Riesenmaschine

18.01.2006 | 04:37 | Anderswo | Alles wird besser | Fakten und Figuren

Fickende Steine

In keinem anderen Land der Welt – China und vielleicht Japan jetzt mal ausgenommen – steht das Bildhauerwesen in höherem Ansehen als in Vietnam. In jeder Stadt des Landes stösst man auf mindesten einen Skulpturenpark, wo sich ausgefallen behauene Steine, Bronze- und Stahlplastiken bestaunen lassen. Grössere Städte wie Hue oder Hanoi verfügen über gleich mehrere dieser Skulpturengehege. Selbst die Umgebung der Ruinen von My Son, der Hauptstadt des versunkenen Königreichs von Champa (2.-13. Jhdt), hat man mit einem modernen Skulpturenpark aufgepeppt, weil den Vietnamesen offenbar die versammelten Weltkulturerbe-Trümmer irgendwie zu kaputt sind.

Die Bildhauer widmen sich dabei vorzugsweise der Darstellung von sekundären und primären Geschlechtsteilen, mal solo, mal im Duo und mal auch mit einem Menschenpaar drum herum in inniger Verschmelzung. So wird der herrliche Geschlechtsverkehr an sich gefeiert. Zugleich gerät symbolisch Phallisches (Mann mit dicker Panzerfaust) aus der Phase des sozialistischen Realismus mehr und mehr in den Hintergrund. Das ist natürlich gar nicht mal so unsympathisch.

Problematisch ist nur, dass sich die Skulpturenparks in rasantem Tempo vermehren, seit 1998 mit dem ersten internationalen Skulpturensymposion in Hue Modellierfestivals in Vietnam Mode wurden. Damals wurde auch der Skulpturen-Output noch einmal gewaltig gesteigert, weil man jetzt auch eine Vielzahl Ausländer dazu einlud, vietnamesische Steine zu zerkloppen.

Das letzte Symposion ist gerade erst am 25. Dezember in Chau Doc zu Ende gegangen, einem kleinen Weiler im Mekong-Delta, der direkt an der kambodschanischen Grenze liegt. Die Behörden der Provinz Ang Giang hatten den Event mit 5 Milliarden vietnamesischen Dong gefördert, und dann noch einmal 10 Milliarden (650.000 US$) in einen fünf Hektar grossen Park am Fusse des Sam Bergs gesteckt, wo die Skulpturen jetzt vor sich hin verwesen.

Der Riesenmaschinen-Korrespondent konnte leider nur im Vorbeifahren einen Blick auf das von Schlamm umspülte Skulpturenfeld werfen, wobei ihm ein rätselhaftes, besonders riesiges Trumm ins Auge fiel. Die Nachrecherche ergab: Es handelt sich dabei nicht um die erwartete Riesenmuschi oder einen Mega-Schwanz, es ist eine Reisschale und heisst "Rice Bowl & Chopsticks". Die Schüssel wiegt 30 Tonnen und wurde von der Französin Laury Dizengremel getöpfert, und zwar schon beim ersten Symposion in Chau Doc, das von November bis Dezember 2003 stattfand.

Frau Dizengremel, nach eigenem Bekunden "a professional award-winning sculptor, a mom, a wife and sometimes a poet", will aber mit "Reisschüssel und Essstäbchen" nicht etwa der hier zum Jahreswechsel erhobenen Forderung nach einer neuen Körperlust Nachdruck verleihen. Sie hat das Ding zur höheren Ehre des grossen amerikanischen Menschheitserlösers L. Ron Hubbard geschaffen, dessen Sinnspruch "Works of art... are the soul food of all people" mit Quellenangabe "Artist & Philosopher L. Ron Hubbard" auf Vietnamesisch und Englisch in den Trummzement eingraviert ist.

An der Seite der Schüssel, die man aus ganz bestimmten Gründen nur über diesen Link betrachten kann, ist zudem ein Gesicht appliziert. Frau Dizengremel meint, es stelle einen "imaginary" vietnamesischen Mann dar: "Well-fed, jolly, buddha-like". Tatsächlich trägt es aber sehr unvietnamesische Züge. Uns erinnert es eher an das Antlitz eines gut genährten, vergnügten buddhaähnlichen, amerikanischen Menschheitserlösers, vulgo L. Ron Hubbard, dem Begründer der "Church of Scientology". Warum sie es so mit diesem Mann hat, erzählt uns Frau Drizengremel dann auf dieser, irgendwie mit der Scientology-Kirche verbandelten Seite: Erst nachdem sie einige Scientology-Kurse absolviert und von dieser Seite spirituelle Beratung erhalten habe, habe sie zur aktiven Bildhauerei gefunden. Mag sein, dass ihre Schüssel auch deshalb an der Seite einen so grossen Sprung hat. Auf jeden Fall hat da eine das Thema eines vietnamesischen Skulpturenwettbewerbs nicht so ganz verstanden.

