Riesenmaschine

10.04.2007 | 02:33 | Berlin | Fakten und Figuren

Am selben Ort, etwas später


Mit begeisterten Ausrufen die erfolgreiche Eröffnung des Volksratgebers "Berlin zeitverschoben" begrüssen (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Lenin mag in seinem Leben nicht alles richtig gemacht haben, aber zumindest hat er erkannt, dass es nicht genügt, auf Weltverbesserung zu warten. Manchmal muss man die Dinge selbst in die Hand nehmen. Zwar kann man mittlerweile in sehr vielen Ländern rund um die Uhr alles Mögliche erledigen und muss in Dänemark überhaupt nicht mehr früh aufstehen, aber in Deutschland herrscht trotz so einer Art Freigabe der Ladenschlusszeiten immer noch bittere Not. Wer die ganze Nacht an der Revolution arbeitet, dem bleibt oft nichts anderes übrig, als sich von Döner und schuhsohlenartigem Börek zu ernähren.

Da die freundliche Firma Google seit einigen Tagen das Anlegen eigener Google Maps ermöglicht, gibt es unter Berlin zeitverschoben jetzt den Anfang einer Karte der vorbildlichen Betriebe Berlins: Frühstück nach vier, Einkaufen nach zehn, Essen nach Mitternacht, Bier nach vier. Ergänzungen werden in den Kommentaren dankbar entgegengenommen; vertrauenswürdigen Bürgern, die zu dem Thema mehr zu sagen haben, händigen wir auf Wunsch auch die Kartenzugangsdaten aus. Wenn das alles immer noch nicht hilft, die desolaten Zustände zu verändern, dann muss eben doch das Volk auf die Barrikaden gehen, so am späten Nachmittag vielleicht.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Reise ans Ende der Nacht


09.04.2007 | 12:01 | Anderswo | Supertiere

Elefanten für Glencoe


Glencoe
(Foto: mike138, Lizenz)

Irgendwo anders
(Foto: munir, Lizenz)
Der Duke of Argyll ist einer der mächtigsten Menschen in Schottland. Schon immer gewesen, wird immer so sein. Nicht nur war er der Häuptling des Campbell-Clans, als es den noch gab, sondern er führt ausserdem noch ungefähr 84 andere Bezeichnungen (leicht untertrieben). Er sollte sie verkaufen, die Titel wie Viscount Lochow and Glenyla, MacCailean Mòr und Son of Colin the Great, er könnte total reich sein. Moment, ist er wahrscheinlich, schon immer gewesen, wird immer sein. Die Leute von Argyll, vereinnahmt und geadelt vom englischen Königshaus, spielten führende Rollen bei zahllosen Kriegen, wurden exekutiert und, dem jakobitischen Wahn verfallen, von Lord Dalrymple gegen ihre alten Todfeinde, die MacDonalds von Glencoe, aufgehetzt, dort wo heute die Touristen ihre Beinchen am Ben Nevis zugrunde richten. Kaum jemand in Schottland hatte jemals soviel zu melden wie der Duke von Argyll.

War immer so, wird immer so sein. Der aktuelle Duke of Argyll ist gleichzeitig der jüngste: Torquhil Ian Campbell MacCailein Mor XIII Duke of Argyll. Weil Revolutionen, Massaker und Exekutionen in Argyll heute gesetzlich von den englischen Besetzern verboten sind, lässt er seinen Herrschaftsdrang an Elefanten aus. Elefanten-Polo funktioniert genauso wie Pferde-Polo, nur mit grösseren Tieren, deren Steuerung verkompliziert wird durch die Tatsache, dass sie weder englische noch gälische Befehle verstehen und, anstatt ihren royalen Pflichten nachzukommen, offenbar gern im Bambus streunen gehen. Der 13. Duke of Argyll führte sein schottisches Elefanten-Polo-Team zu drei Weltmeisterschaften innerhalb von fünf Jahren. Bis die Dynastie 2006 zusammenbrach, als der Duke das Turnier aus unbekannten Gründen versäumte. Stattdessen wurde im Dezember 2006 der schottische Angus-Clan Weltmeister im Elefanten-Polo – späte Rache für die MacDonalds, die Campbells geschlagen mit fremdartigem Getier.


08.04.2007 | 22:31 | Alles wird besser | Was fehlt | Vermutungen über die Welt

Pollock auf Pilzen


So könnte auch Ihre Suche aussehen! (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Irgendeiner der vielen Usability-Päpste, die lustigerweise allesamt selbst unfassbar hässliche Webseiten haben, sagte Ende der 1990er Jahre: "Die meiste Zeit ist der User nicht auf Deiner Seite". So weit, so verquast, was er meinte ist, dass Seh- und Nutzungsgewohnheiten bereits durch andere geprägt worden seien, da beisse die Maus keinen Faden ab und nun stehe man da und müsse sich halt dem Mainstream anpassen, wenigstens in den Grundzügen, basta. Anfang des Jahrtausends wurde man mutiger im Netz, verwechselte Mut mit Flash, die Agenturen der Welt entdeckten das Wort "explorativ", was ein Euphemismus ist für: die Navigation versteht niemand bzw. erst nach einer halben Stunde.

