Riesenmaschine

27.03.2006 | 02:02 | Alles wird besser | Vermutungen über die Welt

Das war's, Schwerkraft


Die Schwerkraft bei einer ihrer letzten Amtshandlungen (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Was sind uns in den letzten hundertfünfzig Jahren für Zukünfte versprochen worden! Von Jules Verne wurde uns der Floh eines fliegenden Amphibienautos ins Ohr gesetzt. Praktisch die gesamten 60er Jahre hindurch wurden ausschliesslich Kinderbücher hergestellt, in denen man uns versprach, die grossen Ferien in den 90ern würden auf dem Mond oder wenigstens untermeerisch unter riesigen Kuppeln stattfinden. Und nicht zuletzt gaukelte man uns zur Eröffnung der olympischen Spiele 1984 in Los Angeles ebenso subtil wie perfide vor, dass bald schon ein jeder einfach so ein bisschen hin und her fliegen könnte. Und wo bleiben diese tollen Zukünfte allesamt, jetzt, wo man sie brauchen könnte, wenn als tollste technische Neuerung der CeBit ein Handy vorgestellt wird, auf dem man die gleichen 23 Fernsehprogramme empfangen kann, die man schon auf dem Riesenflatscreen von letztem Jahr nicht sehen wollte?

Die Antwort ist ebenso verblüffend wie hoffnungsfroh: Die Zukunft steht unmittelbar bevor! Bei der ESA ist es nämlich gelungen, ein bisschen Schwerkraft künstlich herzustellen, was bisher ähnlich unvorstellbar war wie etwas vollkommen Unvorstellbares. Zugegeben, es ist wirklich nur ein ganz ganz kleines bisschen von dieser geheimnisvollen Substanz, aber am Anfang gab das Internet schliesslich auch nur ein einziges grobgepixeltes Pornobild pro Nacht her, heute dagegen: stundenlange Filme! Wir befinden uns also kaum drei Schritte entfernt von Antigravitations-UFOs, die langersehnten Hoverboards sind praktisch fast schon serienreif; hurra, die Zukunft ist bald da und man muss sich schon echt zusammenreissen, damit man nicht euphorisch und pathetisch wird angesichts dieser unfassbar wunderbaren und alles verändernden Entdeckung!


26.03.2006 | 17:21 | Alles wird schlechter | Zeichen und Wunder

Geboten ist auch Zurückhaltung


Amos, bring's Stöckchen (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Es ist wahr, dass es zu viele Regeln gibt. Das sagen eigentlich alle, Ordnungsamt, Verkehrspolizisten, Schwarzarbeiter, man hört es überall; zu viele Regeln für alles, so dass man vor lauter "Radfahrer müssen auf dem Radweg fahren, wenn er denn als solcher gekennzeichnet ist, was er nur sein darf, wenn er 1,50 m breit und nicht auch noch von Fussgängern usw." schon mal vergessen kann, dass man eigentlich niemand umbringen soll. Das Resultat ist haltlose Verwirrung, Chaos, Anarchie, nicht nur in Bayern. Prinzipiell daher eine gute Idee des Kinderkanals, einer Art vom Steuerzahler betriebenen Fernsehsender, den Dschungel zu lichten: Ab heute wird in sonntäglichen Kurzfilmen den Kindern ein einfaches Regelwerk zur Verfügung gestellt, bestehend aus zehn schlichten Grundsätzen, die sich jeder merken kann. Schön und gut.

Leider kommt die Idee gar nicht vom diesen Fernsehleuten, sondern von der Evangelischen Kirche, die in Regelfragen unglücklicherweise etwas ungelenk ist. So entnahmen die Initiatoren der Filmaktion ihre Gesetze einem jahrtausendealten Buch, das gar nichts über die moderne Welt der Kinderprobleme weiss. So macht es zum Beispiel keinen rechten Sinn, Kindern beizubringen, sie sollten nicht das Vieh des Nachbarn begehren oder Vater und Mutter ehren, weil es Landwirtschaft und Eltern heute sowieso nicht mehr gibt. Anstatt also die Regeln einzudampfen auf die wirklich wichtigen Dinge (Ausserirdische gibt es nicht, Gardinen sind irrelevant, Du sollst den Feiertag und auch alle anderen Tage heiligen), die ohnehin schon jedes Kind kennt, fällt der EKD zur Wertediskussion nur ein, lieber gar nicht erst zu diskutieren. Nur der Serienhund Amos, der als Hobbies "Fressen, Spazierengehen, Ballspiele, Stöckchenbringen" angibt, klingt ganz vielversprechend.

