Riesenmaschine

12.10.2006 | 23:30 | Anderswo | Alles wird schlechter

Nothing Butt the Truth


(Foto: spacepleb)
Wirklichkeit klingt schön und gut, ist aber in den meisten Fällen todlangweilig, wenn man nicht gerade dabei ist. Das ist auch schon der wesentliche Makel von fast allen möglichen Reality-Formaten, die man schnell müde wird, auch nur aufzuzählen: Sie befassen sich mit vollkommen uninteressanten Aspekten der Wirklichkeit, wie Diäten, Partnersuche, Fahrschule, Leben im Container oder Ozzy Osbourne. Zeigt denn überhaupt niemand das Leben von halbwegs interessanten Menschen, zum Beispiel von Schweinezüchtern, Psychopathen oder Astronomen? Oder Porno-Produzenten? Die Antwort lautet: Nein, denn Family Business, die Reality-Show von Adam Glasser alias Seymour Butts, ist wohl nach vier Staffeln in diesem Sommer eingestellt worden, und damit jetzt nur noch auf DVD erhältlich. Das ist zum einen bedauerlich, weil in den bisherigen 40 Episodentiteln sicherlich noch nicht alle billigen Fachsprachkalauer abgehandelt wurden. "Real ASState", "COCKtoberfest", "Up and CUMing", "Midlife CrisASS", das muss ja wohl noch flacher gehen, schade drum. Auf der anderen Seite aber ist die instruktive Serie gefüllt mit Alltagskram wie Kindererziehung, Ärger mit den konservativen Nachbarn, Scheitern an der Erektion, trostlose Dates, Sorgen wegen Mutter, Stress im Beruf; und die Protagonisten sagen auch nicht häufiger "fuck" als normale Menschen. So erfolgt nach angestrengtem Hinsehen die vermutlich zulässige und daher erstaunliche Erkenntnis, dass Wirklichkeit auch unter vollkommen exotischen Umständen wiederum langwierig und eintönig ist. Sie lässt sich halt auch vom Geschäft nicht verbiegen.

Aleks Scholz | Dauerhafter Link


09.10.2006 | 12:30 | Essen und Essenzielles | Vermutungen über die Welt

Green Machine


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Das Vokabular der industriellen Revolution hat jetzt endlich auch die Bioläden eingenommen: Die Ökosäfte von Naked Juice nämlich heissen "Green Machine", "Red Machine" und "Blue Machine", und setzen so den Siegeszug der "Energy"-, "Power"- und "Fuel"-Lebensmittel konsequent fort. Denn insgeheim sehnen wir uns doch alle nach dem 19. Jahrhundert zurück, einer einfacheren und besseren Zeit, in der man sich noch auf viele Dinge verlassen konnte, z.B. den Stahlofen, ein klares Klassenbewusstsein und die Unantastbarkeit von Raum, Zeit und Kirche. Nach einer kurzen Phase des Überdrusses, getriggert von der Öko-Bewegung und (vorausahnend) konterkariert von der Gruppe "Kraftwerk", bricht sich seit einigen Jahren die Re-Erkenntnis Bahn, dass man auf keinen Fall auf "Strom" und "Maschine" verzichten kann, auch wenn man jetzt die Grünen wählt. Ökonomie und Ökologie sind natürlich trotzdem nicht versöhnbar, aber, also, Maschine, wie toll sich das schon anhört.


06.10.2006 | 12:23 | Nachtleuchtendes | Vermutungen über die Welt

Explosionsanomalie

Erstaunliche Dinge sind uns schon bekannt geworden. Ein Stern wie die Sonne wird in ein paar Milliarden Jahren als Weisser Zwerg sterben, das wissen wir sehr genau. Wenn so ein Weisser Zwerg einen grösseren Stern umkreist, so kann er von ihm Materie absaugen bis er selbst mehr als genau 1.44 Sonnenmassen wiegt. An diesem Punkt Übergewicht angekommen, wird er in einer Supernova explodieren. Auch das alles ist seit Chandrasekhar jedem bekannt. Bisher allerdings glaubten wir, dass diese Explosion immer exakt gleich abläuft, was ein grosser Segen wäre, weil wir damit genau wüssten, wie hell eine Supernova ist, und wir sie so als Zollstock verwenden könnten, um unser heimatliches Universum zu vermessen, was ansonsten ziemlich schwierig ist. Genaugenommen tun wir das aus Mangel an besseren Zollstöcken schon, und vieles, was wir heute über das Universum wissen, beruhte bisher friedlich auf der stupiden Gleichförmigkeit der Supernovae.

