Riesenmaschine

11.09.2006 | 19:36 | Anderswo

Gute Nacht, Ümlaut


Genau!
Es ist soweit: Die amerikanische Begeisterung an Umlauten in Kneipennamen hat gestern Abend endgültig ihren Höhepunkt überschritten. Es fing vor gefühlten zwei Wochen an, als die ersten deutschen Wörter auftauchten; Bars hiessen plötzlich "Überfall" und "Blüte", eine relativ harmlose Angelegenheit. Dann aber fand man Gefallen an der exotischen Fremdheit der herumfliegenden Punkte und fing an zu spinnen. Zunächst schwenkte man in einer nur wenige Stunden andauernden Übergangsphase auf handelsübliche Fremdwörter (Pangäa) um, nur um dann in der nächsten Umdrehung einfach jedes ausländische Wort zum Fremdwort zu erklären und mit artfremden Umlauten zu versehen (Paäez). Anschliessend erkannte man nach langem Überlegen, dass auch englische Wörter ganz schön fremd aussehen, wenn man sie mit Umlauten bewirft (Blür). Wie eine Kaninchenplage fiel der Umlaut auf jedem Kontinent ein, rottete einheimische Buchstaben aus und verwüstete die Sprachlandschaft. Das war vorgestern. Seit gestern jedoch, seit es im Bloor West Village in Toronto ein Restaurant gibt, das "Blüme" heisst, ist der weitgereiste Umlaut zurück in der Heimat angekommen. Unbeholfen und verwirrt sitzt der arme Kerl in der Füssgängerzone herum, bettelt um Älmosen und versteht seine eigene Sprache nicht mehr.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Ünd mörgen die gänze Welt


11.09.2006 | 02:43 | Alles wird schlechter | Sachen kaufen

Neue Erfindungssensation


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Schon lange wartet man auf den neuen, leuchtenden Stern am Innovationshimmel (und auf eine noch abgegriffenere Metapher). Und kaum wartet man ein paar Jahrzehnte, die Erfindung des Kugelschreibers liegt ja schon fast 70 Jahre zurück, da erbarmt sich Frau Rene Armstrong, nicht verwandt oder verschwägert mit irgendeinem anderen Armstrong, und entwickelt in nur fünf Jahren harter Arbeit "Abnostrain" (Ab-No-Strain), ein komplexes Gerät, das es ermöglicht, ohne Nutzung der Bauchmuskulatur aus dem Bett aufzustehen. Es dauert eine Weile, bis man das Prinzip versteht, und weder die Abbildung noch die vorbildlich enigmatische Website (nicht registrieren, bringt gar nichts) sind dabei eine grosse Hilfe. Eine Halskette aus Altbatterien? Widerstände in Reihenschaltung? So was Ähnliches wie Anal beads, nur in Zylinderform? Aber dann erfährt man, dass die NASA bei der Produktentwicklung beteiligt war, und plötzlich ist alles klar: Es ist eine Schnur! Mit Griffen! Warum kommen nur Amerikaner auf solche Ideen? Und warum verschenken sie ihre Technologie praktisch für nur 90 Dollar? Dies ist der erste Bericht im deutschen Internet über Abnostrain, und er wird eine Welle der Begeisterung lostreten. (Disclaimer: Abnostrain-Schnüre nie ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt einsetzen.)


06.09.2006 | 18:28 | Anderswo | Papierrascheln

Yale Shmale


Stadtleben in Thunder Bay
(Foto: loimere)
Thunder Bay ist eine mittelgrosse Hafenstadt am Nordende des Oberen Sees, bekannt vor allem für riesige Getreidesilos. Ausserdem ist es der Ort, an dem Terry Fox, kanadischer beinamputierter Volksheld, seinen "Marathon of Hope" nach 5373 km aufgab. Was viele nicht wissen: In Thunder Bay befindet sich auch ein Campus der Lakehead University, die auch fast niemand kennt. Damit sich das ändert, hängen seit ein paar Wochen einigermassen ästhetische Werbeplakate und eine Website in der Gegend, wobei "Gegend" sehr kanadisch-grosszügig definiert ist. Versehen mit dem extra dafür erfundenen Slogan Yale Shmale, versprechen die Plakate kurzerhand, dass man auch mit einem Studium in Lakehead Präsident der Vereinigten Staaten werden könne. Wir nehmen das mal zur Kenntnis. Nun stimmt es zwar, dass Yale die amerikanischen Präsidenten Ford, Bush, Clinton und Bush hervorgebracht hat. Aber praktisch im selben Atemzug spuckte Yale unter vielen anderen auch die Erfinder der Quark-Theorie, der Laffer-Kurve, des Morsealphabets, der Zeitbombe, des U-Boots, der Programmiersprache COBOL, des Monetarismus und des Nyquist-Theorems aus. Zudem gilt es als nur halbwegs umstritten, dass Yale-Studenten in ihrer freien Zeit das Frisbee-Spiel entwickelt haben. Lakehead dagegen: zwei Curlingweltmeister. Grössenwahn hin, Selbstüberschätzung her, bei soviel Realitätsverlust muss man hochgespannt sein, was in den nächsten Jahrhunderten so aus Thunder Bay für sagenhafte Innovationen durch die Welt schwappen werden. Bis dahin glauben wir aber weiterhin eher an Lakehead Shmakehead.


