Riesenmaschine

06.05.2007 | 14:25 | Zeichen und Wunder

Herrgott (gebraucht)


Quaeram te, domine, ich will dich suchen, o Herr: Kleinanzeigen in Deggendorf. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Schlimmer als alle Atheisten und Häretiker sind für den Christenmenschen jene Glaubensgenossen, die sich für frömmer halten und anderen Leuten ihre Frömmigkeit madig machen wollen. Ikonoklasten beispielsweise sind Vertreter dieser lästigen Spezies: Bloss keine Bilder von Gott, denn das ist unfromm, das ist verweichlichter Monotheismus und Idolatrie! Das Konzil von Trient formulierte dagegen in dieser Streitfrage abschliessend, dass Gott schliesslich in Jesus Christus Mensch und somit als Person anschau- und abbildbar geworden sei – ergo: man male, bastle, schnitze und schraube sich seinen Herrgott und alles ist gut, sofern die Ikonizität nicht völlig danebengreift. Darum sind auf dem bayerischen Land sämtliche Wege und Strassen mit religiösem Anschauungsmaterial gesäumt, sogenannten Marterln. Doch das reicht nicht. In die Welt hinabzusteigen und sich in irdische Zustände zu begeben, heisst nicht nur, dass man nicht durchweg unsichtbar sein soll. Man ist auch automatisch eingewoben in das Geflecht von Markt und Handel. Das Göttliche hat sich also auch vermarktbar gemacht – was einem aus Frömmigkeitsgründen dann bekanntlich die Ablassgegner versaut haben. Wacker hält sich auch hier das katholische Niederbayern: Nebst Ablassutensilien kann man auch den Herrgott kaufen und verkaufen. Sogar gebraucht und restaurierungsbedürftig. Als Kruzifixcorpus halt. Vielgötterei ist schliesslich etwas für Messies, man wird seine gebrauchten Götter dann doch lieber wieder los – und anstatt abgenutzte Corpora ins Osterfeuer zu werfen, sollte man heute im Zeitalter von Kleinanzeigen und Ebay doch eher barmherzig an jene denken, die eines Herrgotts bedürfen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Lumen de lumine

Ruben Schneider | Dauerhafter Link | Kommentare (3)


06.05.2007 | 02:09 | Was fehlt

Public Dead Ends


Am Ende jeder Sackgasse sollte ein Bild einer anderen Sackgasse stehen. (Foto: Vibragiel, Lizenz)
Krzysztof Zbigniew Stanek ist ein überaus erfolgreicher Mann: kaum älter als 40 Jahre, seit 2001 Professor für Astronomie in Harvard, mehr als 100 Publikationen in referierten Fachzeitschriften, die mehr als 2500mal zitiert wurden. Seine letzte Veröffentlichung jedoch befasst sich mit der Erfolglosigkeit. Stanek schlägt vor, ein öffentliches "Alternative History"-Archiv im Stile von arxiv.org einzurichten, dessen einzige Aufgabe es wäre, erfolglose Anträge aufzunehmen. Ein solches Archiv der gescheiterten Ideen hätte viele Vorteile, unter anderem "venting the frustration of the authors and also providing possible amusement for the readers". Vor allem aber würde es Brücken bauen zwischen Ideen und Resourcen, indem es lokale Mängel an entweder dem einen oder dem anderen ausgleicht. Die Werbebranche ist der Wissenschaft um wenige Schritte voraus: Wohl geschuldet der Tatsache, dass Idee und Verwirklichung hier nicht in derselben Hand liegen, veröffentlicht sie regelmässig die besten abgelehnten Ideen unter dem Label Best Rejected. Allerdings vermutlich eher weniger, damit sie Unternehmen in Entwicklungsländern, die sich keine teure Werbung leisten können, verwenden können. Der Ansatz des Ideenpools in Public Domain gerät hier ein wenig unter die Räder.

Aber weil vermutlich alle zu eitel sind und lieber auf ihren wahnsinnigen Ideen sitzen als sie abzugeben, hier ein gutes Beispiel, eine fantastische Idee, die aus Zeitmangel von ihrem Urheber nie verwirklicht werden wird, und deshalb zur Verwendung freigegeben ist: die tägliche Spam-Prognose. Man richtet ein paar Mailaccounts ein, die soviel Spam wie möglich akkumulieren. Dann generiert man jeden Tag, basierend auf den Spams der letzten Tage, eine Vorhersage fuer das Spamaufkommen der kommenden Tage. Wird es in Niedersachsen Penis-Spam regnen? Ist Brandenburg nächste Woche geplagt von "einmaligen Finanztips"? Wird die Sicht in Bayern von tiefstehendem Nigeria-Nebel verstellt? Das Ergebnis wird dann natürlich als Spam-Mail verschickt.

