Riesenmaschine

12.07.2006 | 18:33 | Nachtleuchtendes | Zeichen und Wunder

I-Punkt Torpedos


Zurechtgebogene Wirklichkeit (Foto: kansas_city_royalty) (Lizenz)
Alle menschliche Tätigkeit ist ja in irgendeinem Sinn illusionär, oder jedenfalls nicht beweisbar real. Das kommt auf eins hinaus, sofern man als Sechzehnjähriger im hormonellen Neinsagemodus steckengeblieben ist. Aber selbst wenn man aus diesem Kontra-Alter raus ist und das volle Bock-Ramsch-Regelwerk der Welt akzeptiert hat, bewahren sich schöne Illusionen ihren Kitzel. Dass etwas nicht so sei, wie es uns erscheint, erinnert uns fundamental daran, dass alles ist, was es ist, indem es zu dem wird, was es nicht ist (oder umgekehrt), und sieht jedenfalls meistens ganz gut aus.

Die Illusion betrügt den hilflosen Wahrnehmungsapparat, der aber im Allgemeinen und abgesehen von epistemologischen Grundfragen, recht zuverlässig operiert. Sie ist deshalb stets von Randbedingungen abhängig. In besonderem Mass gilt das für perspektivische Täuschungen, (zum Beispiel U-Bahn-, Strassen- oder Wandmalerei, die Werke von Calum Colvin oder auch transparente Bildschirme), die oft nur von einem einzigen Standpunkt aus ihren Illusionscharakter entfalten, und aus anderen Blickwinkeln mehr oder weniger viel von ihrem Getriebe herzeigen. Steht man aber an diesem speziellen I-Punkt, oder schiebt stellvertretend eine Kamera da hin, dann kitzelt das den Wahrnehmungsapparat und eine kleine Explosion ereignet sich. Gesundheit.


12.07.2006 | 13:14 | Alles wird besser | Was fehlt

Für einen, der auszieht, das Fürchten zu zählen


Drowning by numbers. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Auf der Liste der häufigsten Phobien steht die Sozialphobie an zweiter Stelle. Äusserlich oft kaum von Schüchternheit oder flechtenbärtiger Einsiedlerei zu unterscheiden, tobt diese Grossfurcht im seelischen System der Betroffenen so scheusslich und nachdrücklich, dass oft der Leib, vom inneren Aufruhr mitgerissen, allerlei bedrohlichen Unfug und damit seinen Besitzer immer weiter in die Isolation treibt.

Für die so und ähnlich Geplagten hat sich Daniel Goddemeyer die Fear Buddies ausgedacht. In seinem Auftreten beinah ebenso scheu wie der Sozialphobiker, zählt das einer geschwollenen Babuschka gleichende Gerät diskret die Begegnungen mit anderen, gleichartigen Fear Buddies und deren ängstlichen Besitzer. So weiss der Furchtgequälte, wenn er abends, erschöpft von den Überwindungen des Alltags, ins menschenleere Refugium zurücktrudelt, wenigstens, wie viele andere Menschen mit der gleichen Furcht sich in seiner Umgebung befinden bzw. befunden haben.

Die erwünschte Folge scheint eine, wenn schon nicht hilfreiche, so doch zumindest Kurztrost andeutende Gewissheit zu sein, dass man zwar durchaus in das furchteinflössende Leben hineingeworfen und zum schreckenserfüllten Dasein verflucht ist – aber wenigstens nicht als Einziger. Und das alles ohne die pulstreibende Pflicht, mit diesen Leuten nun womöglich reden, auf hohe Türme steigen oder im Fahrstuhl fahren zu müssen. Beängstigend durchdacht.


12.07.2006 | 07:41 | Vermutungen über die Welt

Tote Kunst schmeckt nach Hühnchen


Vincent van Gogh: Mensch, Maschine oder Mensch-Maschine? (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Wissenschaft und Kunst, das ist ja in den Köpfen vieler Menschen eine ähnliche Paarung wie die von Feuer und -löscher oder von Göffel und Spork. Gerne wird da der Frosch zitiert, der nach dem Auseinanderschneiden zwar verstanden, aber maustot sei. Oft vergessen wird bei der Kritik, dass Froschteile ganz gut schmecken, und zwar nach Hühnchen.