Besser kapiert haben es die japanische Steineklopferin Masami Aihara und ihr niederländischer Kollege Kees Buckens, die sich auf dem letztjährigen Symposion in Chau Doc zum allerersten Mal fi trafen. Am letzten Tag des Events gaben sie bekannt, dass sie demnächst gemeinsam in den Stand der Ehe einzutreten gedächten.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Asien Spezial: Korea & Vietnam

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link


17.01.2006 | 18:44 | Sachen kaufen | Essen und Essenzielles

Orangensaft aus der Orange


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Viele Kinder wissen gar nicht, dass die Milch aus der Kuh kommt, hat mal jemand erzählt. Und wenn sie es dann erfahren, finden sie die Idee eklig. Hiesse Milch "Kuhsaft", wäre die Lage von Beginn an klarer, so wie bei Orangensaft. Dennoch kann man sich vorstellen, dass besonders dumme Kinder auch dabei noch denken, der Saft käme aus dem Tetra-Pack. Abhilfe schafft eine kleine aber kecke Erfindung aus England namens Juiceator. Das kleine Plastikteil wird einfach in die Orange reingesteckt und los gehts. Erscheint ziemlich praktisch und funktioniert bestimmt auch mit Grapefruit. Und mit Kühen.


17.01.2006 | 15:57 | Anderswo | Supertiere | Alles wird besser | Essen und Essenzielles

Poop goes the weasel


Hier war eine bildrechtetechnisch nicht ganz einwandfreie Abbildung des Wieselkaffees, also bitte selber googeln
Wer Vietnam wieder verlässt, muss natürlich irgendeinen Quatsch als Andenken kaufen. Wir empfehlen: Ca Phe Chon, zu Deutsch: Wieselkaffee, der beste Kaffee, den wir auf dieser Welt bisher tranken. Wieselkaffee schmeckt leicht nach Kakao, eventuell auch einem Hauch von Vanille, ist aber trotz seines Mokka-Aromas kein bisschen bitter und duftet sich auch unaufgebrüht durch jedes Behältnis. Man kann ihn also auch als Raumbedufter einsetzen.

Sein unvergleichlicher Geschmack rührt angeblich daher, dass Wiesel, die die Kaffeeplantagen in Vietnams zentralen Hochland durchstreifen, sich zwar gerne an den frischen Kaffeebohnen laben, aber nur die äussere Schale verdauen können. Die Reste scheiden sie wieder aus. Die Kaffeepflanzer sammeln nun die Wieselscheisse, trennen den Kot von den halbverdauten Bohnen, rösten sie, und fertig ist der Kaffee. In einer Alternativversion verlassen die Bohnen das Wiesel auf umgekehrtem Wege; hier sammeln die Plantagenarbeiter die Wieselkotze, sonst bleibt alles wie gehabt.

Im heutigen Vietnam gibt es allerdings gar nicht mehr so viele Wiesel, die so viel Bohnen mampfen könnten, wie Wieselkaffee verkauft wird. Sogar in den über 400 Filialen des einheimischen Starbucks-Imitators "Trung Nguyen" ist der angeblich rare Kaffee zu haben. Der Besitzer der Kette, der vietnamesische Kaffee-Baron Le Nguyen Vu, gibt denn auch gerne zu, dass seine Kaffeebohnen mit einem echten Wieselverdauungstrakt gar nicht mehr in Berührung kommen. Er lässt sie mit einem Enzym behandeln, das, wie er sagt, dem im Wieselmagen sehr ähnlich ist. Auf diese Weise wird wahrscheinlich mittlerweile auch der ganze Rest des Kaffees produziert, der mit dem Wiesel wirbt.

