Riesenmaschine

08.10.2007 | 23:16 | Anderswo | Fakten und Figuren | Zeichen und Wunder

Reloaded 2.0 Deluxe


Der feuchte Traum eines jeden Trendhistorikers: Man beachte auch die kunstvolle Einbindung des lange verdrängten Ausgehtrendwortes "Clubbing" (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Das antiagglutinierende Suffixial-Adjektiv (auch als postponierter Metapherlativ bekannt) ist einer der ältesten und verlässlichsten Kniffe in der Wording- und Naming-Branche. Wie überall sind auch hier die Moden rätselhaft und kurzlebig, und so konnten wir in den letzten Jahrzehnten schon viele sonderbare Begriffe kommen und gehen sehen, wie beispielsweise Spezial, 2000, Extra, Plus, Grande, Ultra, Light, Gold, Deluxe, Galore, 3000, XXL, Original, Professional, Classic und Premium.

In den Nullerjahren gab es schliesslich zwei bedeutende Alphawörter auf diesem Gebiet: Das Matrix-inspirierte Reloaded und das zuletzt allgegenwärtige 2.0 – zwei Begriffe, denen, wir geben das unumwunden zu, auch die Riesenmaschine das eine oder andere Mal erlegen ist. Inzwischen sind Reloaded und 2.0 aber längst im letzten, verlorenen Sektor des Produktzyklus, angekommen – was nun durch einen bemerkenswerten Doppelauftritt in der Trendflohmarktstadt Oldenburg (s. Foto) eindrucksvoll unterstrichen wurde.


03.10.2007 | 19:08 | Anderswo | Zeichen und Wunder | Papierrascheln

Peter Pillers lange Tage bei der Carat Hamburg GmbH & Co


diffus wahrnehmbare Aufbruchstimmung – 2/05
(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
..., er sieht auch nicht gut aus in letzter Zeit, früher hat er eher mal noch einen Witz gemacht, aber man muss sich das auch mal vorstellen, die ganze Verantwortung für 9 Angestellte, das nimmt man ja mit nach Hause, sowas, er müsste einfach mal wieder raus ...

Eine solche Litanei neben eine schnelle Zeichnung vom Chef notiert, trägt den schönen Titel: "Der Chef von unten". Gezeichnet ist es auf Briefpapier der Firma "Carat Hamburg GmbH & Co.", wo Peter Piller jahrelang und offensichtlich eher widerwillig arbeitete, um sein Leben und seine Kunst zu finanzieren. Das war lange vor der Erfindung der Digitalen Bohème und heute kann Piller denn auch von der Kunst und der Professur an der HGB Leipzig leben. Es ist ihm zu gönnen, denn selten ist Kunst vergnüglicher als bei Ausstellungen von Photographien aus dem Archiv Peter Piller.

Wir danken Piller aber trotzdem für die Zeit, die er bei der Carat Hamburg GmbH & Co körperlich anwesend war, denn schöner und präziser als in den dort entstandenen Zeichnungen wurde der trübe Wahnsinn des modernen Büroalltags nie dargestellt. Skizzen und Notizen wechseln sich ab oder ergänzen sich und die Titel – oft ebenso wichtig wie die Zeichnung selbst – geben Auskunft über den Verbleib von Pillers Geist.

Piller röntgt "Die Kammer, in der das Klopapier gelagert wird" vom Schreibtischplatz aus, rekonstruiert eine Excel-Tabelle vom Monitor aufs Briefpapier, skizziert den an den Monitor gelehnten Teddy der Kollegin und richtet den Blick bisweilen auch aufs grosse Ganze. "Wessen Kapital lenkt uns bloss? Und wohin?" steht unter der Skizze einer typischen Bürotasse – und man leidet mit beim Versuch Pillers, sich zwischenmenschlich über Wasser zu halten: "Im Gegenüber den feinsinnigen Privatmenschen vermuten".

"Herr Piller gibt sich Mühe, damit es ein weiteres Jahr keinen Ärger mit ihm gibt", gemalt in dicker Blockschrift und von Piller selbst unterschrieben, macht, dass man Piller nachträglich trösten möchte – wenn man mit Lachen fertig ist. Und dann wendet man sich der Zeichnung eines knienden, durchsichtigen Mannes zu, dem rektal ein spitziges schwarzes Etwas durch den ganzen Körper bis in den Kopf getrieben ist. "Darmspiegelung – armer Kollege. Gibt einen Tag frei."

Wir empfehlen dringend einen baldigen Ausflug ins Kunsthaus Glarus wo das Konvolut "Bürozeichnungen" neben den bekannteren Photoarbeiten Pillers zu sehen ist. Und wer jetzt meint, Glarus sei ja nicht grad ums Eck, dem halten wir entgegen, dass man die vollständige Staffel von "The Office" ja auch nicht in zwei Stunden weggucken konnte.