Inzwischen gerinnt die an sich famose Usability in den falschen Köpfen allzuoft zu starrer Gleichmacherei, das gesamte Netz ist praktisch ein riesiges Amt randvoll mit Unüberraschendem, Erwartbarem, weil so viele nicht begreifen, dass andersartig und unverständlich keine Synonyme sein müssen; deshalb sieht im Internet 2007 immer eine Suche aus wie eine Suche wie eine Suche wie eine Seuche. Mit wie lautem Gesang muss man deshalb die psychedelische Farbsuche – ein niedlich behindertes Kind von Pollock auf Pilzen – des Marktplatzes für Selbstgemachtes, Etsy.com, loben? Man weiss es nicht, aber vielleicht programmiert jemand mal eine Suche für ungewöhnliche Suchen.


08.04.2007 | 10:59 | Alles wird besser | Essen und Essenzielles

Speichermedien zu Bierbrauereien


So schön kann Bierbrauen sein; Bild: Fluxxion
Es gibt in der modernen Warenwelt kaum Traurigeres als Technologien und Standards, die mit grossem Aufwand entwickelt werden, sich auf dem Markt nicht durchsetzen können und dann von herzlosen Managern ohne Standing vom Markt genommen werden. Die entsprechenden Entwicklungsabteilungen werden aufgelöst, Produktion und Support eingestellt und die übrig gebliebenen Patente werden in die Sklaverei verkauft – und dann haben sie noch Glück gehabt. Allenfalls wird ihnen in Nerdforen ein virtueller Friedhof gebaut. Das vielleicht aktuellste Beispiel dieser oft verdrängten Schattenseite des Kapitalismus ist PPD, ein Ableger der BD, einem Medium, das sich gegenwärtig noch mit HD-DVD und HD-VMD einen brutalen Kampf um Leben und Verschwinden liefert. Verdrängt wurde PPD übrigens von UDO, was die Vermutung nahe legt, dass weniger technologische Überlegenheit als viel mehr eine eingängige Namensgebung über das Schicksal eines digitalen Standards entscheiden könnte.

Rechtzeitig zu Ostern erreicht uns nun die Nachricht der Auferstehung von DCC (*1992, +1996), einem digitalen Speichermedium, das von Philips einst als Nachfolger der Musikkassette entwickelt wurde. Peter Sygall, der Vater von DCC, verliess Philips nach dem Tod von DCC und gründete Fluxxion. DCC wird jetzt zum Bierbrauen eingesetzt – Siliziumplatten mit Milliarden von kleinen Löchern filtern dabei die Überreste der Hefe und sogar Bakterien aus dem Bier. Dabei wird DCC nun in den nächsten Jahren das bedauernswerte Kieselgur verdrängen, ein Material, das einst schon bei der Dynamitherstellung von Kollodiumwolle verdrängt wurde. DCC ist nämlich viel leichter und benutzerfreundlicher als Infusorienerde und ausserdem schimmert es in den schönsten Farben, was vom hellgrauen Kieselgur sicher nicht behauptet werden kann.

Unsere Gedanken gelten dem Kieselgur, trotzdem: eine letzlich begrüssenswerte Entwicklung im Kampf gegen die Verschwendung menschlichen Erfindergeistes. Wir warten auf den Einsatz von Zip-Discs bei der Kelterung von Wein, von 5,25"-Disketten in Bäckerstuben oder von Lochkarten als Teefilter.


07.04.2007 | 20:08 | Nachtleuchtendes | Fakten und Figuren

Friendly Fire


(Foto: Robert Long)
Eigentlich gibt es nicht viel Neues zu berichten von den potentiell gefährlichen Asteroiden (PHAs), nach der Klimakatastrophe und den Rollkoffern die drittwichtigste Bedrohung der Menschheit. Es gibt sie immer noch da draussen, viele tausend Felsbrocken, blind der Schwerkraft vertrauend unterwegs im Sonnensystem, einige von ihnen jetzt schon auf Crash-Kurs mit der Erde. In wenigen wenigen Jahren werden wir immerhin die Grössten von ihnen, die potentiell zivilisationsbeendenden, einigermassen im Blick haben, dank ehrgeiziger Projekte wie Pan-Starrs. Aber was ist mit den kleinen, die nur noch, sagen wir, die Schweizer ausrotten würden? Und selbst wenn wir den steinigen Katastrophenbruder entdecken sollten, wie werden wir ihn los? Absurde Scherztheorien werden ihn kaum beeindrucken. Immerhin wird es, wie aktuelle Berechnungen zeigen, am ehesten den Korrespondenten in China erwischen, dann die in Amerika, dann den in Grossbritannien, und erst am Schluss den Kern der Riesenmaschine. Bis es soweit ist, sehen wir in aller Ruhe dabei zu, wie eines von diesen Steindingern extrem knapp (3.4 Mio. km) an uns vorbeischrammt und stattdessen scheinbar Kurs auf eine Galaxie nimmt. Felsen sind Schweine.


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