Aleks Scholz | Dauerhafter Link


05.05.2007 | 15:11 | Anderswo | Zeichen und Wunder

Graffitiordnung


Die Graffitiordnung im Einsatz

Von den Fenstern abgesehen: alles 2D! (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Während in Berlin die Neue Höflichkeit gerade im Scheitern begriffen ist, ist Zürich bereits einen Schritt weiter. Der Schritt äussert sich in einem mobilen orangen Einsatzkommando mit der Aufschrift 'Graffitiordnung'. Die Graffitiordnung verfolgt die Strategie, an falschen Orten angebrachte Beschriftungen und Bilder schnellstmöglich zu übermalen, so dass ihre pubertierende Urheberschaft keine Zeit findet, sich vor ihren pickeligen Freunden zu brüsten.
Interessanterweise haben die drei Zürcher Graffitiordner bereits ihrerseits unterschiedliche Malstile entwickelt – einer zum Beispiel übermalt immer nur in Rechtecken und nimmt jedesmal einen leicht anderen Farbton, so dass mit der Zeit pastellfarbige Mondriane die Zürcher Unterführungen schmücken. Ein anderer übermalt knapp und in organischen Formen, wieder ein anderer in wild gezackten Figuren. Allen gemein ist, dass sie nie ganz den Farbton der darunterliegenden Hauswand treffen.
Diesen Umstand macht sich ein aufmüpfiger, wenn auch diskreter Tagger zunutze. Er verwandelt die Übermalungen der Graffitiordnung mit einem einzigen Strich seines fetten Edding in eine perfekte optische Täuschung, indem er ihnen einen Schatten hinzumalt. So feinfühlig kann also Auflehnung gegen Kapitalismus, Staat, Elternhaus, schlimme Kindheit und die Abwesenheit von Geschlechtsverkehr sein.


05.05.2007 | 02:50 | Anderswo | In eigener Sache

In Preisgewittern


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Wie man unter Preise bereits nachlesen kann, bekommt die Riesenmaschine heute den Erik-Reger-Förderpreis der Zukunftsinitiative des Landes Rheinland-Pfalz verliehen, und zwar, weil sie "die Lebens- und Arbeitswelt junger Menschen realistisch abbildet". Schön und löblich an diesem Preis ist, dass er mit Geld dotiert ist und von Ministerpräsident Kurt Beck verliehen wird. Weniger schön ist, dass Sascha Lobo, Holm Friebe und Kathrin Passig (derzeit Braunschweig) um 5:30 aufstehen müssen, um ihn um 10:30 in Mainz entgegennehmen zu können, wodurch sie einen unfreiwilligen Einblick in die Lebens- und Arbeitswelt ganz anderer Menschen erhalten. Fünf Uhr dreissig! Wird die Welt um diese Tageszeit überhaupt schon gerendert, oder sind draussen nur ein paar schlampige Polygone zu sehen, eine Art Screensaver? Man darf gespannt sein.

Der Namensgeber des Preises Erik Reger, aka Hermann Dannenberger, hat übrigens 1931 den bedeutendsten Industrieroman des 20. Jahrhunderts verfasst, in dem schon auf den ersten Seiten das lustlose Treiben der Insekten im falben Kohl als Symbol des Niedergangs einer ganzen Bergmannssiedlung erscheint (danach kam uns das Exemplar leider abhanden). Bereits der Titel: "Union der festen Hand" ist so derart riesenmaschinesk, dass wir dem Autor dafür posthum und im Gegenzug gern den Riesenmaschine-Preis für coole Buchtitel verleihen würden (auch wenn der Nachfolgetitel "Das wachsame Hähnchen" dagegen etwas abschmiert, und danach dann auch nicht mehr viel kam). Danke, Erik Reger. Danke, Rheinland-Pfalz.

Kathrin Passig / Holm Friebe | Dauerhafter Link | Kommentare (9)


05.05.2007 | 00:13 | Alles wird besser | Fakten und Figuren

Das wohlgemeinte Klavier


Statt Genen lassen sich auch Bilder zum Ausdrücken von Musik verwenden (Foto: *Rosemea) (Lizenz)
Alle Jahre wieder beschert uns die Wissenschaft die Vertonung von Genen oder der 3D-Strukturen von Proteinen. Gerade erschien der neueste Streich, der das Abspielen von menschlichen Proteinen verbessert, in dem Akkorde und nicht nur Noten auf die 20 Aminosäuren umgelegt werden. Bei 2,5 Minuten pro Gen braucht man nur 35 Tage, um das menschliche Genom durchzuhören. Aber man spielt seine iTunes-Sammlung ja auch nie durch, sondern immer nur die Äquivalente der glycolytischen Enzyme und p53.

Noch zu finden wäre eine Form, mit der sich die Musik in Proteine mit sinnvoller Struktur überführen lässt. Dann könnte man den Genpflanzen da draussen nicht nur Mäuseproteine, sondern gleich eine Sinfonie oder ein beliebiges Bad Religion-Album mitgeben. Die Widerstände wären flugs dahin.


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