Diese kindgerechte Weltverbesserungsaktion muss man in der Tradition der grossanlegten Missionierungsoffensiven der vergangenen Jahre sehen. Man erinnert sich schmerzhaft an die bundesweite Aktion Neu anfangen vor einigen Jahren, bei der Millionen Ungläubige einzeln per Telefon zur Vernunft bzw. zu Gott gerufen werden sollten, ein Penetranzvorstoss vergleichbar mit den Klingelstreichen der Zeugen Jehovas. Über den Erfolg/Misserfolg der Aktion ist nichts herauszufinden, aber warum man Ostdeutsche, die ja nicht aus Überzeugung, sondern aus Trägheit vom Glauben abfielen, zurück in die Kirchen locken möchte, kann man nicht mal verstehen, wenn man es verstehen will. Kinder werden natürlich erst recht nicht auf so einen simplen Trick hereinfallen, auch wenn es aus dem Fernsehen und nicht aus dem Telefon kommt, so viel Vertrauen muss man einfach haben. Schlaue Kinder nämlich wollen mit den reformierten Eierköpfen sowieso nichts zu tun haben und werden deshalb ganz von alleine saubere Erzkatholiken. Bei denen gibt es dann auch endlich wieder mehr Regeln.


26.03.2006 | 05:53 | Berlin | Alles wird besser | Sachen anziehen

Mit Planen planen

In der Schweiz gibt es ein lustiges Gesetz, nach dem vor dem Bau eines Hauses hohe Stäbe aufgestellt werden müssen, die die zukünftigen Aussenmasse des Hauses abbilden. Das Volk soll sehen, worauf es sich einlässt und gegebenenfalls protestieren. In Berlin Mitte gibt es ein ungeschriebenes Gesetz (Lex Stadtschlossi), nach dem jedes wiederaufzubauende oder zu restaurierende Gebäude zunächst durch eine bunt bedruckte Hausvortäuschungsplane vorgetäuscht werden muss. Anders als in der Schweiz soll das Volk dann nicht protestieren, sondern es gefälligst gut finden, wo man sich schon so eine Mühe gemacht hat, verdammt!


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Hier sehen wir die vorgetäuschte, ehemalige Schinkelsche Bauakademie am Werderschen Markt in Berlin. Die Ecke ganz links ist symbolisch schonmal ein bisschen aufgebaut, der Rest ist nur geplant und daher verplant. Besonders erwähnenswert ist nun, dass auf der Plane mit der aufgedruckten Fassade auch noch ein Riesenplakat aufgedruckt ist. Gut, Mercedes-Benz unterstützt den Wiederaufbau, aber ist es tatsächlich schon so weit, dass ein grosses Gebäude ohne Riesenplakat drauf aus der Ferne nicht echt scheint? Werden unsere Kinder erschrecken, wenn sie unverplante Fassaden sehen? Ist unsere Gesellschaft tatsächlich schon so verworben? Die Antwort lautet: Ja.

Genau gegenüber übrigens steht der Palast der Republik, vulgo Volkspalast, der in diesem Moment abgerissen wird. Hier hätte man vielleicht einfach den umgekehrten Weg gehen können und vor dem Abriss riesige Bilder von einer Brachlandschaft an der Fassade anmontieren können, damit sich das Volk schon mal vorstellen kann, wie die Gegend ohne den Palast aussieht und eventuell hätte protestieren können. Ach nee, es hat ja protestiert. Hat aber nichts genützt. Das mit der Plane hätte man trotzdem machen sollen, schade um die schöne Werbefläche.


