Riesenmaschine

20.02.2006 | 22:12 | Fakten und Figuren

Pilze sind kein Spielzeug


Nahaufnahme (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
An einem Montag vor mehreren tausend Jahren zog der Indianerjunge mit dem unaussprechlichen Namen in den mexikanischen Dschungel, um, auf Geheiss seiner Mutter, Pilze für die Suppe zu sammeln. Leider war er nicht richtig bei der Sache. Schillernde Pilzgewächse sprangen in sein Tragetuch und taten so, als wären sie vollkommen harmlos. Die Männer kehrten gerade von der Spinnenjagd zurück, alle hatten grossen Hunger und begannen unverzüglich mit dem Pilzmahl. Kaum dreissig Minuten später kamen die schillernden Zeitgenossen aus ihren Verstecken, lösten jedes einzelne Hirn im Dorf auf und zwangen die armen Indianer, grosse, unförmige Pyramiden in den Wald zu setzen. "Teonanacatl", das "Fleisch der Götter", war entdeckt.

Während die Geschichte bis hierhin erfunden ist, kann man den Rest an zahllosen Orten nachlesen, zum Beispiel hier. 1957: Die Pilze benutzen das Ehepaar Wasson, um dem Dschungel zu entfliehen. 1960: Sie entdecken Timothy Leary und verwenden ihn, um sich in Harvard und im neuzeitlichen Amerika zu etablieren. Und schliesslich 1958 (also nur kurze Zeit später): Der Wirkstoff Psilocybin springt mit Hilfe von Albert Hofmann aus den Pilzen und treibt sich seitdem isoliert in der Welt herum.

Seitdem sind wir ihnen ausgeliefert. Wir versuchen es mit Verboten, Forschung, Informationszentralen, Verschwörungstheorien, Abstinenz, Verblendung, das gesamte Arsenal an Wunderwaffen eben, aber wir kommen so nicht weiter. Pilze durchleuchten unsere Seelen, zwingen uns, alberne Strassenlaternen und ganze Skulpturenparks aufzustellen (in und bei Zürich, noch mehr Fotos hier), Baumhaushotels zu errichten (bei Görlitz), sie verlangen nach pilzförmigen Freizeitparks und Drive-In Lokalen, und in Mexiko, wo nie jemand hinkommt, stampfen sie höchst merkwürdige Dinge aus dem Dschungelboden. Es ist nicht der Mensch, der den Pilz kauft; der Pilz kauft den Menschen (lässt ihn aber die Rechnung bezahlen, was ganz schön clever ist). Sie trennen uns nicht nur von Raum und Zeit, sondern reissen ausserdem eine tiefe Schlucht auf, eine Schlucht des Misstrauens zwischen uns und ähm uns. Hoffentlich erfahren sie nie etwas von diesem Beitrag, haben Pilze eigentlich Internet?

Aleks Scholz (wahrscheinlich) | Dauerhafter Link


20.02.2006 | 20:40 | Berlin | Alles wird besser

Pilzkonzept


Pilz löst Verkehrsproblem (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Nach jahrzehntelangem Planungsvorlauf und jahrelanger enervierender Bautätigkeit steht das sog. Pilzkonzept der Bahn für die Hauptstadt kurz vor der Vollendung. Bis zur Fussball-WM, genauer: bis zum 28. März 2006, soll alles unter Hut und Krempe sein. Der neue Nordbogen und die S-Bahnhauptstrecke bilden die Mütze, die Südtangente den Stiel, das ganze zusammengehalten in der Mitte durch den neuen Hauptbahnhof. "Wir hatten keine Ahnung, wie wir dem wachsenden Verkehrsaufkommen durch die neue Mittellage Berlins im vereinten Europa Herr werden sollten", so ein Sprecher des Konzerns, der lieber anonym bleiben möchte, zur Vorgeschichte: "Dann hat einer der Vorstände in einer Krisensitzung gedankenverloren einen Pilz auf seinen Notizblock gekrakelt, und das war's dann." Die Riesenmaschine gratuliert zum gelungenen Geniestreich. Wenn nur alle Probleme der Menschheit sich so einfach mittels Pilzen aus der Welt schaffen liessen.

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20.02.2006 | 18:06 | Alles wird besser | Essen und Essenzielles

"Du musst es nicht wieder machen."


Quorn
mehr als nur eine Stadt in Australien (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Um dies gleich klar zu stellen: Es schmeckt hervorragend. Es ist nicht so fad wie Tofu und auch nicht so glibberig und bleich. Es weist eine leicht fasrige Struktur, fleischähnliche Farbe und einen Geschmack zwischen Pilz und Geflügel auf. Da es hauptsächlich aus Pilzprotein besteht, ist es ein guter Lieferant für Eiweiss und Ballaststoffe. Es ist vielseitig form- und ebenso anwendbar, nimmt gut den Geschmack von Gewürzen und Saucen an und ist auch nicht teurer als Hühnchen. Und es heisst Quorn. Kurz: Ein Wundernahrungsmittel.

Während Quorn in einigen fortschrittlichen Ländern (England, Schweiz, Holland) bereits im letzten Jahrtausend eingeführt wurde und sich auch ganz ordentlich verkauft, hat es das sympathische, industriell hergestellte Nahrungsmittel aus fermentiertem Schimmelpilzmyzel in den meisten anderen europäischen Ländern nie über die Tests von Marktforschern hinaus geschafft.

