Foto, LizenzDrüben bei den anderen Kindern ereifert man sich über eine Eismaschine, die, je nach Glücklichkeit des Benutzers, mal mehr (sehr unglücklich), mal weniger (auch ohne Eis glücklich) Softeis ausspuckt – das ganze in einem Projekt von Demitrios Kargotis, das auf der Ars Electronica in Linz landete. Einige erinnert das Gerät freudetrunken gar an das von Douglas Adams beschriebene Nutri-O-Matic ("Share and Enjoy"). Jetzt aber mal stop hier.
Warum bitte ist es eine Errungenschaft, wenn der, lediglich am Klang der Stimme übrigens, erkannte Glückszustand des Benutzers in eine extrem schlichte quantitative Eismenge übersetzt wird? Sind wir nicht mehrere tausend Jahre vom Sklavenmarkt entfernt, dem letzten Ort, an dem komplexe menschliche Bedürfnisse noch ungestraft in eindimensionale Zahlenangaben übersetzt werden durften? Ist Glück als Produkt nicht wenigstens etwas komplexer als eine Eistüte frei konfigurierbarer Grösse, sagen wir, so komplex wie ein Individualurlaub in der Dominikanischen Republik mit Voodoo-Zauber und Seeigel im Fuss? Eismenge als Handelsäquivalent für Glück, wie gestern ist das denn bitte.
Mit etwas gutem Willen ist das Spinnennetz durchaus zu erkennen, jede Unterstellung, ich würde ein verkapptes Selbstportrait in die Riesenmaschine einschleusen wollen, muss also als an den Haaren herbeigezogen betrachtet werden. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)Weshalb mein Automobil, ein goldener Mercedes 230 CE, '89er Baujahr, natürlich Automatik, alles andere ist scheinbeschäftigtes Gepose, fast ein Jahr herumstand, kann man hier nachhören. In dieser Zeit fand es neue Liebhaber, und jetzt, da ich wieder mit dem Auto herumfahre, teilen wir es uns zu dritt: zwei unsichtbare Spinnen wohnen jeweils in den Seitenspiegeln. Mittags, wenn ich zum Auto gehe, um zum Arbeiten in ein Café zu fahren, haben die Spinnen rechts und links Netze gesponnen, die vom Rückspiegel bis an den Türkorpus, manchmal sogar bis an die nicht vorhandene B-Säule reichen.
Es zeigt sich, dass Tier, Ding und Mensch eine nennen wir es Symtriose eingehen können, die zu dreierseitigem Nutzen ist. Das Tier profitiert technisch, weil die Netze im Fahrtwind nur in der Hälfte der Fälle kaputt gehen. Ansonsten werden in zehn Minuten Fahrt mehr Luft und Insektengetier durch das Netz getrieben als in hundert Jahren Windgetöse. Das Ding hingegen profitiert ästhetisch, weil es sein durch vieltausendeuroteure Reparaturen ramponiertes Image aufbessern und sein über die Jahre durchaus klobiger scheinendes Äusseres mit filigranen fliegenden Bauten aufpeppen kann. Der Mensch zum Schluss profitiert feinstofflich, weil er mit dem Spinnennetz der verborgenen Spinne am Rückspiegel endlich das Konzept Wabi Sabi versteht und fortan Gelassenheit und Frohsinn seine Lippen umspielen, wenn er im Strassenverkehr zum Fluche ansetzt.
Konsum ist ein störrischer Vogel ohne Sinn und Verstand. Er verbringt den Tag bald hierhin, bald dorthin tänzelnd und mag nicht einsehen, dass Döner für 99 Cent eigentlich nur mit Gammelfleisch, Pestizidsalat und Schwarzarbeit zu bezahlen ist. Wenn überhaupt. Immer wieder bekommt er massiv auf die Fresse, Kollege Konsum, aber lernt er daraus? Nein. Wie aber dem Konsum begreiflich machen, dass Qualität rult und nicht allein der Preis? Der Königsausweg scheint, ihn bei der Eitelkeit zu packen und ihm zu bedeuten: "Schau, dieses Produkt, es ist extra für Dich und nur für Dich hergestellt, nun konsumiere es halt". Auch der schlichtgestrickte Konsum sieht ein, dass personalisierte Ware einen Mehrwert darstellt und also gut und zukunftsgewandt ist. Die Filmempfehlungsmaschine Moviepilot.de, der ich in Freundschaft verbunden bin, hat sich das zu Herzen genommen und für den am Donnerstag startenden Film "Die Bourne Ultimatum" personalisierte Trailer ausgedacht (auf "jetzt testen" klicken). Die Maschine rechnet nach ein paar Filmbewertungen aus, wie gut man den Film finden wird und spielt einem einen begeisterten Trailer vor, wenn man vom Film mutmasslich begeistert sein wird, einen beschissenen Trailer, wenn man den Film beschissen finden wird und einen so mittleren Trailer, wenn man den Film so mittel finden wird. Das mag noch nicht der Personalisierung letzter Schluss sein, aber man nähert sich an.