Peter Piller – Ästhetik und Langeweile, noch bis zum 18. November im Kunsthaus Glarus. Bei Christoph Keller Editions, JRP/Ringier, Zürich ist ausserdem die Publikation "Teilzeitkraft" mit den Bürozeichnungen erschienen.


02.10.2007 | 01:09 | Anderswo | Alles wird besser | Zeichen und Wunder

Richtlinien für den Wiederaufbau der Welt


links: Paris vorher / rechts: Paris nachher (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Le Corbusier schlug 1925 im 'plan voisin' vor, die schmutzige, unhygienische, dunkle, veraltete und nicht autogerechte Altstadt von Paris abzutragen und auf den Trümmern ein Raster von Strassen und nach der Sonne ausgerichtete Hochhäuser zu bauen. Er dachte sich, dass so alle Menschen in Licht, Luft und Sonne funktional und gesund leben könnten und versprach sich (und allen anderen) davon eine bessere, lebenswertere und gerechtere Welt. Wie man heute noch sehen kann, ist Corbusier mit seinem Vorschlag kläglich gescheitert. Er war den Leuten wohl irgendwie zu technisch.


links: Paris vorher / rechts: Paris nachher (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Ganz anders hingegen seine Majestät Maharadja Nader Raam. In "perfekter Beziehung zum Kosmischen", zum "unendlichen und unbegrenzten Feld des Bewusstseins" und "dem allem zugrunde liegenden gesamten Naturgesetz" kommt jetzt sein Vorschlag für den Neuaufbau von Paris nach Sthapatya-Veda, von dem er sich (und allen anderen) "Leben in Erleuchtung, vollkommener Gesundheit, Wohlstand, Unbesiegbarkeit und Frieden" verspricht: Seine neue, ideale Stadtplanung sieht vor, die Altstadt von Paris abzutragen und auf den Trümmern ein Raster von Strassen und nach der Sonne ausgerichtete Häuser zu bauen.

Na also. So gehts doch auch, Herr Corbusier!


29.09.2007 | 14:31 | Alles wird besser | Zeichen und Wunder

Am Ende der CD


Auch als Vogelscheuche zu bemitleiden: Die CD (Foto: zenera) (Lizenz)
CDs, das waren runde, häufig silbrig glänzende Scheiben zur Datenspeicherung aus den 1990er Jahren. In der ursprünglichen Form wurde ihre Kapazität von immerhin 0.0007 TB häufig mit nur 45 Minuten Musik vergeudet, die anfangs nur auf Geräten für sogenannte Stereoanlagen abzuspielen war. Später wurde sie mangels Alternativen von Menschen, die dafür Zeit hatten, zur Datensicherung eingesetzt. Dazu liess man wegen des starren Formats grosse Teile leer oder versuchte mühselig diese oder jene Datei hinzuzustückeln, damit sich das Brennen auch lohnte. Es soll sogar einige Computerspezialisten gegeben haben, die sie als wiederbespielbares Medium verwendeten. Ebenfalls unnütz war der Einsatz der CD als Untersetzer, sie war eindeutig zu gross und meist unangenehm bedruckt.

Da freut man sich, dass am Ende des ihres Technologiezyklus doch noch jemand etwas Interessantes mit ihr anfangen konnte: Spanische Tüftler haben aus einem handelsüblichen CD-Spieler ein Messgerät zur Hochdurchsatzanalyse von Pestiziden mittels Immunoassays gebaut. Wenig überraschend kann es trotz extra Lasern mit spezialisierten Geräten nicht mithalten, ist aber schön billig. Eines schönen Tages verspricht man sich 300.000 Proben auf einer Scheibe unterzubringen und soll damit Heimdiagnose von Krankheiten durchführen können. Den CD-Spieler also noch zweimal umziehen und dann mutig entsorgen ("Werde sowieso nicht krank"). Zum Werfen sind Floppies sowieso besser geeignet.


28.09.2007 | 01:01 | Anderswo | Zeichen und Wunder | Vermutungen über die Welt

Und dann die Hände zum Himmel


Bild und Hinweis von: Popblog / Christian Ihle (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Symbole haben im Allgemeinen genau eine Funktion: schnell verstanden zu werden. Wie schnell aber aus Verstehen Missverstehen werden kann, zeigt sich regelmässig am Nürnberger Flughafen. Schon bei der Beschilderung für Behinderte hatte der zuständige Grafiker nicht seinen allerbesten Tag. Und auf dem dortigen "Observation Deck" muss, wie man links erkennen kann, auch heute noch brav dem Führer salutiert werden. Warum es nun aber immer und überall nur Männer sind, die dem Hitler zu huldigen haben, man weiss es nicht. Möglicherweise haben die guten, nationalsozialistischen Frauen einfach alle Hände voll zu tun, ihren Männern die Stange zu halten.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Behinderte raus


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