Deutsche transferieren. Die Anschuldigungen der Anti-Anglizismenfront kann man geschickt mit der Wordie-Hitliste retournieren: Ganz oben steht mit Schadenfreude ein Germanismus. Ha. Fragt sich, ob in dem noch zu gründenden WortVZ auch Regio.Call ganz oben stünde – vielleicht könnten die Samwer-Brüder dafür mal ein paar Tausender versenken.

Für den obigen Beitrag wurden die folgenden Wortspiele geschont: Das ist ein mal ein Wort, jemanden beim Wort nehmen, mit eigenen Worten, zu Wort kommen, das Wort ergreifen, wortgewaltig, Wordiegung sowie der Unterschied zwischen Worten und Wörtern. Wir bitten um freundliche Beachtung.


10.12.2006 | 17:49 | Anderswo | Alles wird besser | Papierrascheln

Es stand im Spiegel


Das Zitat aus dem weltberühmten Spiegel
In letzter Zeit malte Gabor "Seitenscheitel" Steingart im Spiegel die Volksrepublik China gleich mehrmals als bösen Angreiferstaat, in dem man aus Profitgier über Leichen gehe, und der von brutalen Führern regiert werde, denen man am besten gleich morgen früh mit Quoten, Zöllen und Einfuhrverboten drohen sollte. Die Chinesen scheint diese Polemik nicht zu kratzen. Im Gegenteil, sie loben den Spiegel in den Himmel, so wie auf dieser Schrifttafel am Mausoleum des berühmten Abakh Hoja in Kashgar, wo man ihn sogar den "Bright Mirror", den superschlauen Spiegel, nennt und aus ihm zitiert wie aus einem Evangelium. Im selben Grabmal soll angeblich auch die Xiang Fei begraben sein, die noch viel berühmtere "Duftende Konkubine".

Die Geschichten, die über diese legendäre Frau erzählt werden, gehen auseinander. Einig ist man sich nur darüber, dass sie gut aussah und auch sehr gut roch, weshalb sie Kaiser Qianlong als Konkubine in seinem Harem aufnahm. Nach einer Version soll sie sich dort nicht besonders wohl gefühlt haben, weshalb sie a) Selbstmord verübte bzw. b) als aufrechte uigurische Nationalistin den Kaiser mit einem Dolch zu töten trachtete und deshalb selbst hingemordet wurde. Nach der anderen lebte die dufte Uigurin am Hof des Kaisers herrlich und in Freuden, weshalb sie auch als Symbol für die ewige und unverbrüchliche Freundschaft zwischen dem chinesischen und uigurischen Volk gilt. Diese Fassung wird hauptsächlich von Chinesen erzählt, und vom deutschen "Bright Mirror" gestützt, zumindest auf der Tafel in Kashgar: "Love between this Uygur maid and the emperor is an evidence for great unity among different ethnic groups in China."

Ob das nun tatsächlich so im Spiegel stand, könnte, wer will, mal im Spiegelarchiv überprüfen. Wahrscheinlich ist es nicht. Aber vielleicht wird dieser Satz ja noch einmal im Spiegel stehen? Dann nämlich, wenn die Chinesen diesen deutschen Musterbetrieb aufgekauft haben, und Gabor Steingart auf der Strasse liegt.

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link


02.12.2006 | 01:38 | Berlin | Listen | Papierrascheln | Vermutungen über die Welt

Die Ordnung der Bücher


Man beachte auch die kunstvoll variierende Undzeichen-Schreibung der verschiedenen Kategorien (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Dank Jorge Luis Borges wissen wir, dass es in China früher vierzehn verschiedene Tierkategorien gab: 1. dem Kaiser gehörige, 2. einbalsamierte, 3. gezähmte, 4. Milchschweine, 5. Sirenen, 6. Fabeltiere, 7. streunende Hunde, 8. in diese Einteilung aufgenommene, 9. die sich wie toll gebärden, 10. unzählbare, 11. mit feinstem Kamelhaarpinsel gezeichnete, 12. und so weiter, 13. die den Wasserkrug zerbrochen haben, sowie 14. die von weitem wie Fliegen aussehen. Dank Sam and Max wissen wir, dass es vier Basic Food Groups gibt: Die Dough-and-Frosting Group, die Carbonation-and-Caramel-Coloring-Group, die Chewy-Nougat-Center-and-Chocolaty-Coating Group und Vegetables. Und dank Karstadt am Berliner Hermannplatz gibt es jetzt endlich auch für Bücher eine verbindliche trennscharfe Taxonomie.

