Riesenmaschine

30.03.2006 | 00:35 | Vermutungen über die Welt

Klammern


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Häufig stellt sich die Frage, wie wir eigentlich von der Seite aussehen, z.B. ob unsere Nase wieder mal ein Stückchen grösser geworden ist, oder ob nur wir kleiner geworden sind, und die Nase gleich gross geblieben ist. Wer nicht ununterbrochen den Allibert zur Hand hat, gehe regelmässig zum Drechsler und lasse sich eine falsche Holzvase, eine so genannte Pirolette fräsen; man kann dann im Laufe des Lebens sehr schön verfolgen, wie sich das Profil verändert. Und auch wenn die Kunst des Scherenschnitts ausgestorben ist, gibt es ja immer noch den Bürokollegen, der diese Tradition mit anderen, zeitgemässeren Mitteln fortsetzt und einem mit Büro- und Musterklammern rasch eine Silhouette biegt. Aber wie sehen wir eigentlich von hinten aus? So vielleicht?

In Whitwell/Tennessee machen die Schüler ebenfalls etwas Nützliches mit Büroklammern, dort werden sie für ein Holocaustdenkmal gesammelt. 6 Millionen sollten es sein, nun sind es bereits 28 Millionen, das reicht für vierdreiviertel Mahnmale. Braucht wer eins?

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link | Kommentare (1)


29.03.2006 | 18:26 | Berlin | Alles wird schlechter

Der Kapitalismus macht alles kaputt


Kapitalistischer Realismus in märkischem Sand (Ausriss Berliner Zeitung) (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die Umgestaltung von Berlins Mitte, einst stolzes und stilsicher eingerichtetes Wohnzimmer der DDR, schreitet mit grossen Schritten voran: Nachdem der Palast der Republik nun endgültig abgerissen wird zugunsten von garnichts, der liebenswürdige Kaufhof am Alex mit seiner Eierkartonfassade mittels massiver Sandsteinisierung jedem mittelstädtischen Einkaufscenter gleichgemacht wurde, enthüllte die verantwortliche Investorengruppe nun die Pläne für das in unmittelbarer Nähe entstehende Einkaufszentrum Alexa, die so unvorstellbar deprimierend sind, dass man nur noch weinen möchte. Natürlich handelt es sich beim Grundraster abermals um die vertikalen Albert-Speer-light-Portiken mit einheitlicher Traufhöhe in Sandstein. Davor geklatscht aber finden sich Deko-Elemente wie Rundbögen und Mosaike in sogenanntem "Art-Deco-Stil", die an die "Goldenen Zwanziger" erinnern sollen, "als Berlin zur europäischen Kulturmetropole aufstieg", dabei in Wahrheit aber eher an die typische Messing-und-Rauchglas-Wohnzimmereinrichtung von Möbel Hübner erinnern, die ihrerseits wohl als bastardisiertes Art Deco durchgehen kann.

Weil derart monströs-missratener Eklektizismus aber nicht einfach so für sich stehen kann, sondern einen Bezugspunkt ausserhalb braucht, ist davor ein ragendes, postmodernes Etwas in einer Art Memphis-Design eingeplant, das erkennbar keiner anderen Funktion dient, als die unmittelbar vis-à-vis befindliche Weltzeituhr zu verhöhnen. Das ganze findet ja nicht irgendwo draussen auf der grünen Wiese statt, sondern in unmittelbarer Nachbarschaft des vom Bauhausschüler Hermann Henselmann im fortschrittsoptimistischen international style der DDR-Nachkriegsmoderne gestalteten Ensembles aus Kongresshalle und Haus des Lehrers. Zum Glück wird Henselmann dieser Anblick erspart bleiben – er starb 1995.

