Riesenmaschine

17.12.2005 | 03:31 | Was fehlt | Sachen anziehen

Warum und zu welchem Ende tragen wir Schnürsenkel?


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Als 1991 das Puma Disc System eingeführt wurde, war klar, dass es eine gute Idee war, die schon ziemlich alte Schnürsenkeltechnik durch etwas anderes abzulösen. Dass das Puma Disc System dieses Andere nicht sein würde, war aber mindestens ebenso klar. Fast fünfzehn Jahre nach diesem kurzen Moment der Hoffnung hat sich an der Schuhverschliessungsfront nichts Wesentliches getan – bis auf Ian's Shoelace Site, die den beklagenswerten Zustand immerhin dokumentiert und diverse Hacks und Patches für gebräuchliche Schnürsenkelprobleme bietet, und die abgebildeten Speed Laces zum Nachrüsten herkömmlicher Schuhe (gesehen bei Kevin Kelly). Beim Betrachten der Speed Laces stellt sich die Hoffnung, aber auch die Enttäuschung von damals wieder ein: Wer will schon klobige graue Umlenkrollen auf seine Schuhe montieren? Oder noch alberneren Kram?
Über die Kulturtechniken der Oberschicht im 19. Jahrhundert wird vermutet, sie seien vor allem deshalb von so überschiessender Komplexität gewesen, damit die Mittelschichten nicht so mir nichts, dir nichts nach oben gelangen konnten. Vielleicht halten sich die unpraktischen Schnürsenkel aus ähnlichen Gründen so hartnäckig, und vielleicht gibt sich deshalb niemand Mühe bei der Entwicklung von Alternativen: weil wir den daumenlosen Tieren hin und wieder zeigen müssen, dass Mutter Evolution uns lieber hat als sie. Nicht von ungefähr sind Schuhe ja unten angebracht, wo sie auch von kleinen und kleinsten Tieren sehr gut gesehen werden können. Tragen wir unsere Schnürsenkel also so lange mit Stolz, bis jemand hingeht und etwas noch Komplizierteres und Unpraktischeres erfindet.


15.12.2005 | 13:48 | Alles wird besser | Sachen anziehen

Unsichtbare Zahnspange


Verblüffend: Kein Unterschied zu erkennen! (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Wird die Hollywood angegliederte Hässliche-Entlein-Industrie (Brillen, Pferdeschwänze, Zahnspangen) schon bald nur noch ein Schatten ihrer selbst sein? Zu diesem Schluss kommt man, wenn man die Insignien der filmischen Blitzverhässlichung unter dem Blickwinkel des kosmetischen Fortschritts betrachtet. Die Brille als zentrales Verwandlungsmodul einer 16-jährigen Playmate-Granate zur verlachten Vogelscheuche ist schon länger überflüssig. Letztlich funktioniert sie wegen der Kontaktlinsenschwemme nur noch in Verbindung mit der Zahnspange, dem Zahnzepter aller hässlichen Entlein weltweit. Und genau dieser letzte Unterscheidungspunkt, der sich bisher stählern funkelnd seiner kieferorthopädischen Alternativlosigkeit bewusst zu sein schien, fällt nun lautlos in sich zusammen. Denn – Highschools der Welt, hört her – die unsichtbare Zahnspange ist erfunden. Von der erfindenden Firma Invisalign schamhaft klageabwendend (USA!) "nahezu unsichtbar" genannt, werden in einem komplizierten computergesteuerten Verfahren transparente Folienschichten so verklebt und verhärtet, dass sie über die Zähne gestülpt ihrer korrigierenden Tätigkeit ungesehen nachgehen können. In Hollywood bleibt damit zur Unterscheidung der schönsten und der hässlichsten Schülerin auf dem Abschlussball lediglich die Haarfrisur übrig, wie im richtigen Leben auch.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Zahntag und Pastenwahn


13.12.2005 | 10:15 | Sachen anziehen | Vermutungen über die Welt

Boho-Style


Hier fehlt dieses Bild
Was ist eigentlich Boho-Style? Die deutschsprachige Ausgabe der Glamour verabsäumt es in kaum einer der vergangenen Ausgaben, auf diese diffuse neue Stilrichtung – den zugehörigen Bildern nach zu urteilen eine Mischung aus Neo-Romantic und Post-Hippie, bei der Ethnoschmuck und Lammfell eine nicht unwesentliche Rolle spielen – aufmerksam zu machen, ohne freilich zu erklären, worum es sich dabei genau handelt: Samt zu Samt getragen, wirkt festlich-hübsch. Zu robusten Stoffen wie Denim kombiniert, hebt er sich besonders hervor. Z.B. im Boho-Chic-Look mit Dreiviertel-Hose, eleganten Accessoires und süssen Ballerinas oder Pumps, lesen wir da etwa. Beziehungsweise: Designer wie Christian Dior, Ralph Lauren und Versace haben diese Saison das zartgriffige Lammfell in Mäntel, Jacken, Kleidern, Stiefeln und Accessoires verarbeitet. Die Wirkung der Kreationen könnte nicht vielfältiger sein: romantisch mit Boho-Flair, elegant im Ladylike-Stil ... usw.