Dieses Ordnungssystem, das Kinderliteratur, Reiseführer, Kochbücher, Bildbände, Nachschlagewerke und Fantasy/Science Fiction auf einer vorgeordneten Klassifizierungsebene ausschliesst, wurde im Verkaufsraum mit Hilfe von Themeninseln visualisiert. Demnach lassen sich Bücher in acht Kategorien aufteilen: 1. Chaos & Wissen. 2. Mord & Totschlag, 3. Abenteuer & Agenten, 4. Geschichte und Geschichten, 5. Selbstlesen & Vorlesen, 6. Jung und Crazy, 7. Kaleidoskop des Lebens und 8. Middlesex, Korrekturen & Co. Wieder ist also ein bedeutendes Stück Unordnung in dieser Welt beseitigt worden. Und jetzt darf jeder mal raten, auf welchen Tischen Benjamin Lebert, Harry Rowohlt, Bastian Sick, Friebe/Lobo, Cees Nooteboom und "Verschwende deine Jugend" zu finden sind.


23.11.2006 | 18:24 | Fakten und Figuren | Papierrascheln

Zeigt her eure Handschuhe


Runde Sache (Foto: raffid / Lizenz)
Domainnamen wie myjove.com riechen streng nach meterweise Werbung, Mashups und irgendwas mit Individualisierung durch Knöpfedrücken. Tatsächlich handelt es sich um die Heimstatt des Journal of Visualized Experiments, einer neuen wissenschaftlichen Zeitschrift im weiteren Sinne, die statt Textwüsten ansehnliches Videomaterial für die Biowissenschaften veröffentlicht. Bisher fanden sich bewegte Bilder bestenfalls im Online-Anhang von Publikationen, dort finden sich nun die Protokolle zum Nachkochen als Beigabe zum Video. Der interessierte Laie kann ebenfalls mitansehen, wie embryonale Stammzellen aufgetaut werden oder das zentrale Nervensystem einer Fliegenlarve präpariert wird. Vielleicht kann er sich, wenn es darauf ankommt, erinnern, dass man das Angstverhalten von Mäusen besser nicht durch laute Geräusche testet, sondern durch die Messung des freiwilligen Aufenthalts in dunklen und beleuchteten Käfigen. Hoffen wir, dass bald nicht nur experimentelle Methoden, sondern auch Forschungsergebnisse professionell als Filmchen veröffentlicht werden. "Hallo, meine Name ist Torben Malik, Sie kennen mich bereits aus Publikationen wie 'Die Rolle der Enolase in der synthetischen Systembiologie' und 'Das humane Genom – jetzt aber wirklich'."


21.11.2006 | 10:42 | Anderswo | Papierrascheln

Volk ohne Daum?

Fast täglich meldet China Daily auf der ersten Seite, wie sehr die chinesische Wirtschaft brummt. Die Spitzenmeldung von heute z. B. lautet, dass die Börse von Shanghai gestern ein Fünf-Jahres-Hoch erreichte – noch besser ging es nur der Börse von Shenzhen. Ganz, ganz selten schafft es auch eine Meldung aus Deutschland auf die Titelseite. Heute war es wieder so weit. Eine gute Sache, denn besser als viele Worte, die in dicken Büchern stehen, gibt uns diese Kombination von Meldungen Auskunft über den aktuellen Zustand der Welt: China gehört die Zukunft, Deutschland hat Christoph Daum. Was nun besser ist, mag jeder für sich entscheiden. Die Chinesen jedenfalls scheinen Daum zu bewundern, insgeheim zumindest, siehe Bildbetextung. Das heisst, irgendwann in ein paar Jahren haben sie ihn nachgebaut. Dann hat Deutschland gar nichts mehr. Auch daran könnte man vielleicht mal denken, wenn man über China spricht. Oder über Christoph Daum.

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (7)


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