Über die geplante Innenarchitektur wissen wir noch nicht viel, ausser dass dort – Erbarmen! – "Themen wie Musik, Tanz und Licht" aufgenommen werden sollen und der üblichen Einheitsmix an Läden dort einziehen wird. Damit sich der Kapitalismus endgültig auch in Berlin so anfühlt wie in Hannover und Bielefeld, und ja nichts mehr daran erinnert, dass es hier mal eine Alternative gab. Damit Deutschland endlich überall gleich aussieht, wie es Henry Morgenthau vorgeschlagen hatte – nur eben in kleinbürgerlich-kapitalistisch. Damit ein für allemal klar ist, dass es kein Entkommen gibt aus der ganzen Scheisse. Augen zu und durch.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Public Private Prostitution


29.03.2006 | 13:03 | Anderswo | Alles wird besser | Zeichen und Wunder

Im Zeitalter der Putzguerilla


Die richtige Verteilung des Nichts ist entscheidend (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
"Wie Sie sehen, sehen Sie nichts." Wer ist nicht damals von seinem schlechtrasierten Physiklehrer mit diesem unterirdischen Spruch gelangweilt worden? Diesmal ist es aber tatsächlich nichts, das wir hier sehen, und zwar umrandet von Schmutz. Zur Werbekampagne "Ballack +10" hatte die verantwortliche Agentur namens 180 am Radisson SAS Hotel in Hamburg zwei Riesenriesenplakate aufhängen lassen, mit den Motiven "Podolski +10" und "Schweinsteiger +10". Gross allein reicht nicht mehr heutzutage, es muss auch cool sein, und so dachte man sich Guerilla-Kommunikation aus. Offiziell spielt Guerilla-Kommunikation mit semiotischen Überraschungsmustern (vergl. Umberto Eco, "semiotische Guerilla-Kriegsführung"), inoffziell wird in Werbeagenturen alles so genannt, was nicht so recht messbar, aber trotzdem dem Kunden gut zu verkaufen ist, weil es "irgendwie rockt" oder schon mal auf MTV zu sehen war. Oft genug sind auch, sagen wir, teillegale Aktivitäten darunter, wie eine Flut von Aufklebern über die Stadt zu verteilen oder per Schablone Botschaften überall hinzusprühen.

Doof nur, dass die Kommunikation einer Marke einen Absender braucht, der kein 17jähriger anonymer Sprüher ist, sondern eine leicht zu findende Firma mit 17 Milliarden Euro Umsatz. Der man entsprechend 17 Milliarden Mal weniger verzeiht, Wände besprüht zu haben. Sehr, sehr, ich wiederhole nochmal: sehr smart ist da die Idee, seine Guerilla-Kommunikate nicht aufzusprühen, sondern sie aufzusäubern. Das Beispiel auf dem Foto oben ist nichts weiter als die an den richtigen Stellen gesäuberte, schmutzige Mauer rund um das Hotel Radisson SAS.

Das bedeutet nichts weniger, als dass ein neues Graffiti-Zeitalter hereinbricht. Putzgruppen werden in der Stadt umherziehen und ihre Schriftzüge mit Schablonen in die schmutzigen Fassaden putzen, Putzgruppe oder besser Putzguerilla wird man sie nennen, vielleicht, und die Polizei wird machtlos danebenstehen müssen, während die Jugend mit Chlorix und Meister Propper Antimoos ihren gefühlten Outlawtätigkeiten nachgeht! Es wird so toll!


29.03.2006 | 03:32 | Anderswo | Vermutungen über die Welt

Her mit dem Glück! Und zwar sofort!


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Schwer ist es in Zeiten, in denen es selbst Kinderpostillen (Bravo ist jetzt übrigens im erklärenden Untertitel "Das Teen People Magazin") gelingt, mit dem Papst als Popstar eine Auflagensteigerung zu erzielen, noch zu versuchen, eine neue heidnische Bekenntnisgemeinschaft ins Leben zu rufen. Und das auch noch in Österreich und nicht, wie man annehmen könnte, in Muspelheim oder Niflheim.