Was lief da schief? Waren es die allergischen Reaktionen einiger ewig Überempfindlichen? War es die Neigung von Quorn, die Packung über Nacht ein ganz klein wenig aufzublähen? War es die vorschnelle Ablehnung von industriell gefertigten Nahrungsmitteln im eher naturfixierten Vegetariermilieu oder doch nur ein allgemeines Unbehagen gegenüber jeglichem 'Fleischersatz'? (Kommentar einer deutschen Testerin: "Mein Mann hat gesagt, ich muss es nicht wieder machen.")

Ein hervorragender Marketingschachzug soll dem nun Abhilfe schaffen. Es wurde nämlich die sehr nach Urban Legend tönende Geschichte in Umlauf gesetzt, der Quorn zugrunde liegende Schimmelpilz sei in den 60er Jahren "zufällig auf dem Boden eines Bauernhofs in Grossbritannien" entdeckt worden. Da kann ja wohl kaum mehr etwas schiefgehen, die Markteinführung in Deutschland ist sicherlich nur noch eine Frage der Zeit. Denn mit einer solchen Geschichte könnte man ja wohl auch Soylent Green an buddhistische Mönche verkaufen.

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20.02.2006 | 16:07 | Fakten und Figuren

Von Pilzen und Menschen


Schön, aber gefährlich: Fusspilz (hier zum Glück nicht mehr abgebildet)
82 Prozent aller Russen sind von Fusspilz befallen, gefolgt von Ungarn (46%), Tschechien (41%), Polen (32%) und Deutschland (22%). In Spanien sind es dagegen nur 5% (alle Zahlen Spiegel), woran man ohne Heranziehung weiterer Studien erkennen kann, dass Pilze sich erstens in kalten Ländern wohler fühlen und Fussfetischisten in Russland zweitens nichts zu lachen haben. Pilz und Mensch müssen sich dabei erst aneinander gewöhnen: bei Kindern unter fünf Jahren reagiert das Immunsystem meistens noch mit Empörung, um sich dann aber später doch noch mit dem Pilz zu arrangieren – klug von einem System, das sich sonst oft sehr kleinlich anstellt (Autoimmunreaktionen, Allergien, HIV).

Anders als andere Trittbrettfahrer der menschlichen Existenz hilft der Fusspilz aber weder beim Verdauen, noch apportiert er Stöckchen, weswegen man ihm hin und wieder zeigen muss, dass es so nicht geht. Der so entstehende Evolutionsdruck wird den Pilz im Laufe einiger Jahrmillionen schon irgendein nützliches Feature lehren, zum Beispiel könnte er nebenbei Laub harken.

Dass es hilft, den Fusspilz mit Krokodilfett einzupinseln oder sich täglich unter der Dusche auf die Füsse zu pinkeln, ist umstritten. Weniger rauchen hilft dagegen, denn jede Zigarette reduziert die Temperatur an den Zehenspitzen. Letztlich funktioniert eine effektive Fusspilzbekämpfung aber genauso wie die Schimmelpilzbekämpfung beim Abwasch: In die Spüle stellen und alle zwei bis vier Monate einen Spritzer Sagrotan ins Einweichwasser geben. Das ist die Sprache, die diese Banditen verstehen!

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20.02.2006 | 14:24 | Supertiere

Ausbildung am Käselappen


Heissen Blaue Trüffel, sind aber lila Kartoffeln (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Norwegische Fischer haben erkannt, dass bald der letzte mittelasiatische Stör ausgewrungen sein wird, und weil Ersatz für Kaviar hermuss, beginnen sie Seeigel im grossen Stil zu ernten, deren Inhalt, ein bisher nur von Chilenen und Japanern geliebter Glibber, für den grossen Reibach sorgen soll, den bisher windige Zwischenhändler zwischen kaspischem Meer und weiter westlich wohnenden Dekadenzlern einfuhren. Und auch auf dem Schlauchpilzsektor gibt es immer wieder Versuche, am hochpreisigen Marktsegment mitzunaschen, sei es mit Trüffeln aus Bottrop, sei es mit dem Terfezia Pfeilii Henning, dem Kalahari-Trüffel, beide allerdings bei weitem nicht so lukrativ wie die Brüder aus Italien und Frankreich.

Aber auch Eigenbau treibt nur mühsam Knospen, denn der Trüffel liebt alte Baumbestände, die sich so schnell nicht kultivieren lassen. Bleiben die Tiere, und hier vor allem Hunde und Schweine, die allerdings so unzuverlässig sind, dass man immer auf der Hut sein muss, dass sie die Knolle nicht alleine auffressen.

Hunde abrichten ist einfacher. Es beginnt, wenn der Hund zirka sechs Monate alt ist. Er wird dazu stimuliert Gegenstände zu apportieren und im Boden zu scharren, indem man etwas in der Erde versteckt, das einen signifikanten, scharfen Geruch hat, z.B. einen Lappen mit starkem Käsegeruch. Aber weil Hunde in letzter Zeit wichtigeres zu erschnüffeln haben, etwa Borkenkäfer und Krebs, bleiben nur noch die Fliegen. Die Trüffelfliege (Suillia pallida) orientiert sich am Geruch von Trüffeln und nutzt entsprechende Stellen zur Eiablage, dem muss man natürlich zuvorkommen, auch ist die Haltung eines Schwarms Fliegen nicht ganz unproblematisch. Also warum nicht ganz verzichten und stattdessen eine schöne, geräucherte Makrele essen?

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Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link


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