Riesenmaschine

26.08.2007 | 22:45 | Berlin | Essen und Essenzielles

Die verkrepelten Pfirsiche von Askaban


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Prenzlauer Berg ist der Bezirk mit der höchsten Biomarktdichte der Welt. Man kann in einigen Strassen kaum mehr aus dem Fenster aschen, ohne die organisch biologische Frischwarenauslage zu verdrecken – aber Moment! Denn die organisch biologische Gemüsesituation ist in den meisten Fällen bereits verdreckt, und zwar mit Erde, Wurzeln, Staub, und Zweigen. In Zeiten, in denen bioverfütternde Mütter glauben, Tomaten aus Holland werden in Gewächsfabriken auf Polyesterwatteböden Tag und Nacht zu Höchstleistungen gepeitscht, bekommen aber nur künstliches Wasser und genmanipulierte Hormone zu essen, in diesen Zeiten also, da ist Dreck am Stecken bzw. an der Tomate ein naturversprechendes Qualitätkriterium. Eine bekannte, soziologisch interessante Umdrehung der ästhetischen Wertigkeit – aber für Naturesswaren ein soziales Problem: Gemüse galt immer als erdverschmierter Pöbel unter dem Fruchtgut. Es kam von unten und man verzehrte es gekocht und in der Masse. Das vornehme Obst, die Herrenrasse der Nutzpflanzenapartheid, schaute aristokratisch und unverschmutzt vom Baum auf's Gemüse herab und blickte sonnenbeschienen dem Pflückvorgang entgegen, um dann ungekocht und in den meisten Fällen einzeln verzehrt zu werden.

Doch mit der Biowelle wendete sich das Blatt – denn das fürnehme Obst hatte aufeinmal keine Handhabe mehr, zu beweisen, wie natürlich es doch sei und sich gegen Fabrikgewächse abzugrenzen. Lange beriet man im Obersten Organischen Obstrat, wie man selbst auf den ersten Blick nachvollziehbar "die organische Karte ziehen" sollte (wie eine gewiefte Altaubergine es ausdrückte). Bodenhaltung vortäuschen? Eine klare Geflügeldomäne. Sichtbare Druckstellen? Undenkbar, Fallobst war praktisch gleichzusetzen mit dem proletarischen Gemüse. Die Pfirsiche wagten sich mutig vor und schlugen einen Obstrelaunch vor: eine neue, besonders organisch und individuell wirkende Formgebung. Im Kopf der Zielgruppe sollte die Verknüpfung von "natürlich verwachsenem" Obst und biologisch organischem Anbau gelingen. Die Testpfirsiche gibt es derzeit in ausgewählten Biomärkten. Ob das zugegeben radikale Vorgehen in der menschlichen Monokultur des Prenzlauer Bergs Früchte trägt, wird man sehen.


26.08.2007 | 01:56 | Nachtleuchtendes | Alles wird besser

Löcher unter den Füssen


Herkömmliche Löcher, gestalkt in Schottland (Foto, Lizenz)
Ok, da ist jetzt also ein gewaltiges Loch im Universum, wer hätte das gedacht. Oder wie Entdecker Lawrence Rudnick bei Spiegel Online offenbar falsch zitiert wird: "Es ist tausend Mal grösser als eine typische Leere", und damit womöglich sogar deutlich grösser als das Loch im Mars. Schön und gut. Aber wann endlich, so fragt man sich, wird es möglich sein, in diesem grössten Loch aller Zeiten Urlaub zu buchen? Und herumzulaufen? Die ultimative Wildnis, das letzte Abenteuer, eine lebensfeindliche Wüste so karg, dass es selbst Sand vor Tristesse dort nicht aushält, geschweige denn Dunkle Materie? Ja, wann? Demnächst, sagt sinngemäss Orbital Outfitters und plant frohgemut eine Art Fallschirmmontur fürs All, ohne Schirm, versteht sich, denn wo nichts ist, kann auch nichts den Fall schirmen. Die Vision: Wenn man in der mittelfristigen Zukunft ein Problem mit Houston hat, dann steige man einfach aus dem Raumschiff und fliege ohne Houston zurück zur Erde – Space-Diving aus 150 Meilen Höhe. Im Vergleich dazu sehen die gängigen Programme zum Weltraumtourismus (z.B. Jeff Bezos' Blue Origin) in der Tat aus wie Baden an der Costa Brava. Zugegeben: 150 Meilen mag ein grosser Schritt für die Orbital Outfitters sein, hingegen für das ultimative Ziel ist es nur ein, naja, reden wir nicht drüber. Aber, hey, man wird ja wohl noch. Das Megaloch im Universum hat einen Durchmesser von nur 6.000.000.000.000 ähm 000.000.000 Meilen. Knapp.


25.08.2007 | 20:15 | Berlin | Papierrascheln

In Modulen denken, in Modulen wohnen


(Foto: Houses of the Future)

Architekt Baaske mit seinem Werk (Foto: Jan Bölsche)
Berliner Kartonagenhersteller boten im 19. Jahrhundert "preiswerte Wohnkästen" aus Pappe an, um die Wohnungsnot zu lindern, so steht es in "Berlin" von David Clay Large nachzulesen. Seither kommt immer wieder mal jemand auf die Idee, Pappe sei eine "genuine short-term housing option". In Australien kann man für nur $35.000 das Cardboard House (oben) erwerben, und auch die Riesenmaschine (unten) experimentiert bei "9to5 – Wir nennen es Arbeit" im Berliner Radialsystem erstmals mit einem eigenen Redaktionssitz aus dem innovativen Traditionsmaterial. Beide Unterkünfte sind "lightweight, transportable" und erfordern "no more skill to erect than an Ikea product"; bei der Pappriesenmaschine beliefen sich die Materialkosten auf nur 14 Euro pro Quadratmeter. Das neue modulare Betriebsgebäude ist problemlos erweiterbar, langfristig ist die Anschaffung eines Firmenwagens aus Pappe geplant. Später wird zur Einweihung Sekt aus Pappbechern gereicht.