Tatsächlich schlägt es oft funky Funken, wenn die Wissenschaft auf die Kunst haut. So knasterte es lautstark, als Schwimmbeckenmaler David Hockney mit Science-Sidekick Charles Falco vor fünf Jahren die gesamte Renaissance der Schummelei mittels optischer Gerätschaften bezichtigte. Das Gezeter der Wissenschaft um die Perspektivenproblematik schleppt sich bis heute fort, Hockney selbst hält sich unterdessen aus der Debatte raus und malt wieder. Leise kichernd, darf man vermuten.

Neueste Erkenntnis der Forschung: van Gogh malte Turbulenzen wie sonst keiner Turbulenzen malte, inklusive Kolmogorov-Skalierung, nämlich. Er war sozusagen ein Turbulenzenmaler der Weltklasse, und kein anderer Turbulenzenmaler konnte ihm Wasser reichen, jedenfalls nicht nach dem Umrühren. Ob das nun tatsächlich bedeutet, dass van Gogh einen Analogcomputer zum Berechnen komplizierter Differentialgleichungen aus seinem Ohr gebaut hatte, müsste man vielleicht mal Hockney fragen.


11.07.2006 | 18:56 | Anderswo | Alles wird besser | Zeichen und Wunder

Auf dem Weg zur Penisweltmacht

Wer als Mann beim Durchstreifen der Gelben Berge Chinas auf ein Piktogramm wie dieses stösst, der kann durchaus ins Grübeln kommen: Will man mich hier wirklich vor dem Verlust meines Penis warnen? Und wie soll der konkret vonstatten gehen? Gibt es vagina dentata auf den nächsten zehn Kilometern? Oder ist das bloss ein visueller Ausdruck von Penispanik? Die bricht ja bekanntlich von Zeit zu Zeit im Osten Asiens aus, wobei man sie auf Malaiisch Koro nennt und auf Chinesisch suo yang.

Ist dieser Mann noch besser informiert, wird er nach dem ersten Schreck alsbald ausschliessen, dass seinem Geschlechtsteil echte Gefahren drohen. Ja, befände er sich in Thailand, dann sähe das wohl anders aus. In diesem Land genügt ein falsches Wort, ein Seitensprung oder ein schiefes Lächeln, und schon kann man sein drittes Bein vergessen. So schnitt im November 2004 ein Thailänder zwei Teenagern die Penisse ab und warf sie in einen Kanal, bloss weil sie ihm ein bisschen Geld gestohlen hatten. Ein paar Jahre zuvor entfernte eine Thailänderin ihrem Mann im Schlaf sein Glied, befestigte es an einen Heliumballon und liess es von dannen schweben.

Dagegen gilt China als ziemlich Penis safe, ach was: In punkto Penissicherheit liegt China inzwischen weltweit an der Spitze. Am 20. September 2005 wurde in einem Militärkrankenhaus in Guangzhou die erste, erfolgreiche Penistransplantation durchgeführt; der Penis war danach wieder voll funktionsfähig. Das macht natürlich ein Piktogramm wie das da oben nicht weniger erratisch. Ruft es am Ende zu Penisspenden auf, ans Guangzhouer Hospital? Kann aber auch sein, dass es aus sehr, sehr spätpubertärem Unverstand und Zeilenschindergründen einfach nur falsch verstanden wurde.

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (8)


11.07.2006 | 15:21 | Anderswo | Supertiere | Vermutungen über die Welt

Characterdiskurs


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Individuum oder Kollektiv? Nachdem die Ameisen und die Menschen diese Frage in den letzten Jahren für sich einigermassen beantwortet haben, sind jetzt die Character an der Reihe. Zwei Ausstellungen illustrieren den aktuellen Stand des Diskurses: Zum Einen hat Antony Gormley bei der Biennale in Sydney mit Asian Field den grössten Massenaufmarsch in der Geschichte des Character Design inszeniert – 180.000 faustgrosse und einander recht ähnelnde Wesen füllen ein riesiges Pier und rufen stumm "Friss Staub, Terrakottaarmee". Zum anderen wird in der Galerie Platform 21 in Amsterdam ab übermorgen die Ausstellung Me and My Character eröffnet. Sie zeigt einzigartige Beziehungen zwischen Charactern und ihren Besitzern in Wort, Bild und Film. Eine rührende Angelegenheit, und zusammen mit Gormleys Arbeit ein leiser Vorgeschmack auf die zu erwartenden Debatten auf der im Oktober in Berlin stattfindenden zweiten Pictoplasma Conference.

(via BoingBoing und we make money not art)


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