Zunächst nahmen wir an, die Glamour-Redaktion hätte da etwas in den falschen Hals bekommen, und David Brooks' bourgeoise Bohemians, abgekürzt Bobos irgendwie zusammen und durcheinander gebracht mit den Hobos, der US-amerikanischen fahrenden Bänkelsänger-Subkultur aus Zeiten der grossen Depression, deren letztes lebendes Exemplar Tom Waits ist. Alles, was Wikipedia zu Boho weiss, ist, dass es sich dabei um eine sehr kleine Stadt in der Nähe von Enniskillen, Landkreis Fermanagh, in Nordirland handelt.
Tatsächlich ergeben weitere Recherchen, dass der Trend auch in den USA bekannt ist, und vermutlich von dort stammt.

Danach gilt Sienna Miller als Galionsfigur dieser Moderichtung, die in ihren Grundzügen als eklektische Mischung aus Gypsie-, Ethno- und Landfrauenlook dort bereits 2002 Gestalt annahm. Es sei nun an der Zeit, auch bei der Inneneinrichtung dem "inneren Gypsie" freien Lauf zu lassen, weiss die Online-Handtaschen-Ressource handbag.com. Über eine nicht minder eklektische Binnengeschichtsschreibung, die auf zeitlich nicht näher als "irgendwann früher" zu verortende Boho Days rekurriert, schafft sich der Trend im Reverse-Engeneering- beziehungsweise Backward-Masking -Verfahren seine eigene Basis, in die irgendwie die Hobo-Vergangenheit hineinspielt, wie auch eine zeitlich und räumlich nicht näher spezifizierte Boheme, wonach ein Bohemian jemand ist, der sich für "Kunst, Musik und/oder Literatur interessiert und schlampig anzieht" – was zumindest die Frage der Etymologie geklärt haben dürfte. Interessanterweise knüpfen die Amis damit an ein Missverständnis aus den Anfangstagen der Pariser Bohème an, das hinter der ursprünglichen Namensfindung steht. Weil man sich die illustre Gesellschaft aus Künstlern, Literaten und Säufern, die um das Jahr 1830 herum entstand, nicht anders erklären konnte, ging man kurzerhand davon aus, dass es sich um fahrendes Volk aus der Gegend um Böhmen handeln müsse.


09.12.2005 | 00:00 | Berlin | Sachen anziehen

Acne in Berlin


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Ja, nun gut. Berlin ist um einen Jeansladen reicher. Im Murkudis-Komplex an der Münzstrasse Ecke Neue Schönhauser, gleich neben den ehemaligen Räumen der Automatenbar, wo heute sündhaft teure riefenstahlstylische Schiesser-Unterwäsche verkauft wird, hat heute gestern Abend das Acne Acne-Jeanslabel seinen ersten Store in Berlin eröffnet.
(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Innenarchitektonisch fügt sich der Laden sehr hübsch in das minimalistisch futuristische Ensemble ein, das Andreas Murkudis auch in den angrenzenden Hinterhöfen betreibt.
(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die Mode des schwedischen Labels folgt nach Expertenauskunft der Freundin dem strengen Vorbild der Sixties, wie ja generell gerade reduktionistisch-strenge Labels mit leichtem Retro-Touch aus Skandinavien Konjunktur haben, siehe unter anderem Filippa K. Allerdings war davon erst mal wenig zu sehen, weil es bei der Shop-Eröffnung so brechend voll war, dass man schnell ins Cafe Moskau ausweichen musste, wo die anschliessende Party stattfand ...

(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
die allerdings neben schwedischem Vodka, Freeflow, lediglich die Erkenntnis einbrachte, dass unter jungen Berlinerinnen zur Zeit weniger schwedische Sixties-Jeans, die nach Hautkrankheiten benannt sind, angesagt sind, als zeltartige Parkas, die in kalten Nächten einer Kleinfamilie Unterschlupf gewähren könnten. Allerdings muss man zugeben, dass wir auch zu einer ziemlich zivilisierten Zeit gegangen sind.


08.12.2005 | 01:56 | Sachen anziehen

Dos & Dolls


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Nein, wir schreiben nichts mehr zur neuen Ausgabe des Vice-Magazine auf Deutsch, wir können ja nicht jede einzelne Ausgabe kommentieren, und insgesamt scheint sich die Tendenz zu bestätigen, dass die deutschen Beiträge zu Themen wie "Dem Grauen auf den Zahn gefühlt" und
"Bärte sind die Härte"
(Wer macht dort eigentlich die Überschriften?) doch im internationalen Vergleich eher abfallen. Hinweisen möchten wir aber ausdrücklich noch einmal auf die völlig zu Recht legendären Dos & Don'ts, die – aus dem Mutterblatt übernommen – zu jeder Ausgabe auch online mitgeliefert werden, und einem jedes Mal aufs Neue den Stecker rausziehen. Dass es sie nach dem Buch jetzt auch als Puppen zum Preis von $17,99 gibt, halten wir für zwar ganz lustig, aber am Ende dann doch ein wenig übertrieben.


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