25.03.2006 | 19:45 | Sachen kaufen | Essen und Essenzielles

Saftwechsel


Todesurteil für OJ (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Besorgniserregende Zahlen veröffentlicht die "Britische Gesellschaft für Soft Drinks", die es offenbar wirklich gibt: Im Zeitraum von 1999 bis 2004, also genaugenommen in cirka fünf Jahren, hat sich der Anteil von Orangensaft am Fruchtsaftmarkt von 77 auf 69% verringert, und zwar stetig und unaufhaltsam. Profitiert davon hat offenbar schaler Apfelsaft, aber auch sonstige Bioderivate. Kurz nach dem zweiten Weltkrieg begann er, der kometenhafte Aufstieg von "OJ", wie man ihn auch in Fachkreisen nennt, je mehr Kinder und Wohlstand die NATO-Staaten anhäufelten, umso mehr Orangensaft tranken sie, auf dem Weg zu einem orangenen Lebensentwurf voller Sonne, Vitamin C, Glück und Vergnügen. Dagegen vertraute man beim Warschauer Pakt die ganze Zeit auf Kartoffel- und Rübensaft, was Zahnausfall und schlechte Laune, letztlich das Ende des Kalten Krieges zur Folge hatte.

Jetzt aber, da es immer weniger Zentraleuropäer in Zentraleuropa gibt, die Nationen von einer Depression in die nächste fallen und die Ruinenstadt Berlin als Sinnbild des Neuen gilt, verliert OJ deutlich an Boden, oder vielleicht ist die Kausalität auch umgedreht. Jedenfalls verläuft der Abschied vom Orangensaft parallel zum Abschied vom Florida-Lifestyle, noch bevor man ihn eigentlich erreicht hat, die Früchte jahrzehntelanger Arbeit verkümmern in trüber Apfelbrühe. Aber Hoffnung ist in Sicht, denn mit zunehmender Kerntemperatur wird in Europa der Apfelanbau unmöglich, dafür die Orangenernte aufblühen, bevor allerdings nur wenige hundert Jahre später alles in Wüstenstaub versinkt. Alles im Leben läuft eben wellenförmig ab; Beharren und Festhalten ist wider die Natur. Das muss auch OJ einsehen. Florida, übrigens, wird in diesem Jahr bestimmt von drei bis vier Wirbelstürmen vernichtet werden.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Fruchtsaftkomplott


25.03.2006 | 11:43 | Anderswo | Supertiere

Biber, die Schweine


Mensch-Biber-Verhältnis: So nicht! (hier war ein Bild von einer Biberfellmütze zu sehen)
Biber haben, so schreibt uns die dpa, in einem Wald bei Schönewalde Tausende junge Eichenbäume gefällt, nachdem menschliche Handlanger im Vorfeld 400 Meter Forstzaun und 120 Pfähle aus dem Weg räumten. Die Polizei ermittelt, wenn auch nicht gegen die tatverdächtigen Biber, weil man korrekt erkannt hat, dass ihre Motivation derer vernachlässigter Kinder gleicht, die im Supermarkt klauen: Der Biber will nur mehr Aufmerksamkeit; wir werden uns also der Nagetierhuldigung künftig noch eingehender widmen müssen. Denkbar wäre allerdings auch, dass Biber angesichts von Eichenschonungen in einen ähnlichen Blutrausch geraten wie das Wiesel im Hühnerstall und nur noch "MUST – KILL – ALL – TREES!" denken können.

Dem angerichteten Gesamtschaden von 7.800 Euro (Forstzaun und Pfähle vermutlich inklusive) kann man nebenbei entnehmen, dass Eichen praktisch nichts kosten, aber auch, dass der entsprechende Wald schlampig gewartet wurde. Zwar ist der Biber ein schneller Fäller (ca. 10 cm Weichholzdurchmesser pro Viertelstunde) und die Eiche ein langsamer Wachser, aber trotzdem müssen der Biber und seine Frau einige Wochen ackern, bis sie die Sore abtransportiert und zum Hehler geschafft haben. Wo war in dieser Zeit das wachsame Auge des Försters? Ein Schild "Dieser Wald enthält nur Unterholz und wird täglich geleert" hätte das Unheil vielleicht verhüten geholfen, vielleicht aber auch nicht.


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