Riesenmaschine

24.10.2005 | 10:56 | Alles wird schlechter | Vermutungen über die Welt

Blas schon mal den Baum auf


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Kulturpessimismus ist in den meisten Fällen eine verdammenswerte Sache. Bis zum Beweis oder der begründeten Vermutung der Schlechtigkeit hat Neues zunächst einen Glitzervorschuss und sollte begeistert bejubelt werden. Trotzdem gibt es auch Dinge, die zu Recht immer wieder beklagt und beweint werden, ja, beklagt und beweint werden müssen. Der vorliegende Fall dieser aufblasbaren Weihnachtsbäume könnte Anlass sein zu einer schlechten, dummen Beschwerde und einer guten, richtigen Beschwerde.

Sinnlos und kurzsichtig ist die sich jedes Jahr im Oktober wiederholende Klage, dass "schon im Herbst" weihnachtliches Konsumgut angeboten wird. In Zeiten von Hartz IV ist es wichtig, dass mehr als nur ein Monatsanfang zur Ausübung der Weihnachtseinkäufe zur Verfügung steht. Darüber hinaus ist das Weihnachstfest für viele Menschen eine solche Qual, dass eine langsame, schrittweise Einstimmung durchaus einen psychologischen Vorteil darstellt. Würde die Gesellschaft erst Mitte Dezember mit den christkindlichen Insignien konfrontiert, so würde von einem Tag auf den anderen ein weihnachtlicher Tand-Tsunami die ungeimpfte Psyche des Menschen niederwalzen. Die unausweichliche Folge wäre eine noch höhere Selbstmordrate als zu Weihnachten ohnehin schon.

Ganz anders verhält es sich mit der berechtigten Klage über die Geissel der Post-Ikea-Generation, Ironisch Wohnen. In den frühen 80er Jahren sozialisierten Menschen reicht oft die funktionale Baukastenindividualität des schwedischen Wohnwahnwarenhauses aus. Die Folgegeneration leistet gegen die Einheitsausstattung mit dem grossen Protestinstrument der 90er Jahre Widerstand: Ironie. Es wird von der ironischen Stehlampe bis zum iPod-Bikini alles gekauft, was laut "ich bin total anders und augenzwinkernd unterhaltsam" schreit. Diese in der totalen Verdiddlung endende Entwicklung muss als witziger Klingelton in Möbelform an allen Fronten bekämpft werden, daher ist an dieser Stelle auch Jammern über aufblasbare Weihnachtsbäume erlaubt und erwünscht. Wer trotzdem einen durchsichtigen Polyurethan-Weihnachtsbaum kaufen möchte, kann das in allen DOM-Filialen tun. Wir wollen keinesfalls Ihrem selbstgewählten Unglück im Wege stehen.


24.10.2005 | 03:11 | Supertiere | Vermutungen über die Welt

Grizzlies statt Pinguine


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In Mitteleuropa gibt es eine lange Tradition der Verniedlichung von Natur. Ihr voraus ging natürlich eine lange Tradition der Ausrottung gefährlicher Tiere und der Abholzung von Wäldern, aber das ist eine andere Geschichte. Die Folge jedenfalls: Mütter schieben ihre Kinderwägen durch vermeintliche Urwälder und erfreuen sich an puschligen Rehen und Hasen sowie am wohltönenden Gesang der Amseln. Wenn man mal wirkliche Abenteuer erleben will, geht man in sogenannte Naturschutzgebiete, in denen es so extreme Kreaturen wie das Wildschwein oder den Mäusebussard gibt. Nur in einem solchen Klima aus Verklärung und Anbetung ist es letztlich möglich, dass Eichendorff-Gedichte, Ökoparteien und Kampfhundgesetze entstehen.

Genau umgekehrt ist die Situation in Amerika: Weil man mit Abholzen und Ausrotten nicht vorankommt, beschränkt man sich darauf, ausgewählte Teile der Wildnis als Nationalparks benutzerfreundlich zu gestalten, also so mit Wegen und Bootsverleih, und den Rest lässt man einfach so weitervegetieren, mit ziemlich vielen unangenehmen Kreaturen, die ziemlich viele Zähne besitzen. Resultat: Man trifft dort extrem wenig Kinderwägen, dafür umso mehr Menschen, die nachts ihr Essen auf hohen Bäumen befestigen, damit der Bär nicht rankommt.

Soviel zur Theorie. Wie gross die Unterschiede sind, kann man daran erkennen, dass Werner Herzogs neuester Film Grizzly Man offenbar in Deutschland nur ausnahmsweise mal vorgeführt wird, in Amerika aber auf grosse Begeisterung stösst. "Grizzly Man" erzählt die Geschichte von Timothy Treadwell, der, um die Grizzlies zu "beschützen", 13 Jahre lang mit ihnen zusammen lebt, irgendwo da oben in Alaska. Ein komplett irrsinniger, fast schon europäischer Ansatz, auf den man nur kommen kann, wenn man adäquat gestört ist und Bären sowieso für die besseren Menschen hält. Treadwell wird letztlich aufgefressen, in phantastischer Kulisse mit Gletschern, wogenden Grasfeldern und spielenden Füchsen. Diese gründliche und realistische Darstellung der Mensch-Tier-Beziehung also interessiert in Europa niemanden. Stattdessen wird das zauberhafte Leben der Kaiserpinguine vorgeführt, samt Interview mit den gefiederten Hauptdarstellern. Muss das sein, Europa? Gibt es nicht schon genug Baumumarmer?

