Riesenmaschine

17.09.2006 | 13:28 | Anderswo | Zeichen und Wunder

Chemnitzer Elegie


Chemnitz, Linie 56 (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Allenthalben vergeht die Industrie zugunsten des Dienstleistungsgewerbes und gänzlich rätselhafter Berufszweige wie der Bloggerei. Wo sind sie hin, die grossen Gebäude mit den vielen Rohren dran, die es noch vor gar nicht langer Zeit überall gab? Manche verfügten, so hört man, sogar über rauchende Schlote, und wenn an einem Gebäude "Backfabrik" oder "Schlachthof" dranstand, so war Industrie darinnen und kein Club. Wo ist nun das eiserne Ross? Wo sein Reiter? Wo ist die Hand an der Esse, wo das lodernde Feuer? Wer wird den Rauch der verbrannten Braunkohle sammeln gehen? Dahin ist der Lärm der Bürger, die uralten Werke der Riesen stehen leer. Wie die Zeit vergangen ist, ins Dunkel der Nacht, als sei sie nie gewesen.


16.09.2006 | 23:40 | Berlin | Vermutungen über die Welt

Wahl on wheel


Teuer, aber teuer. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Morgen ist Wahl in Berlin und dafür gibt es traditionell Plakatwerbung, auch, wenn die nur eingeschränkt wirkungsvoll zu sein scheint. Viel besser ist TV-Werbung, also bewegte Bilder, und offenbar haben findige CDU-Strategen gedacht, "bewegte Bilder, dafür brauchen wir kein Fernsehen". Dann haben sie einen grossen Haufen LKWs mit Plakaten dran gemietet, die mehrere Wochen in Berlin herumgefahren sind, und zwar überraschenderweise stets zu zweit.

Doch hat sich das überhaupt gelohnt? Laut offizieller Preisliste des Vermieters mit dem Namen Poster on Wheel kostet ein Plakat-LKW samt Fahrer am Tag knapp unter 1.000 Euro und fährt acht Stunden. Wenn wir von sehr optimistischen (man kann ja nicht dauernd mit allen Autos den Kurfürstendamm rauf und runter fahren) 20 Sichtkontakten die Minute ausgehen, ergibt das in acht Stunden 9.600 baud Kontakte. Wir möchten eine Preisreduktion auf 750 Euro je Tag annehmen, mit zwei hintereinanderfahrenden Autos macht das 1.500 Euro am Tag, was wiederum einen Tausendkontaktpreis von 156,25 Euro ergibt.

Zum Vergleich: Eine Seite im Spiegel kostet rund 50.000 Euro und ergibt einen Tausendkontaktpreis von 8,50 Euro; bei einem RTL-Spot liegt er bei etwa 7 Euro, bei Bannerschaltung im Internet sind es bis zu 30 Euro, allerdings bei garantierter Klickrate von 0,1%. Das alles sagt natürlich nichts Verbindliches über die Wirkung der fahrenden Poster, aber mutmasslich einiges über die Wirtschaftskompetenz der CDU.


16.09.2006 | 16:38 | Anderswo | Sachen kaufen

Mit Kropf-Band und Promin-Ente


Lebkuchenherz zum Selbstbeschriften (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Am Anfang war das Lebkuchenherz. Später kam der Schaumgummihammer schwer in Mode. In den 80er Jahren wurden blinkende Teufelshörnchen der Renner, gefolgt von der Plastikkeule, dem spitzen Tirolerfilzhut mit Kordel, dem weiss-blauen Bierkrugfilzhut mit Woll-Schaum und dem Lederhosenträger-T-Shirt. Die Geschichte des Oktoberfestes ist nicht nur eine Geschichte der Massen-Besinnungslosigkeit, der Bierpreiserhöhung oder der Looping-Vervielfachung bei Achterbahnen. Es ist vor allem eine Geschichte des Wiesn-Gadgets.

Wenn an diesem Samstag ums Mittagsläuten herum der Münchner Oberbürgermeister Ude wieder einmal mit einem "Ozapft is" das grösste Volksfest der Welt eröffnet, dann beginnt auch der Wettbewerb um das erfolgreichste Wiesn-Mitbringsel 2006. Zur Wahl stehen dieses Jahr alte Bekannte wie die Retro-Krüge im Stil der 60er oder das Kropf-Band aus der Epoche des Jodmangels. Etwas moderner kommt da schon das PC-Spiel Wiesn-Gaudi daher. Mit dem kann man auch zu Hause bei "oans, zwoa, g'suffa" die Gäste im Zelt mit Bier versorgen. Es ist allerdings schade, dass es kein Feature gibt, mit dem man dort – wie im Real-World-Bierzelt – den Bayrischen Defiliermarsch dirigieren kann.

