Riesenmaschine

14.12.2005 | 19:37 | Alles wird besser | Sachen kaufen | Zeichen und Wunder

Rolltasten


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Was haben wir uns geärgert, als die Redaktion der Riesenmaschine ihre neuen Büroräume bezog und feststellen musste, dass wir unseren Flügel nicht mitnehmen können, weil der Platz für ihn nicht vorhanden ist. Was also tun? Zuerst den alten Schimmel zu Feuerholz zerhacken natürlich, aber woher Ersatz nehmen? Denn der Bamberger Klavierbauer, der Anfang der achtziger Jahre den vertikalen Flügel erfunden hat, den gibt es nicht mehr, und einfach wieder zum quäkenden Casio zu greifen, das kam nicht in Frage, das konnte man sich rein imagemässig nicht leisten. In Frage kam dann Christopher Niemitzer, der 16 Jahre am Klagenfurter Konservatorium Klavier gelernt, aber immer bedauert hat, dass auf der Almhütte die Jungs mit der Gitarre die Abende schmissen und ihm nichts anderes übrig blieb, als dazu im Takt "blöd in die Hände zu patschen". Auf einer Elektronikmesse in Japan hat der Werbefachmann dann das Gummiklavier entdeckt. Rollo ist inzwischen zu seiner Hauptbeschäftigung geworden, weil er sich die Europavertriebsrechte sicherte. Es kostet nur schlappe 129 Euros, und Fachleute haben sich bereits wohlwollend über den astreinen Klang geäussert.
Damit nicht genug, Niemitzer hat fürs nächste Jahr bereits vor, eine andere zukunftsweisende Idee, ebenfalls aus Japan, im grossen Stil zu importieren, nämlich ein Spezialradiergummi, das keine Wischspuren mehr hinterlässt, denn handelsübliche achteckige Radierer werden bei Dauereinsatz schnell schwarz und fusseln wie ein alter Pullover.
Klimpern und Radieren, nichts anderes machen wir in der Riesenmaschine. Das ist doch hier die Situation.


14.12.2005 | 13:26 | Berlin | Alles wird besser | Papierrascheln

Romanes eunt domus


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Zum Glück kann man ja heutzutage selbst im Rentenalter ein nützliches Mitglied der Gesellschaft sein. So z.B. als pensionierter Lateinlehrer. "Ich habe Ihre Anzeige in der BZ gelesen, junge Dame", sagt man, "wenn Sie sich bitte über jenes Couchtischchen beugen und mir sagen würden, was Sie über die A-Deklination wissen?" – "Sklavia, Sklaviae, Sklaviae, Sklaviam, Sklavia", sagt die junge Dame folgsam, "Plural, äh ... Sklavias ..." Breiten wir das Mäntelchen des Anstands über das folgende Geschehen. Die junge Dame quengelt danach noch ein wenig, ihre Anzeige erscheine ja schliesslich nicht in der FAZ, woraufhin ihr bedeutet wird, korrekte Deklination gehöre sich in allen Lebenslagen, und nächste Woche möge die Anzeige bitte korrigiert erscheinen, "oder muss ich wiederkommen?" Und so hat wenigstens auf den Kontaktanbahnungssseiten der BZ alles seine Richtigkeit. Danke, unbekannter Studienrat!


14.12.2005 | 01:59 | Anderswo | Papierrascheln

Blogbuster


Illustration: estattin (Lizenz)
Eine Dokumentation über den Holocaust, deren Höhepunkt eine epische Schlachtszene im Stil von Braveheart ist, in der tausende von jüdischen und Nazikämpfern über ein offenes Feld aufeinander zurennen – fänden Sie das lustig? Nein? Hm. Finden Sie es vielleicht lustiger, wenn Sie aus The Australian, einer Zeitung aus dem Murdoch-Imperium, erfahren, dass Mel Gibson, Sohn eines Holocaustleugners und Jesusmörder, mit exakt diesem Vorschlag die Programmchefs von ABC überzeugt hat, seine Produktionsfirma mit dem Projekt zu beauftragen? Immer noch nicht lustig? Was, wenn wir ihnen auch noch erzählen, dass Murdochs Journalistendarsteller das ganze wörtlich aus dem Satire-Tratschblog Defamer abgeschrieben hat, das mit der erfundenen Szene die schamlosen und groteskesten Elemente des tatsächlichen Produktionsauftrags illustrieren wollte? Hilariös, ist es nicht?