Abgesehen davon sind Bären natürlich wesentlich unterhaltsamer als Pinguine, schon weil sie ein schönes weiches Fell zum Streicheln haben.


23.10.2005 | 23:28 | Zeichen und Wunder

Neuer Trend: Sog. "Blogs"


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Ein bemerkenswertes Ereignis des Sonntags: Dieses Thema bei Focus TV. Wir hätten es sonst mal wieder nicht mitgekriegt.

Blog-Bildung! Eine neue Tagebuchkultur erobert das Internet
Der Name leitet sich vom guten alten Logbuch ab – und auch sonst geht es den Schreibern im Wesentlichen darum, aus ihrer Sicht bemerkenswerte Ereignisse des Tages festzuhalten. Doch weil sie das im Internet tun, sind die Ergüsse jedermann zugänglich, Hinweise auf andere Blogger tun ein ein Übriges – und prompt ist eine neue Kultur, die 'Blogosphäre' entstanden. Journalisten nutzen Weblogs als Quelle, Supermarktbetreiber als Ventil für ihren doch recht höhepunktfreien Alltag und mancher ergreift die Gelegenheit, einfach nur seine Radtour einem weltweiten Publikum als Film mitzuteilen. Focus TV über einen Trend im World Wide Web, dem hierzulande immerhin schon 200.000 – und weltweit gar 50 Millionen Menschen – verfallen sind.


23.10.2005 | 20:33 | Supertiere | Alles wird besser

Würg die Vogelgrippe ab


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In – natürlich – Taiwan hat man ein neues, sinn- und lehrreiches Spielzeug gebaut, das Choke-A-Chicken, ein Hühnchen, das, packt man es am Hals und würgt es, wild kreischt und mit den Flügeln zappelt. Australische Tierschützer finden das nicht lustig, denn, so meinen sie, das Spielgerät könne kleine Kinder dazu verführen, auch Hansi, dem Wellensittich, eben mal den Hals umzudrehen.

Wobei, auch solch ein Missverständnis kann eine lehrreiche Erfahrung sein. Das Choke-A-Chicken watschelt nämlich einher, spielt eine Melodie und führt dazu den Entchentanz auf. Erwürgt man es, ist es aber gar nicht kaputt, sondern, lässt man von ihm ab, watschelt und tanzt es unverdrossen weiter und lehrt so das Kind, dass Dinge mit Batterie anders ticken als solche, die bloss Körner fressen. – Gut zu wissen!

Viel wichtiger aber ist der volksgesundheitliche Effekt. Bei der Massentötung von Geflügel im Kampf gegen die Vogelgrippe kommen zur Zeit entweder die Behörden nicht nach, oder aber die betroffenen Bauern wehren sich. Was wäre also sinnvoller als ein Spielzeug, das schon die Kleinen zu Experten im Hühnerwürgen macht. Würde nur die WHO überall Würgehühnchen verteilen, Geflügel-Pandemien müssten sich bald schon sehr warm anziehen.

Martin Bartholmy | Dauerhafter Link | Kommentare (2)


23.10.2005 | 18:37 | Nachtleuchtendes | Sachen kaufen

Shoot to kill


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Endlich! Endlich ist käufliche Wirklichkeit, was wir alle uns seit Jahren herbeisehnen! Das US-Unternehmen Crimson Trace bietet Ziellaser für Faustfeuerwaffen. Leicht in die meisten gängigen Modelle einzubauen, verbessert der Ziellaser nachweislich die Trefferquote. Das nebenstehende Modell, die halbautomatische Pistole Sig Sauer P226, ist bereits zu einem Spottpreis von nur 329,00 US$ mit dem schönen, roten Ziellaser nachzurüsten. Der Hersteller verspricht, dass der Ziellaser im Überfallfall eines "Bad Guy" durch Abschreckung "die Resultate bewaffneter Konflikte dramatisch verbessert". Die Pistole selbst, ein Schweizer Qualitätsfabrikat Kaliber 9 mm, ist in diesem Online-Waffenshop für nur 865,11 US$ zu erwerben. Nebenbei bemerkt ist die SigSauer eine der zuverlässigsten Pistolen der Welt und die bevorzugte Wahl vieler Geheimdienste. Anders als zum Beispiel einzelne russische Makarov-Fabrikate, von denen die Anekdote erzählt wurde, man solle den Lauf beim Schuss auf sich selbst richten, weil die Pistole häufiger nach hinten als nach vorne losgehe. Apropos nach hinten: Bevor man das schöne Lasergadget erwirbt, sollte man sich genau über den späteren Verwendungszweck im Klaren sein. Denn nach einer Untersuchung des National Center for Injury Prevention and Control [pdf] gehörten 2002 (USA) nur 39% aller Erschossenen zu echten, absichtlichen Mordtaten. Die verbleibende übergrosse Mehrheit gehörte zu Selbstmorden (57%) und Unfällen (3%), und da wäre die Anschaffung so eines teuren Ziellasers natürlich rausgeschmissenes Geld. Ein Schuss in den Ofen, gewissermassen.


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