Wiesel-Kaffee – übrigens nicht zu verwechseln mit seinem feuilletonbekannten Verwandten Kopi Luwak aus Indonesien; ein Zibetkatzenprodukt – gibt's auch im Internet, die 57-Gramm-Packung für sechzehn fette, britische Pfund. Bei Firebox.com kann man zudem Wieselkaffee-Testimonials beim Kaffeetrinken zusehen. (Besonders weird: ein Kaffeezubereitungs-Clip von Alex Kennerley aus Chesterfield). Aber wer kann, der sollte ihn doch vor Ort erwerben, zum Beispiel in der Altstadt von Hanoi, an der Ecke Hang Buom/ Hang Ngang, wo ein Kilo (erkennbar am Wiesel!) nur 130.000 Dong (7 Euro) kostet. Wenn Sie direkt vor den vier Ständen stehen, wählen sie doch bitte den äusserst rechten aus, der netten Oma wegen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Asien Spezial: Korea & Vietnam

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (3)


17.01.2006 | 11:26 | Alles wird besser | Zeichen und Wunder

Der implizite Stalinismus


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Das Kinopublikum in Nordamerika reagiert zwiegespalten, wenn es um eine Einschätzung des neuen Eli-Roth-Filmes "Hostel" gebeten wird. "All it was about was Tits, Tits, Tits and more tits. Not even differant tits just the same tits. Oh and lets not forget more tits." – sagen die einen. "If you like splashes of blood and toes and fingers and teeth laying around, go see this movie." – sagen die anderen. Dabei ist es vollkommen falsch, diesen Film, an dem natürlich Tarantino rumpoliert hat, auf Brüste und Blut zu reduzieren, denn in Wahrheit, das ist wichtig, geht es um Brüste und Blut im Ostblock. Genaugenommen in der Slowakei, obwohl die vollkommen neuartige Idee des Films (Menschen einfangen und zu Tode quälen) aus dem verruchten thailändischen Internet stammt. Völlig sinnlos wäre es, einen Film über grausame Folter an Amerikanern zu drehen, der nicht an Orten spielt, an denen die Bahnsteige "Nástupiště" heissen und zerlumpte Horden von Kindern mit ausdruckslosen Gesichtern um Kaugummi betteln. An solchen Orten nämlich, vorzugsweise in verlassenen Industrieanlagen, bekommt man alles für sehr wenig Geld (sogar jede Pizza für drei Euro), was sich allerdings als hinterlistige Falle herausstellt, denn nicht Geld, sondern Blut ist es, was die Slowaken wollen. Das Erschreckende daran: Das Szenario erscheint absolut plausibel.

Und so ist es in einer seltsamen Verdrehung der Geschichte der Osten, der dem Westen sowohl in Ästhetik, Geschäftssinn und jetzt auch Brutalität überlegen ist. Man muss sich fragen, wann das eigentlich angefangen hat, dass wir jeden verfallenen Braunkohletagebau in einen In-Club verwandelten und uns kleideten wie Bratislava in den 70ern. Was hat es zu bedeuten, dass Wörter wie "Kachelofen", "Multicar" oder "Štrbské Pleso" heute wie Pforten zu einer neuen, besseren Welt klingen? Und wer hat nochmal den Kalten Krieg am Ende gewonnen? Die Amerikaner sollen sich mal nicht so sträuben, am Ende werden sie sich schon daran gewöhnen, dass New York das neue Moskau ist.

Aleks Scholz | Dauerhafter Link


16.01.2006 | 21:27 | Alles wird schlechter | In eigener Sache

Die saubere Riesenmaschine


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Da sich die um das Jahr 2000 herum geplante Sendezeitbegrenzung im Internet leider bisher nicht durchsetzen konnte, schreitet die Zensurabteilung der Riesenmaschine gewohnt kompromisslos und vorauseilend zur Tat: Die bei unseren Lesern vielfach auf Widerwillen gestossene unsittliche Werbung für "Porno-Sex-Theater", "Lieben – aber wie?", "Das nackte Weib" u.v.m. wird ab sofort nur noch zwischen 0 und 4 Uhr morgens MEZ geschaltet.

Wie die statistische Analyse des Leserverhaltens zeigen, halten sich in diesem Zeitfenster nur noch Autisten, Ausländer und andere Minderheiten in der Riesenmaschine auf, die die Vorzüge der Nacktheit anderer noch zu schätzen wissen. Alle, die sich hierbei zu kurz gekommen fühlen, dürfen sich auf unseren in Kürze verfügbaren nachmittäglichen Klingeltonwerbeblock freuen.


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