Riesenmaschine

22.07.2005 | 13:22 | Papierrascheln

Vice, die Erste


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Seit Donnerstag gibt es nun wirklich und tatsächlich die erste Nummer der deutschen Ausgabe des legendären kanadischen VICE Magazine. Zwar konnten wir noch kein Exemplar ergattern, obwohl diese angeblich an 750 Stellen deutschlandweit ausliegen sollen, aber wir waren ja auch gar nicht draußen. Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis stimmt jedoch sehr hoffnungsfroh: Ein Beitrag über niedliche weiße und schwarze Babys wird kontrastiert mit einem über schwule Naziskins, der Drastik halber "Gaystapo" getauft, wird der Ausgewogenheit halber kontrastiert mit einem Beitrag über denkfaule Intellektuelle, vulgo. "Hippie-Faschisten". Das ist im Prinzip genau der heiße Scheiß, den wir lesen wollen, wenn wir ihn nicht selbst schreiben.

Andererseits muss man doch wohl kritisieren, dass die Macher es mit ihrem forcierten Anti-PC-Auf-den-Schlamm-Hauen eine Spur übertreiben. Gerade das "Frankfurter Schule"-Bashing ist gratis, geschenkt und letzlich genau so denkfaul, wie es den Adepten zu sein unterstellt. Wie Adorno/Horkheimer ganz richtig konstatiert haben: "Fun ist ein Stahlbad, die Kulturindustrie verordnet es unablässig." Dieser Diagnose scheinen die deutschen VICE-Macher mit Nachdruck gerecht werden zu wollen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Vice Deutschland


21.07.2005 | 17:46 | Alles wird besser | Sachen kaufen | Papierrascheln

Buchen sollst du suchen

Gefühlte 20 Jahre nach Amazon USA ist es endlich auch hier so weit: Seit gestern kann man bei amazon.de den Volltext nicht aller, aber doch ziemlich vieler Bücher durchsuchen. Das ist nicht nur toll, weil es a) toll ist und b) auch für Amazon toll ist (die durchsuchbaren Bücher verkaufen sich immerhin 9% besser als nicht durchsuchbare Bücher, sondern c) vor allem, weil man damit endlich auch diejenigen Bücher durchsuchen kann, die man bereits besitzt. Pro Tag lassen sich so bis zu 24 Stunden Blätter- und Sucharbeit einsparen und anderweitig verplempern. Wenn es jetzt dasselbe auch noch für den Rest der Wohnung gäbe, müsste die Riesenmaschine ihre Arbeit einstellen, denn dann wäre endgültig alles gut.


20.07.2005 | 17:09 | Fakten und Figuren | Papierrascheln

Träumende Medien


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
"Wenn die Medien träumen, träumen sie ein flottes, träges, hysterisches, universales Kleinbürgertum, das auf ewig mit der Synchronisation von politischer und sexueller Ökonomie beschäftigt ist."
So schreibt in Deutschland nur einer, und das ist Georg Seeßlen. Das Zitat entstammt aber nicht der rühmlichen Sommerloch-Titelgeschichte der Jungle World "Bilder für die Massen", in der Seeßlen über das prekäre Verhältnis von Comic und Kino extemporiert, sondern dem Bonus-Track "Die Ordnung der Bilder" in dem in fünf Kapiteln mal eben so eine "ästhetische Ökonomie der Medien im Kapitalismus" in die Welt gestemmt wird. Wenn jemand in Deutschland so etwas machen kann, dann ist es ... aber das erwähnte ich ja bereits.


19.07.2005 | 15:11 | Anderswo | Alles wird besser | Papierrascheln | Vermutungen über die Welt

Kleine Fische

Ein Gericht ist letztlich auch nur ein Mensch und wird nicht gerne ignoriert. Im Falle der Zuwiderhandlung werden schwere Geschütze aufgefahren, notfalls sogar neue kreiert. Letzte Woche entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) wiederholt im Streit zwischen der EG-Kommission und Frankreich (N° 68/2005) wegen der Duldung von Fang und Handel mit "untermaßigen" Fischen. Frankreich erwies sich gegenüber dem 1991 ergangenen Urteil als belehrungsresistent. Also musste der EuGH in seiner aktuellen Entscheidung nachfassen. Erstmals in der Geschichte der EG wurde deshalb ein Mitgliedstaat zu Zwangsgeld (knapp 60 Million Euro für jedes Halbjahr) und Zahlung eines Pauschalbetrags (20 Million Euro) verurteilt. Das ist viel Geld.

