Riesenmaschine

03.04.2008 | 17:30 | Alles wird besser | Sachen kaufen | Vermutungen über die Welt

Wird Kleenex das neue Rolex?


Auf dem Nachtischchen noch besser als Allgäuer Rindsleder: Riesenmaschinekleenex (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Die Reissäcke von heute (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Gerade erreicht uns der Newsletter von trendwatching.com und teilt uns mit, dass die Statussymbolforschung eindeutig aufzeige, wie die Entwicklung im Statussymbolgeschäft weg vom klassischen, über den Preis gesteuerten Statussymbol hin zu etwas gehe, was mit "Status Stories" beschrieben wird. Kurz: nicht mehr die Geschichte, die ein Massenprodukt kraft seiner Erscheinung und seines Marketing zu erzählen vermag ("Geld"), sondern eine möglichst individuelle Geschichte hinter dem Produkt (und das Wissen darum) soll dieses mit Bedeutung und Exklusivität aufladen. Das klingt erst mal glaubhaft und erinnert entfernt auch an den Manufactumkatalog. Dort wird die Wertigkeit der Produkte ja auch mit kleinen Geschichten unterstrichen und dem Käufer so ein Instrument in die Hand gegeben, mit diskret eingestreuten Bemerkungen einen zusätzlichen Distinkionsgewinnn zu erzielen ("Ach, dieses Allgäuer Grubenleder, das mit traditionellen Methoden von Hand und mit viel Zeit gegerbt wird, braucht schon etwas mehr Pflege als die heutigen Industrieleder").

Trendwatching.com beweist seine These allerdings anhand folgender Produkte: Mykleenextissue bietet für bescheidene 4.99$ (ca.1€) individuell gestaltete Kleenexboxen "to celebrate a special occasion". Im Netgranny Sockenshop ("Wähle Deine Granny") können in Schweizer Altersheimen individuell angefertigte Wollsocken bestellt werden. In Japan wiederum können Reissäcke mit dem Bild eines Neugeborenen bedruckt und mit dem exakten Kindsgewicht in Reis gefüllt werden, sodass man beim Umfallen rätseln kann: War das jetzt Kind oder Sack? Und wir wollen diesem Reigen noch die Seite Youbars beisteuern, die nach Mass gefertigte Schokoriegel anbietet.

Allesamt sind das schöne Produkte, die fehlten und die zu loben sind. Wenn wir uns Wollsocke, Kleenex, Reissack und Schokoriegel aber konkret im Einsatz als Statussymbole vorzustellen versuchen, denken wir, dass sich die Firma Rolex nicht allzu warm wird anziehen müssen.


03.04.2008 | 00:22 | Effekte und Syndrome

100 Megahertz Inszenierung


Ein DB-Fernverkehr-Fahrkartenautomat während des Zusammenbruchs der Inszenierung. Man kann selbst den Fotografen erkennen. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
"Der ganze Apparat der Selbstinszenierung ist natürlich umständlich; er bricht manchmal zusammen und enthüllt dann seine einzelnen Bestandteile ..." Mit diesen Worten zitiert Benjamin von Stuckrad-Barre den Soziologen Erving Goffman, am Anfang seines Fotoromans "Deutsches Theater". Ein Zitat, das einem des öfteren einfallen sollte, denn es beschreibt eine Erfahrung, die einen freudigen Ausdruck in müde Gesichter zaubert. Es handelt sich bei diesem Zusammenbruch des Inszenierungsapparates vermutlich um eine derart existenzielle Erfahrung, dass selbst noch ihr Widerschein im Kleinen und Kleinsten in hochemotionale Erregungszustände versetzen kann.

Fällt zum Beispiel eines der Systeme hinter den vielen, vielen Bildschirmen aus, die uns tagtäglich umgeben, lässt sich erkennen, dass auch kein noch so grosser Weltkonzern über andere Betriebssysteme verfügt als wir, im Innern also aus dem gleichen Holz geschnitzt ist. Lustig wandert dann statt des Unternehmenslogos die Windows-Fehlermeldung über die aufgestellten Flatscreens. Während manche an diesen Ausfallerscheinungen interessenlos vorübergehen (weil sie ja auch wenig verraten, was wir nicht eh gewusst hätten), bleibt der Sensible andachtsvoll davor stehen und sagt: "Schau mal! Auch nur Windows hier." Manchmal enthüllt der Zusammenbruch aber auch mehr, zum Beispiel wo eigentlich all die Rechner ein neues Zuhause gefunden haben, die wir spätestens zum Jahrtausendwechsel auf den Müll geworfen hatten.


02.04.2008 | 01:20 | Anderswo

Im Südwesten nichts Neues


Arena (Symbolbild)
Foto: samsnet / Lizenz
Die Benamung von Fussballspielorten war in Deutschland jahrzehntelang nur für die Präfixprofis der Wordingbranche von Interesse. Vorne, da konnte man sich austoben: Nahm man einen Fluss? Eine Person? Eine Region? Oder noch was anderes? Hintenrum war hingegen das "-stadion" fast sicher gesetzt.

Ende der 90er Jahre gab es dann einen Paradigmenwechsel. Durch die massive Zunahme des Stadiennamensponsorings war der vordere Wortteil nun meist automatisch vergeben, man musste sich notgedrungen dem hinteren Ende widmen – was auch geschah, aber leider mit fast immer dem gleichen Ergebnis: Arena. Vorbild hierfür waren die 1996 eingeweihte Amsterdam ArenA, eines der ersten Stadien "neuen Typs", und in Deutschland die 1999 so benannte BayArena. Es folgte eine Arenenwelle: Schalke, Hamburg, Hannover, Bielefeld, Duisburg, München, Frankfurt/Main, Düsseldorf, Wolfsburg, Osnabrück, ja sogar Meppen, alle zogen mit.

Doch damit ist es eigentlich schon wieder vorbei, sieht man von provinziellen Nachzüglern aus Paderborn, Rostock und Wiesbaden einmal ab. Stattdessen gab es eine Rückbesinnung auf das alte -stadion und zwei Testballons des aus dem englischen Fussballs stammenden -park. Vor diesem Hintergrund ist die gestern bekannt gewordene Entscheidung, dass das Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadion ab sofort Mercedes-Benz-Arena heisst, ein Armutszeugnis für die beteiligten Marketingabteilungen. Soll das Innovation verkörpern? Mut etwa? Man hätte der Erste sein können, der eine Adaption der NFL-erprobten "Dome" oder "Field" wagt. Oder mit "Kampfbahn" oder "Sportfeld" einen Retrotrend einläuten können. So kommt die deutsche Automobilbranche natürlich nie aus der Krise.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Reloaded 2.0 Deluxe


01.04.2008 | 17:31 | Fakten und Figuren

Komplexität gratis


Komplexität zu simpel illustriert
(Symbolfoto: adrian_s) (Lizenz)
Weil eine Mutation typischerweise mehrere unterschiedlich gerichtete Effekte hat, sollte es eine obere Schranke für die Komplexität von Organismen geben.

Stimmt aber nicht (hier wird es dann kompliziert).

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Das Böse kann warten


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