Anlässlich des Vorschlags des konservativen österreichischen Politikers und selbsternannten Verteidigers der "metaphysischen Menschenrechte Europas" Andreas Khol, Gott in die Verfassung aufzunehmen, ist nun aber genau das passiert: Der Heidnische Salon wurde gegründet, weil man schlechtes Leben mehr fürchtet als den Tod. Mit Entschiedenheit stellt die Gruppierung fest: "dass das, was uns heilig ist, keineswegs weniger heilig ist, nur weil wir es witzig finden. Gerade weil uns heilig ist, was niemand glaubt, sind wir weit entfernt von jedem schwachsinnigen Mystizismus." Gemeint wird wohl das Dogma sein, das die Teen-People-Kirche ausgibt.

In Island ist man bereits einen Schritt weiter. Als 1056 der christliche Glaube mehr oder weniger friedlich per Abstimmung eingeführt wurde, verzichtete man darauf, das Heidentum gänzlich zu verbieten. Seit 1972 existiert es sogar als staatlich anerkannte Religion und hat zwar erst 320 Mitglieder, das sind aber immerhin mehr als 0,1% aller Isländer, in Deutschland entspräche das ca. 85.000 Mitgliedern. Ausserdem kann das Heidentum jedes Jahr einen Zuwachs von 25% verzeichnen, während die Kirche an Mitgliederausdörrung leidet. Wenn das so weitergeht, kann der christliche Glaube dann pünktlich zum 1000-jährigen Jubiläum in 50 Jahren friedlich per Abstimmung wieder abgeschafft werden.

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link | Kommentare (5)


28.03.2006 | 20:23 | Nachtleuchtendes | Alles wird besser

Microwave the world


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Seit 1946 ist viel Zeit vergangen; wenn man es genauer betrachtet, ungefähr 60 Jahre. Daher verwundert es auch kaum, dass der geschmolzene Schokoriegel, den Dr. Percy Spencer eines Tages in seiner Tasche fand, und der zur Erfindung der Küchenmikrowelle führte, mittlerweile die Welt nachhaltig verändert hat. Beispielsweise spielen die physikbegeisterten Kinder heute mit Mikrowellen, und nicht mehr mit Wachskerzen und Flugabwehrraketen, wie noch im Zweiten Weltkrieg. Jede gute Hausfrau ist daher heute in der Lage, Glühbirnen in der Mikrowelle zum Leuchten zu bringen (falls mal der Strom ausfällt) und die Lichtgeschwindigkeit mit Hilfe von Schokolade und Mikrowelle zu bestimmen – jedenfalls die Lichtgeschwindigkeit in Schokolade, aber das ist ja auch die einzig für den Hausgebrauch relevante. Andere interessante Effekte, in denen es um Weintrauben, CDs oder Maden geht, sind sogar so populär, dass man sie gar nicht mehr hinschreiben muss.

Weniger bekannt und auch etwas komplizierter dagegen ist eine Versuchsanordnung, bei der man aus einem Glasgefäss, ein bisschen Aluminium, Bleistiftminen, einer Klebstofftube und natürlich einer Mikrowelle Kugelblitze kochen kann, Dinge also, die es eigentlich gar nicht geben darf. Andere sagen, es ginge auch mit Zahnstochern, Kerzen oder brennenden Zigaretten oder auch völlig anders (siehe Bild). Wohl kann man inzwischen davon ausgehen, dass jede mögliche Kombination aller Haushaltsgegenstände schon in handelsüblichen Mikrowellen gelandet ist. Eine lobenswerte Entwicklung, denn nicht nur erweitert sie den Erfahrungshorizont von gelangweilten Küchenbewohnern, sie revitalisiert auf eine Art auch die zu Zeiten von Röntgen, Bohr und Heisenberg allgegenwärtige Begeisterung für die Naturforschung, der hernach oft belächelten "zweiten Bildung" (Schwanitz). Letzlich wird die Mikrowelle nicht nur den Bildungsgrad der Bevölkerung erhöhen, sondern, in Gemeinschaftsarbeit mit Toaster, Wasserkocher, Kühltruhe, auch die Küche selbst ersetzen, dieses lästige, schmutzige, ausbeuterische Überbleibsel der industriellen Revolution.

Aleks Scholz | Dauerhafter Link


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