Die Verhängung von zwei Strafen mag der Dreistigkeit des Regelverstoßes durch Frankreich entsprechen, nicht jedoch dem Wortlaut des EG-Vertrags. In Art. 228 Abs. 2 Satz 2 EGV sind die Zwangsmittel gegen einen Staat als Alternativen formuliert, "Pauschalbetrag[s] oder Zwangsgeld[s]" steht dort. Knifflig wird es für den Rechtsanwender, wenn die streitentscheidende Vorschrift nicht den eigenen Vorstellungen entspricht. Selbst ein hinderlicher Wortlaut gilt.

Wer glaubt, der EuGH gerate angesichts der eindeutigen Regelung in Erklärungsnot, irrt. Neben der Rechtswahrung ist der Gerichtshof der Rechtsentwicklung verpflichtet, d.h. wenn es der Wirksamkeit des EG-Rechts dient, geht so einiges. Das Argument der Rechtsentwicklung ist im Laufe der Jahre zum Magic-Tool herangereift, und exakt darauf besannen sich die Richter im vorliegenden Fall. Das lästige "oder" in Art. 228 EGV verwandelten sie in ein verbindendes "und", weil die dadurch gewonnene Befugnis zur doppelten Bestrafung dem widerspenstigen Staat eine Lehre sein wird. Und bloß, weil man die Vorschrift früher noch nicht so ausgelegt hat, heißt es nicht, dass dieser Weg in Zukunft versperrt sei. Wenn man's so rum betrachtet, ist alles klar, oder?

Bei der höchsten europäischen Instanz haben gestern die Gerichtsferien begonnen. Riesenmaschine wünscht frohe Ferien!

Antonia Rossdeut | Dauerhafter Link


15.07.2005 | 18:36 | Alles wird besser | Papierrascheln | Vermutungen über die Welt

Führerscheinentzug macht Dealer zu besseren Menschen

Die Entscheidungen des Großen Senats für Strafsachen sollten jedem Haushalt zugehen, dem am Prädikat "gut geführt" gelegen ist. Das exklusive Gremium befindet durchschnittlich ein Mal im Jahr über Grundsatzfragen des Strafrechts. Die Pressemitteilungen ließen sich folglich problemlos dem IKEA-Katalog beilegen. Beispielsweise die jüngste Entscheidung (1) des BGH-Organs: Wieviel Ruhe und Ordnung könnte in Familien herrschen, wären Einsicht und Anwendungsbereitschaft vorhanden!

Den Anlass für den Beschluss gaben drei Strafverfahren, bei denen die Täter – Dealer, Räuber, Betrüger – vor oder nach Begehung der Straftaten Auto fuhren. Als Maßregelung zur Besserung und Sicherung wurde ihnen die Fahrerlaubnis entzogen (2). Der Generalbundesanwalt fragte sinngemäß, ob das die richtige Hilfe für die "Patienten" (3) sei. Die Angeklagten hätten zwar einiges verbrochen, aber keine Straßenverkehrsdelikte. Der Große Senat meint nun, ihre Führerscheine sollten die Angeklagten nicht zurück bekommen, weil "die Anlasstat tragfähige Rückschlüsse darauf zulasse, daß die Täter bereit seien, die Sicherheit des Straßenverkehrs ihren eigenen kriminellen Interessen unterzuordnen" (4).

Eine höchstinstanzlich abgesicherte Erziehungsmaßnahme wäre folglich ein Inline-Skate-Verbot für das Kind, das beim Kiffen erwischt wurde. Falls es dagegen anquengelt ("Reine Schikane! Das eine hat ja wohl voll nichts mit dem anderen zu tun!"), trumpft man mit der neuesten BGH-Argumentation auf: "Doch, hat es wohl! Wenn Du wieder kiffst und danach skatest, könnte es sein, dass Du einen Fußgänger umfährst. Noch ist es nicht passiert, aber wer weiß, wann!" Eben. Das kann keiner wollen.

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(1) Aktenzeichen GSSt 2/04 vom 27.04.2005
(2) § 69 Absatz 1 Satz 1 Strafgesetzbuch
(3) Interner Staatsanwaltschaftssprech
(4) Presse/Info anklicken, dort: Pressemitteilung 79/2005

Antonia Rossdeut | Dauerhafter Link


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