24.08.2007 | 22:00 | Anderswo | Nachtleuchtendes | Supertiere

Riesenmaschine auf Reisen – heute in Romanshorn


Uralt und sieht trotzdem aus wie ein Pokémon: der mocmoc in seinem natürlichen Lebensraum. Bild: Comcom
Wer als Reisender dieser Tage nach Romanshorn kommt, begegnet dort einem Rätsel. Beim Baden am See, beim Eiskaufen und in der Pizzeria hört er immer wieder vom "Slouöp", das ganze Dorf am Bodensee ist im Banne des Slouöps. Ältere Romanshorner scheinen ihn eher zu fürchten oder zu verachten, die jüngeren aber scheinen sich auf ihn zu freuen. Und es scheint, als erwarte man seine Ankunft für dieses Wochenende.

Unwillkürlich erinnert sich der Reisende an den mocmoc, jene Ente, die Romanshorn vor drei Jahren in grosse Aufregung versetzte, es zum Gespött der ganzen Schweiz machte und für kurze Zeit in den Fokus der heimischen Kunstszene rückte. Damals präsentierte das Künstlerduo Comcom der Presse im Rahmen eines ausgeklügelten Kommunikationskonzeptes eine angeblich im Gemeindearchiv entdeckte Urkunde, auf der die Legende des Mocmocs verzeichnet war. Das Fabelwesen Mocmoc sollte demnach der Gemeinde zu ihrem Namen verholfen haben, was aber in Vergessenheit geraten sei.

Der ganze Gemeinderat, die Kunstkommission und die wenigen Eingeweihten spielten das Spiel mit, die Künstler präsentierten kurz darauf das Fabelwesen als gehörnte gelbe Polyesterfigur, halb Ente, halb Fisch, mit einem Schuss Einhorn und einem nachts rot leuchtenden Herzen. Als der Schwindel aufflog, war die Bevölkerung entsetzt, es bildeten sich Bürgerinitiativen, der Gemeinderat entschuldigte sich und es wurde die in der Schweiz obligate Volksabstimmung durchgeführt. Die von den Mocmocbefürwortern erstaunlicherweise knapp gewonnen wurde.

Der Mocmoc durfte an seinem Standort auf dem Bahnhofsplatz bleiben – und jetzt kommt also der Slouöp. Mocmoc und Slouöp, Romanshorn gibt sich wirklich alle Mühe, seinen Besuchern etwas zu bieten. Aber erst, wenn der Reisende Romanshorn wieder verlässt, wird ihm dank einer Werbetafel am Strassenrand ernüchtert klar, worum es sich beim Slouöp eigentlich handelt. Um eine Art autofreien Sonntag also, den die Einheimischen lediglich nicht richtig auszusprechen wissen. Beachtenswert ist daran dann leider nur noch dieses PDF, das erklärt, wie man mit dem Auto zum autofreien Slouöp anreisen kann.


23.08.2007 | 22:42 | Alles wird besser | Fakten und Figuren | Zeichen und Wunder

Wirtschaftsfaktor Hautcremeinnovation


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Wir alle kennen und lieben Pliasmen, also erfundene Fremdworte. Aber ist es wirklich richtig, dass eine Firma wie Garnier mit Nahrologie ein deutschgriechisches Wortmonster mit scheinwissenschaftlichem Abgeschmack in die Wortwelt presst, die noch immer an den Folgeschäden der Erfindung der "Cerealien" in den 90er Jahren leidet? Noch vor wenigen Monaten hätte die kulturpessimistische Sprachbewahrsekte, nennen wir sie die Sicks, darauf eine eindeutig abschmetternde Antwort gegeben. Das tut sie vermutlich heute immer noch, aber inzwischen ist das Gegenteil bewiesen, bzw. lässt sich mittelgeschmeidig herleiten.


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Denn auf dieser Grafik ist für den Zeitraum von 1951 bis 2007 dem Weltwirtschaftswachstum gegenüber der Verwendungzuwachs von Hautcreme abgetragen (Quellen: Wikipedia, Institut für Wirtschaftskosmetik [pdf, 12,4 MB]). Es ergibt sich nicht nur ein direkter Zusammenhang, inklusive der bezeichnenden, typisch 24-monatsverschobenen Einbrüchen zu den Ölkrisen '73 und '79 und dem Spontaneinbruch zur Wiedervereinigung. Darüberhinaus lassen sich vor allem in den Spitzen die grossen Innovationen der Hautcremebranche ablesen: Die '63er sogenannte "Nivea-Explosion", als man bei Beiersdorf mit flächendeckender TV-Werbung begann; der Oil of Olaz-Gipfel von '76 bis '79; die Entdeckung von Ersatzstoffen für ionische Tenside '81 und der Boom der konservierungsstofffreien Gesichtskosmetik '97.

Klar scheint nun, dass ein direkter Zusammenhang besteht zwischen der Weltwirtschaft und der Verwendung von Hautcremes in Deutschland und Europa. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist für alle Nichtfachleute, besonders aber für alle Fachleute noch vollkommen unklar, warum das so ist und vor allem, welcher Faktor von welchem abhängt. Bis das geklärt ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Innovationen auf dem deutschen Hautcrememarkt direkt positive Wirkung auf den Wohlstand der Welt haben. Märkte sind Psychologie und so muss jeder Versuch einer gefühlten Innovation, sei er auch noch so hanebüchen, euphorisch begrüsst werden: Danke, Garnier, super.


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