13.12.2005 | 18:33 | Alles wird besser | Sachen kaufen | Papierrascheln

Empfehlerbehebung

Rechtzeitig zu Weihnachten macht uns die Firma Amazon ein sehr schönes Geschenk: Bisher waren die Buchempfehlungen auf der Basis vorangegangener Käufe seit ihrer Einführung 1999 auf unwürdigstem Niveau herumgekrebst: "Uns ist bekannt, dass Sie Terry Pratchett noch nie leiden konnten, aber vielleicht gefällt Ihnen ja sein neues Buch! Das gefällt sehr vielen Kunden! Genau wie der neue Harry Potter!" Jetzt hat man sie unter Zuhilfenahme von Ajax aufgebohrt und damit erstmals benutzbar, ja, bis auf die Navigation zwischen den einzelnen Empfehlungsseiten fast benutzerfreundlich gestaltet. Auch die Frage, wie Amazon darauf kommt, einem hartnäckig "Urin, ein ganz besonderer Saft" anzupreisen, wird endlich beantwortet: "Diesen Artikel haben wir empfohlen, weil Sie Das geht die Leser jetzt aber wirklich nichts an bewertet haben." Selbst wenn man etwa fälschlich den Kauf des Buchs "Audio-Röhrenverstärker von 0,3 bis 10 Watt erfolgreich selbst bauen" angelastet bekommt, kann man das Kuckucksei einfach löschen oder ihm zumindest verbieten, einen mit Folgeempfehlungen ("Neues aus Jogis Röhrenbude") zu behelligen. Ob es an diesen kosmetischen Operationen liegt oder ob man der Empfehlungsengine ein neues Innenleben spendiert hat, ist schwer zu sagen, aber die Ergebnisse sind jedenfalls deutlich besser als früher. Vielleicht müsste man doch endlich mal diesen Klassiker von Moleskine lesen.


13.12.2005 | 10:15 | Sachen anziehen | Vermutungen über die Welt

Boho-Style


Hier fehlt dieses Bild
Was ist eigentlich Boho-Style? Die deutschsprachige Ausgabe der Glamour verabsäumt es in kaum einer der vergangenen Ausgaben, auf diese diffuse neue Stilrichtung – den zugehörigen Bildern nach zu urteilen eine Mischung aus Neo-Romantic und Post-Hippie, bei der Ethnoschmuck und Lammfell eine nicht unwesentliche Rolle spielen – aufmerksam zu machen, ohne freilich zu erklären, worum es sich dabei genau handelt: Samt zu Samt getragen, wirkt festlich-hübsch. Zu robusten Stoffen wie Denim kombiniert, hebt er sich besonders hervor. Z.B. im Boho-Chic-Look mit Dreiviertel-Hose, eleganten Accessoires und süssen Ballerinas oder Pumps, lesen wir da etwa. Beziehungsweise: Designer wie Christian Dior, Ralph Lauren und Versace haben diese Saison das zartgriffige Lammfell in Mäntel, Jacken, Kleidern, Stiefeln und Accessoires verarbeitet. Die Wirkung der Kreationen könnte nicht vielfältiger sein: romantisch mit Boho-Flair, elegant im Ladylike-Stil ... usw.

Zunächst nahmen wir an, die Glamour-Redaktion hätte da etwas in den falschen Hals bekommen, und David Brooks' bourgeoise Bohemians, abgekürzt Bobos irgendwie zusammen und durcheinander gebracht mit den Hobos, der US-amerikanischen fahrenden Bänkelsänger-Subkultur aus Zeiten der grossen Depression, deren letztes lebendes Exemplar Tom Waits ist. Alles, was Wikipedia zu Boho weiss, ist, dass es sich dabei um eine sehr kleine Stadt in der Nähe von Enniskillen, Landkreis Fermanagh, in Nordirland handelt.
Tatsächlich ergeben weitere Recherchen, dass der Trend auch in den USA bekannt ist, und vermutlich von dort stammt.

Danach gilt Sienna Miller als Galionsfigur dieser Moderichtung, die in ihren Grundzügen als eklektische Mischung aus Gypsie-, Ethno- und Landfrauenlook dort bereits 2002 Gestalt annahm. Es sei nun an der Zeit, auch bei der Inneneinrichtung dem "inneren Gypsie" freien Lauf zu lassen, weiss die Online-Handtaschen-Ressource handbag.com. Über eine nicht minder eklektische Binnengeschichtsschreibung, die auf zeitlich nicht näher als "irgendwann früher" zu verortende Boho Days rekurriert, schafft sich der Trend im Reverse-Engeneering- beziehungsweise Backward-Masking -Verfahren seine eigene Basis, in die irgendwie die Hobo-Vergangenheit hineinspielt, wie auch eine zeitlich und räumlich nicht näher spezifizierte Boheme, wonach ein Bohemian jemand ist, der sich für "Kunst, Musik und/oder Literatur interessiert und schlampig anzieht" – was zumindest die Frage der Etymologie geklärt haben dürfte. Interessanterweise knüpfen die Amis damit an ein Missverständnis aus den Anfangstagen der Pariser Bohème an, das hinter der ursprünglichen Namensfindung steht. Weil man sich die illustre Gesellschaft aus Künstlern, Literaten und Säufern, die um das Jahr 1830 herum entstand, nicht anders erklären konnte, ging man kurzerhand davon aus, dass es sich um fahrendes Volk aus der Gegend um Böhmen handeln müsse.


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