Bis Andy Howell und Kollegen in Toronto vom Supernova Legacy Survey ein Ding fanden, das komisch langsam explodiert, praktisch in Zeitlupe, was seltsam ist, weil Zeitlupe erst vom Fernsehen erfunden wurde, also viel später. Die Erklärung: Der Weisse Zwerg war viel schwerer als normal, daher fliegen seine Teile langsamer auseinander, wegen der Schwerkraft, diesem Patentkleber da draussen. Vielleicht ist das so, weil das fraglich anomale Ding aussergewöhnlich jung ist. Jugend handelt ja oft anders, ungewohnt und verwirrend, auch das wissen wir spätestens seit Thomas Mann. Was das alles aber über Chandrasekhar, unser schönen Theorien über Weisse Zwerge, unsere tollen Messungen am Universum und unser komplettes Weltbild zu sagen hat, ist unklar. Aber irgendwas Wichtiges wird es wohl sein.


04.10.2006 | 16:58 | Gekaufte bezahlte Anzeige

Ein neues Zeltbild


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Teure Zelte kaufen ist einfach: Man geht in irgendeinen glitzy Outdoor-Shop, sagt, dass man reich ist, und kann sicher sein, schon wenige Sekunden später mit geodätischen Gehäusen beworfen zu werden, mit denen man sich am Nanga Parbat fühlt wie im eigenen Vorgarten. Aber wozu dann noch zum Nanga Parbat fahren? Denn was viele nicht verstehen: Um das Abenteuer zu verbessern, kann man entweder den Berg höher machen, oder aber die Ausrüstung schlechter. Darum muss man billige Zelte kaufen, sehr billige, sagen wir unterhalb 70 Euro, das ist nicht nur billiger, sondern auch interessanter. Jedoch gestaltete sich der Billigzeltkauf bislang sehr schwierig. Weil Anbieter es scheuen, mehr als ein Billigzelt ins Programm zu nehmen, musste man sich stundenlang durch Globetrotter und Camping-Welt, ganz zu schweigen von Quelle und Kinderbutt (die heissen wirklich so) schlagen, was kaum weniger schlimm als der Nanga Parbat ist. Zudem behandelt einen das Verkaufspersonal abfällig und missmutig, denn, so meinen sie, was kann es für einen Sinn haben, schlecht ausgerüstet zu sterben? Little do they know.

Zum Glück gibt es für derartige Interessenlagen seit kurzem das Internet bzw. die Komfort-Kaufmaschine DoorOne. Innerhalb weniger Sekunden findet man herrliche Klassiker wie das Minilite Zelt Blau/Gelb 190 (32 Euro, kaum grösser als ein Biwaksack), das Wehncke Eiger 3 Kuppelzelt (40 Euro, Eiger-Nordwand-Vergnügen exklusive), oder das High Peak Zelt Texel 3 (50 Euro), das in stürmischen Gewitternächten zuverlässig in Nachbars Garten fliegt. Der einfache Weg zum Glück! Endlich Wasser an den Innenwänden und Pfützen in der Apsis, ganz ohne Monsunregen! Zerrissene Sturmleinen auch ohne Sturm! Billige Todesangst fast kostenlos! Ein herrlicher Spass. Am Ende des Tages fällt die klare Entscheidung des anspruchsvollen Doorone-Extremsportkunden auf den Kaiser unter den Billigzelten: Das Scout Mini-Pack-Zelt (siehe Bild), bei Spielgeschenke zum Beispiel jetzt preisgesenkt für nur 19 Euro. Man möchte sofort 100 Stück kaufen, damit man nach jeder durchzitterten Nacht ein neues anbrechen kann.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Das neue System der Dinge


02.10.2006 | 12:36 | Anderswo | Zeichen und Wunder

Konsequente Nutzlosigkeit

Ideen haben ist keine grosse Kunst, Ideen hat heute jeder. Was nicht viele schaffen: Eine Idee, sei sie hirnverbrannt, gemeingefährlich, irrelevant oder eventuell sogar interessant, stur und konsequent bis zum Ende umzusetzen, bis Mensch und Idee untrennbar miteinander verschmelzen. Hitler zum Beispiel gehört in die Kategorie, man kann ihm vieles vorwerfen, aber Inkonsequenz gehört eigentlich nicht dazu. Ein neues Rollenmodell in diese Richtung liefert der in Toronto ansässige Maler Ernesto Manera. Vor wenigen Tagen ging sein Atelier und mit ihm sein komplettes Lebenswerk im Rahmen eines Grossbrandes in Flammen auf. Er verlor, so sagt man, Kunst im Wert von einer Million Dollar, und das gerade zwei Monate vor Eröffnung seiner ersten Solo-Ausstellung. Das klingt jetzt noch nicht sehr bewundernswert, eher ein bisschen traurig, aber sicherlich sehr sinnlos.

Bis man aus der wie immer hilfreichen Lokalpresse erfährt, dass die geplante Ausstellung, die jetzt gründlich verbrannte Ausstellung, "An Exercise in Futility" zum Thema hatte. Ob es je Bilder für diese Ausstellung gab, wird nie zu klären sein, vielleicht verbrachte der Maler die letzten Jahre auch damit, weisse Wände anzustarren. Man kann ihm vieles vorwerfen, und seine Versicherung wird das auch tun, aber dass er zum Konzept "Exercise in Futility" nicht alles zu Sagende gesagt hat, gehört nicht dazu.


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