Favoriten für 2006 sind ohnehin die Spatzl-Tasche und für Kinder die Promin-Ente. Aber wer weiss das schon so genau. Am Ende verkauft sich der Bierflaschen-Zinndeckel doch noch wie warme Semmeln oder das zünftige Oktoberfest-Armband aus Silikon schlägt dem Fass den Boden aus.

Jörg Meyerhoff | Dauerhafter Link


16.09.2006 | 03:16 | Nachtleuchtendes | Vermutungen über die Welt

SCHIEBER RUFT

Nur noch dreissig Sekunden! Immer wenn es Nacht wird in Deutschland, verwandeln sich Moderatoren in Anbrüller, Zuschauer in Anrufer und Sender in Abzocker. Bald schlägt der Buzzer wieder zu! Dann gilt es, einfache Rätsel zu knacken. Welches Wort suchen wir? Mal wird der ahnungslose Zapper von pausenlos maulenden Menschen um ein Wort angehauen, das sich in der Buchstabenkombination von BIENSTOCK verbirgt. Ich lese immer nur Bienstock, ehrlich! Mal geht es um den tieferen Sinn hinter der berühmten GESPINSTURNE. Kleiner Tipp von mir: Es hat was mit Beziehung zu tun! Gelegentlich werden die Zuschauer auch angeblafft, sich mit einer extrem verstellten DACKELSTIRN 1000 Euro zu verdienen. Für das Geld muss eine Oma lange häkeln, sag ich jetzt mal! Mit anderen Worten: Hier ist das Internet mit seinen Anagrammgeneratoren gefragt. Und dazu gibt es noch den Superjackpot! Für nur 49 Cent pro Anruf landet man in der Warteschleife. Zehn! Wird mit etwas Glück von einer Telefonistin gefragt, welches die richtige Lösung ist. Noch fünf Sekunden! Aber es ist besser, nicht eindeutig zu antworten. Vier! Schliesslich dauern diese Anruf-Schlachten mindestens eineinhalb Stunden. Drei! Die wollen gefüllt sein. Zwei! Der Sender möchte schliesslich auch Geld mit den Gebühren verdienen. Eins! Eine richtige Lösung wäre das Falscheste, was passieren kann. Und? Das sollte man bedenken. Wen habe ich jetzt in der Leitung? Bevor man selbst zum Telefon greift, um diesen TV-Irrsinn mit zu finanzieren. Nein, Bienstock ist nicht die richtige Lösung! Wie die lautet? In dreissig Sekunden will ich die Auflösung in den Kommentaren lesen.

Jörg Meyerhoff | Dauerhafter Link | Kommentare (8)


15.09.2006 | 21:37 | Nachtleuchtendes

Mach den Gemüsetest


Stillhaltekönige Vegenauten.
Foto von ranjit aus der Produce Scan Serie. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die organische Welt zerfällt bekanntlich seit Linnaeus sauber in Carnimobile, Vegenauten und Omnipotentaten, wobei der Mensch als Alleskönner zwar, wie der Name schon sagt, alles kann, vom Wurzeln schlagen übers Erjagen essbarer Flugtiere bis hin zum Verschimmeln, aber in der Regel schlechter in den Einzeldisziplinen abschneidet, als der je dafür von der Natur eingestellte Experte. Zuckerrüben zum Beispiel sind süsser als Paris Hilton, Spinat eignet sich besser zur Ernährung von Seeleuten als andere Seeleute, verschimmeltes Brot sieht um Längen besser aus als Andre Pilz, und praktisch jedes Gemüse hält besser still beim Scannen als selbst der gelähmteste Komapatientenkomparse.

Das muss aber neuerdings kein Grund für schlechte Laune mehr sein, denn immerhin diese schlechte Laune selbst produziert der Mensch immer noch besser als die Gurkenartigen. Ebenso auch gute Laune, Niesreiz, und noch eine ganze Reihe weiterer psychischer Innenausstattungen. Um das zu beweisen haben Forscher jetzt mit einem Hirnmagneten Patienten durchgezwiebelt, die andernfalls als Gemüse diagnostizierbar waren, und fanden Hirnreaktionen, die ununterscheidbar waren von denen gesunder Menschen, aber sehr anders aussahen als die von zum Beispiel Blumenkohl aussähen, wenn Blumenkohl ein Gehirn hätte und nicht nur einem gliche.

Das heisst zwar letztlich nur, dass der Mensch selbst im tiefsten Koma noch deutlich schlechter als Gemüsedarsteller abschneidet als befürchtet, aber das Praktische an uns Omnipotentaten ist ja, dass wir noch so viel anderes können. Schimmeln, zum Beispiel.


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