(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.) (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.) (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.) (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.) Kracht, Niermann, Holzberger, Thiel (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.) Ein bisschen erinnert die Szenerie an die meistfotografierte Scheune Amerikas aus Don Delillos "White Noise", eine sich selbst erneuernde Tourismusattraktion irgendwo im Nirgendwo, von der niemand mehr sagen kann, wie sie dazu wurde – nur dass da, wo die grosse Pyramide werden soll, momentan noch ein klappriges Windrad steht, das man aus Bayern über die grüne Grenze in die Gegend von Streetz verfrachtet hat, weil es den Bayern zu viel Krach machte. (Was die Initiatoren Ingo Niermann und Jens Thiel mit der Vision einer Völker, Kulturen und Religionen verbindenden, international vermarkteten Grab- und Erinnerungsstätte in Form einer stetig wachsenden Pyramide bezwecken, kann man unter anderem hier nachhören.)
Zum heutigen "Pyramidenfest" wurde zusätzlich eine Bühne aufgebaut und ein Stück Acker als Parkplatz abgesperrt. Es sollte eine Art Grundsteinlegung werden. Der Shuttlebus aus Berlin trifft mit einer Stunde Verspätung ein, weil das Kamerateam mehrfach ins Begleitfahrzeug und zurück wechseln musste, um den Bus auch von aussen zu filmen. Vor Ort sind bereits mehrere Kamerateams vertreten, die sich gegenseitig filmen und die noch etwas spärlichen Besucher interviewen. So ganz will das Eis zwischen Einheimischen und zugereisten Berlinern nicht brechen: eine Gulaschkanone mit Eisbein und Wellfleischknödeln hier, ein antiker Bus mit Latte und Prosecco genau gegenüber. Blaskapellen spielen auf. Auf der Bühne zeigt eine Kinderturntruppe kostümierte Akrobatik. Eine Minidemonstration von Streetzern marschiert auf und wehrt sich mit Transparenten gegen die Vorstellung, dass demnächst 5.000.000 Tote vor ihrer Tür geparkt werden könnten.
Momentan liegt nur ein kleiner Haufen von sogenannten "Erinnerungssteinen" herum, der vermutlich im Laufe des Abends noch enthüllt wurde. Man wähnte sich in einer geheimen Inszenierung von Christoph Schlingensief, wenn der nicht zeitgleich in Bonn Premiere gehabt hätte. Bei Redaktionsschluss dauerten die Aufruhrarbeiten an der Baustelle noch an.
Vektorraumbasen: Wer erinnert sich noch? Die Basisvektoren (rot) spannen den dreidimensionalen Raum auf. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.) Banach-Tarski-Paradoxon: Aus eins (rot) mach zwei (auch rot). (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.) Während sich anderswo Leute mit wenig vertrauenserweckenden Energy-Drinks nächtelang wachhalten, um Bücher darüber zu schreiben, was die Menschheit noch nicht weiss, beweisen andere Leute Sachen, die man sowieso niemals wissen kann. Beispielshalber beweisen Mathematiker, dass es Vektorraumbasen gibt, deren Existenz zwar beweisbar ist, von denen man aber niemals wissen kann, wie sie aussehen und wie man sie überhaupt an eine Tafel schreiben soll, kurz: Dass es etwas gibt, wovon man gar nichts bis überhaupt nichts wissen kann und das für immer. Mirakulös. Solche Behauptungen kennt man sonst nur von Theologen, die sagen: Es gibt einen Gott, aber der ist ein deus absconditus, also völlig und für immer verborgen. Schuld an diesem prinzipiellen Unwissen der Mathematiker ist das sogenannte Auswahlaxiom, mit dem sich noch viel tollere Mirakel erzeugen lassen, z.B. das Banach-Tarski-Paradoxon, dem zufolge sich in bestimmten Räumen aus einer Kugel zwei neue Kugeln mit gleichem Volumen der Ursprungskugel basteln lassen. Wundersame Brotvermehrung! Mathematik löst Welthungerproblem! Bei so vielen Wundern wundert es nicht mehr, dass sich mit dem Auswahlaxiom auch die Existenz Gottes beweisen lässt, wie der Philosoph Reinhard Kleinknecht in dem Buch "Klassische Gottesbeweise in der Sicht der gegenwärtigen Logik und Wissenschaftstheorie" dartut, das allerdings nicht als PDF vorliegt und von dessen konkretem Inhalt wir hier also leider nichts wissen. Noch oder für immer.