Riesenmaschine

21.04.2008 | 13:12 | Essen und Essenzielles | Vermutungen über die Welt

Single Cow


Das geht jetzt nie mehr weg: Sortenreiner Traubensaft (Hier war ursprünglich mal ein Bild, das von der Herstellerseite stammte; man kann es finden, wenn man nach first blush juice sucht.)
2005 prophezeiten wir die Welle der Sinnlosen Limonadenverfeinerung, die sich zwar bisher vor allem in Bionadeplagiaten geäussert hat, aber unzweifelhaft munter in den Startlöchern schäumt. Auf dem Saftsektor tauchen derweil sortenreine Traubensäfte auf, und es wird höchste Zeit für neue steile Trendvorhersagen, Thema Milch. Milch wird in den Molkereien aufs Gefühlloseste zusammengepanscht und auf einen bestimmten Fettgehalt eingestellt, dabei schmeckt, wie man von Fachleuten hört, jede Kuh anders. Wie lange kann es noch dauern bis zur Einzelkuhabfüllung? Spätestens 2012, behaupten wir mal vorsichtig, wird man morgens, mittags und abends beim Milchgebrauch "Glaub mir, den Unterschied zwischen Berta und Gerda schmeckt man!" zu den Doofies sagen dürfen, die noch glauben, es genüge, "Fleur du Sel" aufs Essen zu streuen, Terroirschokolade zu kaufen und sich mit Maulbeerseife zu waschen, die 25 Jahre in provençalischen Klostergewölben gelagert wurde. Später geht dann gar nichts mehr, und es bricht notgedrungen endlich die goldene Ära des Distinktionsgewinns durch totale Gleichgültigkeit an.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Single Cola, Single Cask


Kommentar #1 von Phill:

Zum Thema Milch fällt mir die Entwicklung von Reinigungs-Wohlfühl- Konsumprodukten der Gattung "Milch &" ein.
Nach der Kleopatra'schen Wiederauferstehung mit "Milch & Honig" und der (allerdings produktartfremden) Abwandlung zur (auch bereits wieder vom Markt verschwundenen) Kaugummivariante "Honey & Lemnon" folgt nun ein nicht näher definierter Hersteller von Pflegeprodukten in Blau-Weisser Freundlichkeit mit der Neuschöpfung der Handwaschlotion "Milch & Aprikose".

21.04.2008 | 21:41

Kommentar #2 von agalemnon:

Die goldene Ära kann man natürlich schon vorzeitig für sich anbrechen lassen, was aber auch völlig egal ist.
Schöner Schluss jedenfalls, ich stelle mir diesen paradoxen Wettstreit im Gleichgültigsein vor, wie er heute ansatzweise schon an ausgewählten Orten dieser Welt stattfindet (buddh. Mönchskloster, Berliner Szenekneipen).

21.04.2008 | 22:54

Kommentar #3 von christoph @ Lg:

Ich kann das das Hauptargument des Artikels nicht bestätigen, so habe ich doch zeit meiner Jugend ausschlieslich frische Milch vom nahe gelegenen Kloster zu Heidelberg-Ziegelhausen genossen...(ja ich bin in den 80ern aufgewachsen). Im direkten Vergleich mit meinen Freunden, denen dieser Genuss verwehrt blieb, schneide ich sowohl olfaktorisch, als auch geschmacklich und vor allem geistig nicht besser ab.
Gruss Christoph

22.04.2008 | 16:14

Kommentar #4 von Erik:

Unglaublich, da will der geneigte Leser das Wort "Terroirschokolade" nachschlagen weil er nicht weiss, was das für ein neuer Trend sein soll, und google bringt tatsächlich nur 2 Treffer. Die leider auch nur auf diesen Artikel verweisen. Schon komisch, ob sich da wer verschrieben hat?
Gruss Erik

22.04.2008 | 21:05

Kommentar #5 von Björn:

ja diese verrückten Suchmaschinen, vielleicht hilft es ja den unbekannten Wortteil zu suchen und mit den Kenntnissen aus dem Lidl-Regal (Ecuador, Madagascar, vonedlenhalbnacktenwildengepflückt) in Einklang zu bringen.

22.04.2008 | 22:18

Kommentar #6 von Klugscheisserin:

@Erik
Das ein sehr treffender Neologismus, der Schokolade beschreibt, die aus einer bestimmten Region kommt und bedeutet: "Wer die kauft, sagt auch Terroir, weil das edler klingt als Gegend". Es gibt sie seit ca. 6 Monaten in jedem Supermarktregal, so dass sie zum Distinktionsgewinn nicht mehr viel taugt. Aber glaub mir, man schmeckt den Unterschied wirklich!

22.04.2008 | 22:23

Kommentar #7 von Rob Vegas:

Und dabei ist dieser hippe Traubensaft anscheinend noch in einer Milchflasche abgefüllt. So sahen die doch vor der Jahrtausendwende aus!
Irgendwann kann man seinen Kinder stolz erzählen.
"Junge, es gab Zeiten da fuhr ich mit 180 Sachen über die Autobahn." Alle verrückt!

23.04.2008 | 23:27

Kommentar #8 von gnaddrig:

Distinktionsgewinn durch totale Gleichgültigkeit müsste auf die Spitze getrieben ungefähr so aussehen, dass der Distinktionsbedürftige in irgendeinen x-beliebiben Supermarkt geht, dort wahllos seinen Wagen vollpackt (idealerweise wäre die Beschriftung von Produkten lange abgeschafft, ist ja eh scheissegal, was drin ist) und zuhause dann ebenso wahllos ein paar Dosen/Schachteln/Becher/was-auch-immer-für-Verpackungen öffnet, den Inhalt in der Pfanne (oder sonstwodrin, egal) zusammenrührt und dann isst oder auch der Katze gibt.
Oder: Ernährung am besten intravenös, dann spart man sich das ganze Theater und hat mehr Zeit, sich dem Distinktionsgewinn zu widmen.

24.04.2008 | 12:06

Kommentar #9 von Bildwerker:

Fleur-de-Sel-Welches-wuerdet-Ihr-empfehlen.html (Chefkoch.de)
Noch immer kichert – ein einfacher Bildarbeiter

02.05.2008 | 14:29

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