02.09.2006 | 11:13 | Alles wird besser | Vermutungen über die Welt

Gebräuchliche Halluzinationen


Foto: photocatcher / Lizenz
Psychedelische Drogen haben, wie jeder weiss, die Eigenschaft, dem Konsumenten unglaublich tiefgründige Einsichten zu verschaffen, auf die sonst noch gar niemand gekommen ist. Das war jetzt schon eine dieser Einsichten, aber da gibt es auch noch die Sache mit dem autoritären Staat, der sich nur halten kann, WEIL Halluzinogene verboten sind. Und natürlich die Geschichte mit den Kaninchen, irrsinnig neuer Gedanke. Welches tatsächlich die gebräuchlichsten Halluzinationen sind, das sollte mal herausgefunden werden.

Ein erster Erfolg in diese Richtung kommt jetzt aus Australien: In einer kulturübergreifenden Studie weisen Psychologen aus "Gold Coast" (auch so eine Drogenidee, dieser Name) nach, dass Benutzer psychedelischer Drogen häufiger an Gott glauben, dafür weniger an Geld, allgemein spiritueller und überdies mehr mit dem Schicksal ihrer Mitmenschen befasst sind als eine Kontrollgruppe ganz normaler Trinker. Was das allerdings bedeutet, bleibt unverstanden. Entweder nehmen halt andere Menschen andere Drogen, das wäre möglich, hört man. Oder aber psychedelische Drogen lassen, egal auf welches Hirn sie losgelassen werden, immer dieselben Programme ablaufen, weil sie beschränkt und einfältig sind, also entweder die Substanzen oder die Hirne. Oder aber alles, was man da so sieht, ist die Wahrheit und deshalb immer gleich. Es gibt ja nur eine Wahrheit, und sie sieht ganz, ganz anders aus als das, was uns der Staat ständig vorzugaukeln versucht.


31.08.2006 | 13:14 | Fakten und Figuren | Vermutungen über die Welt

Der unsterbliche Mr. Kennewick

In diesem Sommer ist es zehn Jahre her, dass man den Kennewick-Mann exhumierte, einen der wichtigsten Amerikaner in der Geschichte Amerikas. Man erinnert sich ein bisschen ungern: Gefunden 1996 irgendwo am Columbia River, stellte man ziemlich genau heute vor zehn Jahren fest, dass das Skelett mehr als 9000 Jahre alt ist. Damit ist es zwar immer noch ein paar tausend Jahre jünger als die ersten Amerikaner, aber immerhin klar das älteste Skelett des Kontinents. Innerhalb weniger Wochen schaffte es Kennewick auf zahlreiche Titelseiten, und zwar in einer Rekonstruktion, die Captain Picard verblüffend ähnelte. Natürlich sah der Frühamerikaner gar nicht aus wie auf Raumschiff Enterprise, das war nur für die Presse, sondern eher so wie antike Japaner. Aber trotzdem oder gerade deshalb erhoffte man sich von Mr. Kennewick einige Hinweise zur Lösung des zweitgrössten Rätsels Amerikas: Die ersten Menschen des Kontinents stammen nämlich nicht von Ausserirdischen ab, stattdessen weiss man es nicht. Das grösste Rätsel Amerikas bleibt weiterhin, warum sich die Türklinke nicht durchsetzen konnte.

Das eigentliche Spektakel um die Kennewick-Knochen folgte allerdings erst noch. Laut einem amerikanischen Gesetz haben Indianer das Recht, ihre Ahnen zu bestatten, und zwar ohne vorherige anthropologische Untersuchungen, und dies, so behaupten bis heute die Umatilla und andere Stämme, gelte auch für Mr. Kennewick. Laut ihrer Religion leben die Umatilla schon immer in der Gegend von Kennewick, und mit immer meinen sie immer. Daher MUSS Kennewick-Mann, der ihnen total unähnlich sieht, einer der ihren sein – auch wenn es natürlich vollkommen unmöglich ist, eine direkte Linie zwischen dem uralten Skelett, das übrigens eine Speerspitze in seiner Hüfte herumträgt, und rezenten Indianern zu ziehen. Trotzdem, lange Zeit lagen die Indianer im Kampf um die Leiche klar vorn, niemand durfte die Knochen anfassen, einer der ungemein seltenen Fälle, in denen die Religion mal die Wissenschaft behindert und nicht umgekehrt. Erst jetzt, zum zehnjährigen Jubiläum, gab es im Museum in Seattle ein kurzes Forschungsintermezzo am Kennewick-Mann – zehn Tage Meet and Greet mit dem ältesten Amerikaner, dessen Zukunft ansonsten weiterhin unklar ist. Genau wie seine Vergangenheit natürlich.


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